# taz.de -- Autos in den Innenstädten: Parkraum für Lieferdienste | |
> Private Autos dürfen „für lau“ öffentlichen Raum zuparken. Höchste Ze… | |
> dass die Autos von Vereinen und Gewerbetreibenden Vorrechte bekommen. | |
Bild: Autos zu parken ist ziemlich billig in Deutschland, das muss sich ändern | |
Wer darf eigentlich wann, warum und wo im öffentlichen Raum parken? Eine | |
Frage, die kaum gestellt wird, weil ja eigentlich alles klar scheint: | |
natürlich die Anwohnenden! Doch der Berliner Bezirk | |
Friedrichshain-Kreuzberg hat erforschen lassen, wie oft Verkehrsmittel | |
tatsächlich genutzt werden. Das private Auto der Anwohnenden ist | |
beispielsweise [1][im Kreuzberger Graefekiez] nur noch an 8 Prozent der | |
täglich zurückgelegten Wege beteiligt, Rad und Füße dominieren mit mehr als | |
80 Prozent. Das eigene Fahrzeug wird von sehr vielen mehr als eine | |
Mobilitätsreserve betrachtet. Die gefahrenen Kilometer sinken, die | |
Stehzeiten werden immer länger, und wenn gefahren wird, sitzen im Schnitt | |
nur noch 1,1 Personen im Fahrzeug. | |
Der Bezirk beschloss daraufhin, Parkflächen umzuwidmen und mehr Lade- und | |
Lieferzonen einzurichten. Sie sollten den Parkdruck für das liefernde | |
Gewerbe mindern und für die wachsende Zahl der Kurier-, Eil- und | |
Paketdienste Abstellflächen bereitstellen, damit diese nicht in der zweiten | |
Reihe parken müssen. Doch diese werden wie überall gnadenlos zugeparkt – in | |
der Regel von privaten Pkws. Es gibt nicht genug Parkplätze für alle, und | |
das lässt neue Fragen entstehen: [2][Warum sollte ein privates Auto mit | |
exklusivem Zugang für eine Person mehr als 23 Stunden öffentlichen Raum | |
blockieren], während die Lieferdienste und Gewerbetreibenden ein Viertel | |
beliefern und versorgen und dazu Fahrspuren oder Ausfahrten blockieren | |
müssen? | |
Seit dem Bremer „Laternenparker-Urteil“ des Bundesverwaltungsgerichts aus | |
dem Jahr 1966 ist höchstrichterlich klargestellt: Der öffentliche Raum darf | |
für private Kfz als Abstellraum genutzt werden. Das Gericht stellte fest, | |
dass es offenkundig der Wille des Staates ist, möglichst viele Autos auf | |
der Straße zu haben – und die brauchen bekanntlich Platz. Die Kommunen | |
können bei nachgewiesenem hohen Parkdruck Einschränkungen des Parkens | |
anordnen und den Parkraum auch bepreisen – mittlerweile sogar bis zu einer | |
Höhe der tatsächlich anfallenden Kosten, und das sind rund 3.500 Euro pro | |
Jahr. | |
Davon sind Deutschlands Kommunen aber noch weit entfernt. Das Abstellen | |
eines Fahrzeugs kostet pro Stunde in Frankfurt (Oder) oder Koblenz weniger | |
als 1 Euro, in den teuersten Städten wie Düsseldorf oder Stuttgart immerhin | |
schon 4,50 Euro. Besonders im Fokus der Kommunalpolitik bleiben die | |
Anwohnenden. Hier sind die Kommunen großzügig. Um ein ganzes Jahr im | |
eigenen Wohnquartier parken zu können, [3][verlangt beispielsweise das Land | |
Berlin gerade einmal 10,20 Euro], andere Städte allerdings schon 100 Euro. | |
Das Recht, die Gebühren festzusetzen und damit eine erhebliche | |
Lenkungswirkung zu erreichen, steht allein – in Absprache mit den Ländern – | |
den Kommunen zu. Bislang traut sich hier aber keine richtig heran, denn wer | |
möchte gern Wahlen verlieren. Lieber verzichtet man auf eine Tempo-30-Zone | |
oder einen Fahrradweg wie jüngst in Hannover. Dafür hätte man Stellflächen | |
reduzieren müssen. | |
Aber langsam ändert sich etwas. Denn die Innenstädte veröden. Die Pandemie | |
hat eine Tendenz beschleunigt, die bereits vorher existierte: | |
Demografischer Wandel und Digitalisierung verstärken den Rückzug ins | |
Private. Der öffentliche Raum verliert an Bedeutung, der Einzelhandel, aber | |
auch die Gastronomie und Kultur leiden. Um Innenstadträume wieder zu | |
revitalisieren, beginnt auch ein neues Denken über das Anwohnerparken. Denn | |
alles, was gewerblich unterwegs ist, hat beim Parken auf öffentlichen | |
Flächen keine wirkliche Chance: Nur das Be- und Entladen ist erlaubt, und | |
das nur für 3 Minuten. | |
## Flächen für Carsharing, immerhin | |
Zwar wird immer wieder das längere Verweilen geduldet, und es gibt auch den | |
„Handwerkerausweis“, mit dem das längere Abstellen von Gewerbefahrzeugen | |
geduldet wird. Und es ist gelungen, im Carsharing-Gesetz festzulegen, dass | |
die Länder den Kommunen die Option gewähren können, Flächen für Carsharing | |
im öffentlichen Raum einzurichten. | |
Was passiert mit Autos, die Vereine, gemeinnützige Initiativen, | |
Wohlfahrtsverbände oder Gewerbetreibende im Viertel benötigen? Die für die | |
Lebendigkeit der Stadt sorgen, die dazu beitragen, dass der Kiez lebenswert | |
ist, dass Arbeitsplätze und Kulturangebote erhalten bleiben? Für diese gibt | |
es, noch mal, keine legalen kostenlosen Möglichkeiten, auf öffentlichen | |
Flächen Fahrzeuge abzustellen. Die Straßenverkehrsordnung kennt keine | |
Privilegien innerhalb des motorisierten Verkehrs, außer natürlich für die | |
Anwohnenden, die dürfen immer parken. Große Privilegien gibt es nur in | |
Bezug auf die zu Fuß Gehenden und die Radfahrenden, die sich dem | |
„fließenden Verkehr“ unterzuordnen haben. | |
## Modell Quartiersparken | |
Während der Bezirk Friedrichhain-Kreuzberg mit zugeparkten Lade- und | |
Lieferzonen kämpft, ist es das Verdienst Hamburgs, mit der Idee des | |
„Quartiersparken“ einen neuen Denkansatz in die Debatte eingeführt zu | |
haben. Die Idee dahinter ist, dass der öffentliche Raum für die Anlässe | |
geöffnet wird, die für die Entwicklung eines Viertels notwendig und die | |
bislang von privaten Fahrzeugen blockiert sind. In den geplanten Änderungen | |
der Straßenverkehrsordnung war eine Experimentierklausel für solche | |
Versuche noch formuliert worden. | |
Leider ist die bereits vom Bundestag verabschiedete Novelle im Bundesrat | |
Ende November 2023 abgelehnt worden. Damit bleiben alle Veränderungen im | |
öffentlichen Raum blockiert. Aber die Debatte wird sich nicht aufhalten | |
lassen. Das Recht auf einen privaten Stellplatz im öffentlichen Raum ist | |
schlicht aus der Zeit gefallen und nicht zukunftstauglich. Wenn kein Bäcker | |
mehr da ist, es kein Theater, kein Kino, es kein gar nichts mehr gibt, nur | |
überall Leerstände und dazu noch eine unerträgliche Hitze und mächtige | |
Überschwemmungen kommen, aber das eigene Auto vor der Tür stehen darf: Sind | |
das noch lebenswerte Städte? | |
8 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Anke Borcherding | |
Andreas Knie | |
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