| # taz.de -- Slowenien als Gastland der Buchmesse: Die neue Achse des Bösen | |
| > Unter Premier Janša ist die Presse- und Kunstfreiheit in Slowenien | |
| > bedroht. Auch Renata Zamida, Leiterin der Nationalen Buchagentur, wurde | |
| > entlassen. | |
| Bild: Proteste gegen die Regierung in Ljubljana im Februar 2021 | |
| Seit der US-Präsidentschaft von Donald Trump weiß die Welt, dass Slowenien | |
| nicht nur Durchfahrtsland (Richtung Adria) und Herkunftsland (Slavoj Žižek, | |
| Melania Trump) ist, sondern auch von äußerst trumpesken Politikern regiert | |
| wird: Der seit März 2020 zum dritten Mal als Premier seines Landes | |
| regierende Janez Janša hatte als erstes Staatsoberhaupt der Welt dem | |
| Wahlverlierer Trump im letzten Jahr zum Wahlsieg gratuliert. | |
| Aber 2021 sollte Slowenien so richtig groß rauskommen: | |
| EU-Ratspräsidentschaft (Brüssel, ab Juli), Gastland der größten Buchmesse | |
| der Welt (Frankfurt am Main, Oktober) und 30 Jahre Unabhängigkeit | |
| (Ljubljana, 25. Juni). Für den radikalen Rechtspopulisten Janša wären das | |
| die ganz großen Bühnen zur nationalen Egoshow geworden. | |
| Doch es kommt alles etwas anders: Wegen der Pandemie werden die | |
| Unabhängigkeitsfeierlichkeiten eher nicht so üppig. In der EU überschattet | |
| die Sorge um Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit in Slowenien die | |
| bevorstehende Ratspräsidentschaft. Der Auftritt auf der Frankfurter | |
| Buchmesse ist auf 2023 verlegt. | |
| Dass das winzige Alpenvorland (etwa 2 Millionen Einwohner, 47 km | |
| Adriazugang) überhaupt den für Image und Wirtschaft enorm wichtigen Status | |
| eines Gastlandes in Frankfurt erhalten hatte, ist der Erfolg der | |
| slowenischen Buchagentur JAK, der unabhängigen, vom Kulturministerium | |
| eingerichteten und geförderten Institution, die für die Entwicklung und | |
| Promotion des slowenischen Buchmarktes im In- und Ausland zuständig ist. | |
| Oder besser, es ist der Erfolg der Direktorin Renata Zamida, die seit | |
| Jahren unermüdlich daran arbeitet. Oder besser: ehemalige Direktorin. Die | |
| 40-jährige Zamida wurde kürzlich fristlos entlassen. | |
| ## Monatelange Diffamierungskampagne | |
| Ihrer Kündigung ging eine monatelange Diffamierungskampagne regierungsnaher | |
| Medien voraus, die ihr Schlamperei, Unfähigkeit und kriminelle Handlungen | |
| vorwarfen, „böswilliges Gekläffe, die meine Arbeitsleistung schlecht machen | |
| sollten“, sagt Zamida im Gespräch mit der taz. | |
| Das Kulturministerium Sloweniens antwortet auf Anfrage der taz, warum | |
| Zamida entlassen worden sei: Sie habe einige „eklatante Fälle von | |
| professioneller Fahrlässigkeit und einige Verbrechen“ begangen, unter | |
| anderem kein Strategiepapier für die Jahre 2020 bis 2024 vorgelegt, keine | |
| Stipendien an Top-Autoren vergeben und werde der Korruption und irregulärer | |
| Geschäfte wegen der Vergabe von Verträgen an nicht geeignete Kandidaten | |
| verdächtigt. | |
| „Absurd“, kommentiert Zamida die Vorwürfe. „Allein die Sache mit dem | |
| Strategiepapier. Selbstverständlich habe ich das vorgelegt. Allerdings erst | |
| zwei Monate nach der Frist. Unter anderem, weil benötigte Stellungnahmen | |
| von Behörden erst in letzter Minute kamen. Die Frist für diese | |
| obligatorischen Strategiepapiere nicht einhalten zu können, ist aber alles | |
| andere als ungewöhnlich in den Kulturinstitutionen. Bisher hat das | |
| niemanden den Job gekostet.“ | |
| Die eigentlichen Gründe, warum Kulturminister Vasko Simonitis sie loswerden | |
| wolle, vermutet Zamida unter anderem darin, dass der Minister an dieser | |
| exponierten Stelle jemanden haben wollte, der weniger unabhängig, laut und | |
| populär sei. Tatsächlich solidarisierten sich sowohl die Mitarbeiterinnen | |
| Zamidas als auch Hunderte Prominente aus der Literatur- und Kulturszene in | |
| Stellungnahmen und einer Petition mit ihr. „Renata Zamida ist eine | |
| professionelle Kollegin, die meine volle Unterstützung hatte“, sagt der | |
| Präsident des JAK-Aufsichtsrates Slavko Pregl der taz. | |
| Oder besser: ehemaliger Präsident des Aufsichtsrates. Auch Pregl und ein | |
| weiteres Mitglied des Gremiums, das sich hinter Zamida gestellt hatte, | |
| wurden entlassen und durch andere ersetzt. Bei der erneuten Abstimmung über | |
| den Verbleib Renata Zamidas in der JAK stimmten die neuen Mitglieder des | |
| Aufsichtsrates für ihre Entlassung. | |
| Der 71-Jährige Pregl war selbst Direktor der JAK, ist einer der | |
| bekanntesten und ausgezeichneter Autor und Verleger des Landes. „Ich habe | |
| mein ganzes Leben mit Büchern und für Bücher verbracht. Und jetzt wird | |
| jemand Direktor einer Buchagentur, der mit Buchhaltung, aber nichts mit | |
| Büchern zu tun hat.“ | |
| Die Vorwürfe gegen Missliebige wie ihn nennt Pregl „juristisch haltlos und | |
| unanständig“. „Simonitis ist ein Minister ohne Kultur. Er ist bloß ein | |
| Minister, der für Kultur zuständig ist“, sagt Pregl. | |
| „Slowenien bildet mit Ungarn und Polen die neue Achse des Bösen“, sagt | |
| Slavoj Žižek im Gespräch mit der taz. „Wir sind Zeugen des Aufstiegs der | |
| illiberalen Demokratie.“ In der Tat erinnern die Vorwürfe, die Simonitis | |
| Leuten wie Zamida und Pregl macht, in ihrer aufgeblasenen | |
| Lappalienhaftigkeit denen, die aus anderen autokratischen Regierungen | |
| hinlänglich bekannt sind. Im slowenischen Fall von einer Regierung erhoben, | |
| dessen Premier nicht wegen Lappalien, sondern wegen Korruptionsvorwürfen in | |
| Millionenhöhe schon mal sein Amt niederlegen musste und darüber hinaus zu | |
| zwei Jahren Haft verurteilt wurde. | |
| Slowenien galt lange als postkommunistisches Musterland der EU-Integration. | |
| Doch der gute Ruf ist so gut wie ruiniert. Selbst auf seinen Müllhalden und | |
| in seinen besetzten Kulturzentren wirkt Slowenien zwar immer noch wie die | |
| Kehrwoche in Staatsform. Aber seit vergangenem Jahr wird politisch | |
| aufgeräumt, mit schmutzigen Lappen. „Hier finden zur Zeit politische | |
| Säuberungen statt“ sagt Slavoj Žižek der taz. „Renata Zamida sollte nicht | |
| nur ihren Job verlieren. Man wollte sie vernichten, in dem man sie | |
| öffentlich zu diffamieren versuchte. Im 30. Jahr der Unabhängigkeit | |
| Sloweniens sind wir wieder in den 1970ern gelandet, der letzten Dekade des | |
| Hardliner-Kommunismus in Jugoslawien.“ | |
| Die Aufräumarbeiten des Kulturministeriums treffen nicht nur Renata Zamida. | |
| Auch andere, wie die Direktorinnen der Modern Gallery, des Museums für | |
| Zeitgeschichte und des Museums für Architektur werden nicht weiter | |
| beschäftigt. | |
| „Die slowenische Regierung hält alle für kommunistische Linksradikale, die | |
| nicht ihrer Meinung sind“, sagt Žižek. „Am meisten Sorgen bereitet mir ab… | |
| die Vulgarität, mit der Politiker mittlerweile sprechen. Hier werden | |
| ungeschriebene Regeln gebrochen, wofür ihr Deutschen das schöne Wort | |
| „Sitten“ erfunden habt. Das ist nicht strafbar. Aber brandgefährlich.“ | |
| Der Frankfurter Messedirektor Jürgen Boos will die politischen | |
| Entwicklungen des zukünftigen Gastlandes nicht kommentieren. Der taz sagte | |
| er: „Wir waren sehr enttäuscht, dass Renata Zamida nicht mehr für die | |
| slowenische Buchagentur verantwortlich ist. Sie ist eine ausgezeichnete | |
| Literaturvermittlerin. Wir haben ihr viel zu verdanken.“ Er setze darauf, | |
| dass die jetzige slowenische Regierung das Projekt weiter verfolge, in | |
| dessen Rahmen ein „intensiver Kultur- und Meinungsaustausch“ vorgesehen | |
| sei. | |
| Eine rege Meinungstätigkeit findet sich auf der Homepage des slowenischen | |
| Kulturministeriums definitiv. Dort werden – auch auf englisch – angeblich | |
| fehlerhafte Darstellungen in ausländischen Zeitungsberichten korrigiert. Im | |
| Januar wurde sogar der komplette Mailverkehr mit einem Reporter der New | |
| York Times online gestellt. | |
| Zamida hat sich von den Schmutzkampagnen nicht einschüchtern lassen und | |
| geht gegen ihre Entlassung juristisch vor. „Weil ich meine Eigenständigkeit | |
| und Unabhängigkeit bewahrt habe, bin ich für die Regierung eine | |
| Provokation“, sagt sie. | |
| ## Kleines Land, riesiger Buchmarkt | |
| Eigenständigkeit und Unabhängigkeit sind durchaus slowenisches Kulturgut. | |
| So hat das dünn besiedelte und alle paar Kilometer an verschiedene | |
| Landesgrenzen stoßende Slowenien eine gänzlich eigene Sprache. Und hat | |
| vielleicht deshalb eine äußerst hohe Dichterdichte und einen riesigen | |
| Buchmarkt: Jährlich erscheinen hier etwa 5.000 Bücher. Zum Vergleich: in | |
| Deutschland sind es rund 70.000, bei 40-mal mehr Einwohnern. Abgesehen von | |
| Kochbüchern kann man in Slowenien allerdings kaum ein Buch ohne staatliche | |
| Förderung publizieren. Dementsprechend stark ist in der Buchbranche der | |
| Kampf um die Gunst offizieller Stellen. | |
| Vor einigen Jahren beschrieb der auch ins Deutsche übersetzte Autor Aleš | |
| Šteger in seinem so grandiosen wie fantastischen Roman „Archiv der toten | |
| Seelen“ sein Land als groteske Dystopie. Im Zentrum der Erzählung stehen | |
| die Klüngel und Kämpfe um Geld und Einfluss im Rahmen des europäischen | |
| Kulturhauptstadtprogramms 2012 in Maribor: eine durch und durch korrupte, | |
| von Neid, Lügen, Hass, Rache, europäischer Überheblich-, Ahnungs- und | |
| Empathielosigkeit vollgestopfte Hölle. In dieser schloss sich auch der | |
| Autor ein: Er skizzierte sich selbstironisch als Kulturvermittler der | |
| Regierung. | |
| Zur traurigen Wahrheit gehört, dass die Grenze zwischen Gut und Böse nicht | |
| nur in der Fiktion, sondern auch in der Realität nie eindeutig verläuft und | |
| moderne Autokratien Opportunismus einkalkulieren. So ist Šteger | |
| Programmdirektor des Verlags Beletrina, einem der wichtigsten | |
| Literaturverlage Sloweniens. Sein Verlagsdirektor Mitja Čander hatte die | |
| Petition für Zamida nicht unterschrieben. Seit Kurzem ist er im | |
| Aufsichtsrat der JAK. Jenem neu besetzten Gremium, das dafür stimmte, die | |
| Direktorin zu feuern. | |
| 22 Apr 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Doris Akrap | |
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