# taz.de -- Autofreie Innenstadt: Hannover will Fußgängerstadt werden | |
> Der grüne Oberbürgermeister Belit Onay will Niedersachsens Metropole | |
> „nahezu autofrei“ machen. Doch was braucht es, um eine City umzukrempeln? | |
Bild: „Mehr Mobilität für alle“, außer für Autos: So soll die Verkehrsf… | |
HANNOVER taz | Zumindest verbal hat er ja schon ein bisschen abgerüstet. | |
Hannovers grüner Oberbürgermeister Belit Onay spricht viel seltener von | |
„autofrei“ [1][als noch im Wahlkampf 2019]. Obwohl er mit genau diesem | |
Versprechen gewählt worden ist: einer autofreien Innenstadt. | |
Das Konzept ließ ein Weilchen auf sich warten, [2][doch jetzt liegt es vor. | |
„Nahezu autofrei“] soll Hannovers Innenstadt bis 2030 werden. Dafür sollen | |
Fußgänger, Radfahrer, Busse und Bahnen konsequent Vorrang erhalten. | |
Im Kern setzt Hannover dabei auf eine Strategie, mit der gerade viele | |
europäische Städte versuchen, ihre kränkelnden Konsummeilen zu | |
revitalisieren: Mehr Aufenthaltsqualität, mehr Gastronomie, mehr Kultur, | |
mehr Grün. | |
Hannover, glaubt Onay, könnte dabei einmal mehr eine Vorreiterrolle | |
einnehmen. Zum Vorteil könnte für die Stadt ausgerechnet das Vorbild von | |
vor-vorgestern werden. Zur „autogerechten Stadt“ baute Stadtbaurat Rudolf | |
Hillebrecht Hannover in den fünfziger Jahren um. | |
## Nur noch zum Parkhaus und zurück | |
Was die Bombenhagel vom historischen Stadtkern übrig gelassen hatten, fiel | |
unter ihm dem Straßen- und U-Bahnbau zum Opfer. Dafür hat Hannover nun | |
einen Stadtkern, der konsequent von einem sechsspurigen Cityring | |
umschlossen wird. | |
Wenn es nach Onay geht, soll der Cityring künftig die Grenze für | |
stadtfremde PKW bilden. Von da aus geht es über fünf „Erschließungsstiche�… | |
nur noch ins Parkhaus und zurück. Keine Schleichwege durch die City mehr, | |
kein endloses Gekurve durch Seitenstraßen auf der Suche nach einem | |
Parkplatz. | |
Diese sollen nämlich konsequent zurück gebaut werden – zugunsten von | |
breiteren Gehsteigen und Radwegen, fließenden, barrierefreien Übergängen zu | |
prächtigen Flanier- und Spiel- und Sitzmeilen. | |
„Nahezu autofrei“ heißt das Konzept aber auch, weil es natürlich ein halb… | |
dutzend Ausnahmen gibt: Für Lieferverkehr, für Mobilitätseingeschränkte, | |
für Anwohner und Arbeitnehmer, die private Stellplätze ansteuern – das dann | |
aber bitte schön nur noch mit 20 bis 30 Stundenkilometern. | |
Schneller da wären sie ja trotzdem noch, glauben Onay und sein Stadtbaurat | |
Thomas Vielhaber (SPD), immerhin müssten sie mit weniger Autos | |
konkurrieren. | |
## CDU als Fürsprecherin der Umlandbewohner | |
Überhaupt versuchen die beiden Lokalpolitiker alles, um zu verhindern, dass | |
sich die Debatte immer wieder auf dieses „Autos – ja oder nein“ verengt, | |
zeichnen Fußgängerrouten und ÖPNV-Netze nach, verweisen auf das im Ausbau | |
befindliche Radwegenetz. | |
Aber am Ende landet die Debatte trotzdem immer bei dieser Frage. Von einer | |
„ideologisch motivierten, einseitigen Verbannung des Autos“ spricht die | |
CDU-Opposition und wettert: „Onay setzt die Axt an die Zukunftsfähigkeit | |
der Innenstadt“. | |
So verstehen sich die Konservativen in erster Linie als Fürsprecher der | |
Speckgürtel- und Umlandbewohner, die gern mit dem Auto nach Hannover | |
pendeln – obwohl das bisher ja auch schon Grenzen hatte. Immerhin redet man | |
hier von jenen 2,5 bis 3 Quadratkilometern Innenstadtfläche, die auch jetzt | |
schon zu weiten Teilen aus Fußgängerzonen bestehen. | |
Der Koalitionspartner SPD befindet sich dagegen in einem heiklen Dilemma: | |
Einerseits hat ihr Stadtbaurat an dem Konzept mitgearbeitet, bei der | |
wahlberechtigten Stadtbevölkerung scheint es Sympathien für das Anliegen zu | |
geben – sonst hätte Onay nicht gewonnen. | |
Andrerseits möchte man dem Grünen das Rathaus bei der nächsten Wahl 2026 | |
gern wieder aus der Hand nehmen. Aber wie soll man an Profil gewinnen, | |
indem man grüne Schlüsselprojekte unterstützt? | |
## Misstrauisch beäugte Experimentierräume | |
Im Detail wird ohnehin noch viel zu debattieren sein. Onay wirbt jetzt um | |
Unterstützung für das Gesamtkonzept, aber jede einzelne Baumaßnahme wird | |
dann auch noch die Ratsgremien durchlaufen müssen. Für etliche | |
Einzelmaßnahmen hat die Stadt schon Fördermittel aus Bundesprogrammen | |
eingeworben. Insgesamt sind es rund 20 Millionen Euro. Der Bürgermeister | |
spricht von einem der größten Förderpakete der letzten Jahrzehnte. | |
Doch vieles hat er eben auch nicht allein in der Hand: Die Stadt ist darauf | |
angewiesen, dass andere nachziehen, Gewerbetreibende wie Nutzer sich die | |
gewonnenen Flächen tatsächlich zu Nutze machen. Bei Onays | |
„Experimentierräumen“ – den temporären Platz- und Straßensperrungen, m… | |
denen alternative Nutzungen erfahrbar gemacht werden sollten – war das | |
immer ein großes Thema. | |
Jede freibleibende Bank beim Straßenfest, jedes nicht rund um die Uhr | |
bespielte Turngerät, jeder traurig aussehende Blumenkübel wurde von den | |
Skeptikern aufmerksam registriert, nach dem Motto: Siehste, funktioniert ja | |
nicht. | |
Auch die Planung des öffentlichen Nahverkehrs liegt nicht mehr in den | |
Händen der Stadt – hier ist die SPD-dominierte Region am Zug. Die verkündet | |
zwar auch ehrgeizige Ausbaupläne, störte den sorgsam choreografierten | |
öffentlichen Auftakt für das Mobilitätskonzept aber auch gleich einmal mit | |
der Ankündigung, die Ticketpreise deutlich erhöhen zu wollen. | |
22 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Buergermeisterwahl-in-Hannover/!5634074 | |
[2] https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Politik/B%C3%BCrgerbet… | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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