# taz.de -- Sondierungen von Union und SPD: „Was wollen Sie eigentlich noch m… | |
> Friedrich Merz wirbt fast verzweifelt um die Zustimmung der Grünen für | |
> eine Grundgesetzänderung. Der alte Bundestag debattiert über schwarz-rote | |
> Schuldenpläne. | |
Bild: „Weil wir uns nicht auf Ihr Wort verlassen können.“ konstatiert Kath… | |
Berlin taz | Mit einem „fröhlichen Glück auf“ hatte sich Bärbel Bas, die | |
Sozialdemokratin aus dem Ruhrgebiet, am 11. Februar von ihrem alten Job als | |
Bundestagspräsidentin verabschiedet. Es war die letzte Plenarsitzung vor | |
der Bundestagswahl, die eigentlich auch die letzte in dieser | |
Legislaturperiode sein sollte. Bei der Wahl verlor die SPD stark, Bas | |
jedoch verteidigte ihr Direktmandat in Duisburg. Sie gehört jetzt zum | |
Kernverhandlungsteam der SPD für eine schwarz-rote Koalition und wird als | |
mögliche Ministerin gehandelt. | |
[1][Statt in Koalitionsverhandlungen] aber sitzt Bas am Donnerstagmittag | |
wieder an ihrem alten Platz im Bundestag, mitten in diesem grauen Block am | |
Kopf des Plenarsaals, wo unter dem Bundesadler erhöht die Sitzungsleitung | |
thront. Um halb eins ruft sie Top 1 der Tagesordnung auf, die Änderung des | |
Grundgesetzes. Es ist der einzige Tagesordnungspunkt an diesem Donnerstag | |
und der Grund dafür, warum die 733 Abgeordneten der 20. Legislaturperiode | |
zu einer Sondersitzung nach Berlin beordert wurden, obwohl jene der 21. | |
längst feststehen. Sie sollen heute in erster Lesung Änderungen im | |
Grundgesetz beraten, die vor allem eines möglich machen würden: dass der | |
Staat in gewaltigem Umfang mehr Schulden machen kann. | |
Als Friedrich Merz, Fraktionschef der Union und Kanzler in spe, ans | |
Redepult tritt, schallt ihm von der AfD „Wahlbetrüger“ entgegen. Merz hatte | |
im Wahlkampf – wider besseres Wissen – neue Schulden stets ausgeschlossen. | |
Jetzt aber, noch nicht einmal drei Wochen nach der Wahl, versucht er für | |
ein gigantisches Schuldenprogramm eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag zu | |
gewinnen. Dazu setzt er zu einer Art Dreischritt an. Merz betont die | |
weltpolitische Lage, die sich in den vergangen Wochen noch einmal deutlich | |
verschärft habe, und verweist auf die Rede des US-amerikanischen | |
Vizepräsidenten auf der Münchener Sicherheitskonferenz und den Eklat beim | |
Besuch des ukrainischen Präsidenten im Weißen Haus. Er sagt, dass die | |
Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands jetzt absoluten Vorrang | |
habe, dazu aber auch eine starke Wirtschaft und eine funktionierende | |
Infrastruktur gehörten. Das Land stehe „vor einer tiefgreifenden | |
historischen Verantwortung“, so appelliert er an das Verantwortungsgefühl | |
der Abgeordneten. | |
[2][Und er geht inhaltlich auf die Grünen zu, deren Stimmen er so dringend | |
braucht]. Nicht nur Ausgaben für die Bundeswehr, sondern auch solche für | |
Nachrichtendienste, Zivil- und Bevölkerungsschutz sollen nun bei der | |
Veränderung der Schuldenbremse berücksichtigt werden. In das geplante | |
Sondervermögen für die Infrastruktur will Merz nun auch Investitionen in | |
den Klimaschutz aufnehmen. Bis zu 50 Milliarden Euro, sagt er, könnten in | |
den Klimatransformationsfonds fließen – und dieser damit „geheilt“ werde… | |
Robert Habeck, der grüne Nochwirtschaftsminister, grinst fassungslos auf | |
der Regierungsbank. Zur Erinnerung: Mit einer Klage vor dem | |
Bundesverfassungsgericht hatte die Union genau diesem Fonds 60 Milliarden | |
Euro entzogen und so das Ende der Ampelregierung eingeläutet. | |
## Für Merz geht es in diesen Tagen um viel | |
Einen entsprechenden Änderungsantrag, sagt Merz jetzt, hätten Union und SPD | |
gemeinsam am Vormittag eingebracht. „Was wollen Sie eigentlich in so kurzer | |
Zeit noch mehr?“, fragt er dann in Richtung der Grünen. Und man merkt, dass | |
er es noch immer nicht fassen kann, dass sie seinen Vorschlägen nicht | |
einfach folgen. Es sind nicht nur die Grünen, die diese Aussage des | |
CDU-Chefs genauso kaum fassen können: Sie quittieren Merz’ Äußerungen mit | |
lautem Lachen, auch in den Reihen der FDP können die Abgeordneten da kaum | |
noch an sich halten. | |
Für Friedrich Merz geht es in diesen Tagen um viel. In ihren | |
Sondierungsgesprächen haben Union und SPD flugs einen finanziellen | |
Befreiungsschlag erdacht, und zwar gleich doppelt: Verteidigungsausgaben | |
von über 1 Prozent der Wirtschaftsleistung, des sogenannten BIPs, sollen | |
demnach künftig von der Schuldenbremse ausgenommen werden, außerdem soll es | |
ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Investitionen in die | |
Infrastruktur geben. Ohne dieses Geld wird es schwierig mit einer | |
Koalition. Merz könnte also scheitern, bevor er überhaupt Kanzler geworden | |
ist. | |
Doch was weit schlimmer wäre als der Absturz eines ehrgeizigen | |
[3][Christdemokraten, dem jede Regierungserfahrung fehlt:] Dem Land würde | |
in einer dramatischen außenpolitischen Lage weiter eine handlungsfähige | |
Regierung fehlen. Es steht bei dieser und der zweiten Sondersitzung des | |
Bundestags am kommenden Dienstag also einiges auf dem Spiel. | |
Es ist diese historische Verantwortung, die auch Lars Klingbeil anspielt. | |
„Die Nachkriegsordnung ist ins Wanken geraten. Die alte Ordnung ist noch | |
nicht weg und die neue noch nicht da“, sagt der SPD-Chef, der gerne | |
Vizekanzler werden will. Wenn die Ukraine falle, sei auch der Frieden im | |
Rest Europas in Gefahr. Deshalb müsse Deutschland vorbereitet sein. Auch | |
Klingbeil appelliert an die Grünen. „Dynamik und Emotionen“ der vergangenen | |
Wochen müsse man nun aus der Debatte nehmen. | |
## Es braucht eine Änderung des Grundgesetzes | |
Für das frische Geld, so wie Union und SPD sich das vorstellen, braucht es | |
eine Änderung des Grundgesetzes und die ist im Bundestag nur mit einer | |
Zweidrittelmehrheit möglich. Das ist der eigentliche Grund, warum die | |
Abgeordneten heute hier sitzen. Denn im neuen Bundestag reichen dazu die | |
schwarz-roten Stimmen plus die der Grünen nicht. Gebraucht werden dann | |
zudem AfD-Abgeordnete oder Linke. Weil man mit den einen grundsätzlich | |
nicht zusammenarbeiten will und die anderen nicht mehr Geld für | |
Verteidigung lockermachen wollen, soll der alte Bundestag dies kurzfristig | |
noch beschließen. | |
Doch ob das gelingt, ist offen. Erst haben CDU und CSU monatelang die | |
Grünen in Grund und Boden kritisiert, dann hat Schwarz-Rot einen Plan | |
gemacht – und die Grünen nicht einbezogen. Dass diese nicht leicht zu haben | |
sind, das macht Katharina Dröge, die grüne Fraktionschefin, mit einem | |
Frontalangriff auf Friedrich Merz noch einmal ganz klar. | |
Immer wieder hätten die Grünen der Union angeboten, gemeinsam die | |
Schuldenbremse zu reformieren, Merz habe dies „aus Parteitaktik, | |
politischem Kalkül und Wahlkampfgründen“ abgelehnt, sagt Dröge in Richtung | |
Merz. Und: Das Interesse des Landes stehe bei ihm eben nicht an erster | |
Stelle. Auch kritisiert sie, dass bei dem schwarz-roten Änderungsantrag | |
noch immer nicht von „zusätzlichen“ Investitionen die Rede sei. Falls Merz | |
sich frage, warum die Verhandlungen mit den Grünen gerade so liefen, wie | |
sie liefen, dann antworte sie ihm: „Weil wir uns nicht auf Ihr Wort | |
verlassen können.“ Quer durch die Reihen gibt es Applaus für Dröges Rede. | |
Auch die FDP scheint es kaum zu fassen, dass die Grünen die Union daran | |
erinnern müssen, bei der Neuverschuldung Maß zu halten. | |
Die Grünen befürchten, dass Schwarz-Rot mit Hilfe des Sondervermögens für | |
die Infrastruktur über Umwege Wahlgeschenke an die eigene Klientel | |
finanzieren will. Die Mütterrente und die Erhöhung der Pendlerpauschale | |
etwa, auch die Wiedereinführung der Agrardieselsubvention und die | |
Mehrwertsteuerausnahmen für die Gastronomie. All das haben Union und SPD in | |
ihr Sondierungsprogramm geschrieben. Bereits am Montag haben die Grünen | |
verkündet, dass sie den schwarz-roten Vorschlägen nicht zustimmen werden, | |
und einen eigenen Antrag für die Lockerung der Schuldenbremse für | |
Sicherheitsausgaben in den Bundestag eingebracht. Und weil die FDP an der | |
Schuldenbremse festhalten und nur ein Sondervermögen für Verteidigung will, | |
stehen drei verschiedene Gesetzentwürfe hier heute zur Debatte. | |
Auch Dröges Co-Vorsitzende Britta Haßelmann zeigt sich von Merz’ Avancen | |
unbeeindruckt. „Angebote macht man weder per Mailbox noch im Plenum, wenn | |
man will, dass sie Erfolg haben.“ Merz hatte ihr eine Nachricht auf ihrer | |
Voicemail hinterlassen, um die Grünen zur Zustimmung zu bewegen. „Ich | |
zweifle am Verhandlungsgeschick mancher Kollegen“, sagt Haßelmann | |
süffisant. | |
Alexander Dobrindt dagegen wirbt vehement um Zustimmung für das | |
schwarz-rote Vorhaben. Doch anders als Merz bringt der | |
CSU-Landesgruppenchef es nicht über die Lippen, den Namen der Grünen zu | |
nennen. „Es reicht nicht, wenn wir uns gegenseitig erklären, dass die Mitte | |
des Parlaments gestärkt werden muss“, sagt er. Es gelte dann auch, | |
Entscheidungen gemeinsam zu treffen. | |
Die Bundestagsdebatte bietet auch eine Wiederauferstehung der FDP-Fraktion, | |
für die Christian Lindner das Wort ergreift. Er wirft dem CDU-Chef vor, wie | |
ausgetauscht zu sein. „Wer sind Sie und was haben Sie mit Friedrich Merz | |
gemacht“, ruft er unter lauten Lachern aus allen Reihen in Richtung des | |
Oppositionsführers. Es dürfe nicht sein, dass der Staat Kernaufgaben | |
„dauerhaft mit unbegrenzten Schulden finanziert“. | |
## AfD, BSW und Linke kritisieren scharf | |
AfD, BSW und Linke kritisieren die Einberufung des alten Bundestags scharf. | |
„Dieses Vorgehen zeugt von Verachtung des Wählerwillens“, sagt | |
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel, Sahra Wagenknecht spricht von „Verachtung | |
der Demokratie“. Auch die Vorsitzende der Linken im Bundestag, Heidi | |
Reichinnek, wirft Union und SPD vor, ihr Antrag sei „zutiefst | |
undemokratisch“. Der richtige Weg sei es, mit dem neuen Bundestag über eine | |
Reform der Schuldenbremse zu verhandeln. AfD und Linke haben vor dem | |
Bundesverfassungsgericht gegen die beiden Sondersitzungen geklagt. Eine | |
Eilentscheidung gibt es bislang nicht. Die abschließende zweite und dritte | |
Lesung am Dienstag könnte aber möglicherweise aus Karlsruhe noch gestoppt | |
werden. | |
Es ist kurz nach 14 Uhr, als Bärbel Bas sich von ihrem Stuhl in dem grauen | |
Block erhebt und die Sitzungsleitung an eine ihrer Stellvertreterinnen | |
übergibt. Die Aussprache im Plenum wogt weiter hin und her, insgesamt über | |
drei Stunden lang. Dann werden die Anträge zur weiteren Beratung in die | |
Ausschüsse überwiesen, Teile von Union und SPD eilen in die | |
Koalitionsverhandlungen, die am frühen Abend beginnen. | |
Stand jetzt soll der 20. Deutsche Bundestag am Dienstag zu seiner wirklich | |
letzten Sitzung zusammenkommen und über die möglichen Grundgesetzänderungen | |
in zweiter und dritter Lesung entscheiden. Einigen sich Schwarz-Rot und | |
Grün bis dahin nicht, wird es für eine Zweidrittelmehrheit nicht reichen. | |
Im Grundgesetz bliebe alles erst einmal beim Alten, eine gesetzlich neue | |
Grundlage für mehr Schulden gäbe es nicht. Das Sondierungspapier von | |
Schwarz-Rot wäre dann wohl ein Fall für die Tonne. Aber womöglich findet | |
man noch zu einander. Denn die Gespräche gehen weiter. | |
13 Mar 2025 | |
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