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# taz.de -- Debütroman „Tschefuren raus!“: Bloß nicht weinen
> Mit seinem Romandebüt wurde Goran Vojnović zum Superstar Sloweniens. Nun
> ist „Tschefuren raus!“ endlich auf deutsch erschienen.
Bild: Goran Vojnović ist bekannt für seine kritische Haltung zum slowenischen…
Wer keinen eigenen Fußballclub hat, mit dem er durch dick und dünn geht,
hat im Prinzip schon verloren. Jedenfalls als Jugendlicher in Fužine, einer
Trabantenstadt in Ljubljana, in der fast ausschließlich Gastarbeiter leben.
Marko ist zwar in Ljubljana geboren, aber auch er ist ein „Čefur“ (in der
deutschen Übersetzung „Tschefur“). So nennen die Slowenen ihre
Gastarbeiter, die fast alle aus dem ehemaligen Jugoslawien und Albanien
kommen. „Čefurji raus!“, entlehnt der deutschem Parole „Juden raus!“
beziehungsweise „Ausländer raus!“, kann man noch heute gesprayt an
Hauswänden Ljubljanas lesen.
Marko, dessen Eltern aus Bosnien stammen, ist die Hauptfigur des irre
komischen, irre rasanten, irre großartigen Romans „Čefurji raus!“ von Gor…
Vojnović, mit dem der 1980 geborene Filmregisseur zum Superstar seines
Landes wurde.
Neben diversen Literaturpreisen und dem Erfolg der von ihm selbst besorgten
Romanverfilmung, brachte ihm „Čefurji raus“ eine Anzeige vom obersten
Polizeipräsidenten Ljubljanas. Der war beleidigt, weil die slowenische
Polizei im Roman als „größte Debile“, „größte Arschlöcher“, „Vol…
„retardierte Irre“, „psychopathische Idioten“, „räudige Hunde“ und…
nahezu Unübersetzbares mehr bezeichnet werden.
## Diskriminierung von Nichtslowenen
Nachdem Vojnović von der Polizei vorgeladen wurde, um zu erklären, was er
da getan hatte, machten sich die Medien über das Vorgehen der Behörde
lustig, skandalisierten es und die Anzeige wurde fallengelassen. Der Roman
nicht.
„Čefurji raus“ wurde ein riesiger Erfolg, auch weil Rassismus und
Chauvinismus der slowenischen Gesellschaft, die gesellschaftliche
Diskriminierung und polizeiliche Schikanierung der Nichtslowenen erstmals
in dieser Form thematisiert wurden. Und auch, weil Vojnović den Roman
vollständig der Perspektive des Ich-Erzählers Marko überlässt und damit den
„Čefurji“ erstmals eine literarische Stimme gab.
Der Vorstadtrowdy Marko Đorđić erzählt darin von dem trostlosen Alltag in
Fužine: „Es gibt keine zufriedenen und glücklichen Fužiner, weil wenn sie
glücklich und zufrieden wären, würden sie nicht in Fužine leben.“ Er
erzählt von den Kleinfamilien, in denen die Väter sich entweder
totschuften, um zu überleben oder sich totsaufen, weil sie arbeitslos
geworden sind. Und von den Müttern: „… was willst du machen, wenn Samira
keine Arbeit hat und keine Voraussetzungen, dass sie eine kriegt.
Die Sprache kann sie nicht, Erfahrungen hat sie keine, was soll dann sein.
Sitzen und leiden.“ Und von den „Gelöschten“, den Menschen, die nach der
Unabhängigkeit Sloweniens 1992 aus dem Einwohnerregister gelöscht wurden,
weil sie keine slowenische Staatsangehörigkeit besitzen und von denen noch
heute geschätzte 18.000 als [1][Staatenlose und behördlich
Nichtexistierende] in Slowenien leben.
## Kein Leben ohne Fußballclub
Marko und seine Freunde Adi, Aco und Dejan sind ganz normale
Vorstadtjugendliche, die sich Pornos reinziehen, der Moderatorin mit den
Highheels aus dem 8. Stock hinterherpfeifen und mit dem Mercedes durch die
Stadt cruisen: „Das ist der größte Spaß. Das ist Leben, und nicht Skilaufen
und Badminton und Sauna und Bowling und diese slowenische
Hinterwäldlerscheiße …That’s Life.“
Hinterwäldlerscheiße bauen freilich auch Marko und seine Freunde. Sie
zünden den Sperrmüll von einem Block an und prügeln den Busfahrer, der sie
an die Polizei verrät, ins Koma. Der einzige Unterschied: Sie haben eben
keinen großen Fußballclub, für den sie alles tun würden, weil Ljubljana,
anders als Belgrad, Sarajevo oder Zagreb, keinen großen Fußballclub hat.
Marko erzählt einerseits davon, wie abschätzig die Tschefuren von
Kellnerinnen, Lehrerinnen und Basketballtrainern behandelt werden („Am
meisten nervt mich, wenn sie schreiben: Marko Djordjič. Arschlöcher,
analphabetische.“) und von den Träumen der Kinder: „Kein Kind hat jemals
davon geträumt, dass es dreißig Jahre lang von den Leuten schräg angesehen
würde, weil es die verdammten slowenischen Wörter nicht richtig betonen
kann … Wir alle träumen von einer Villa in Beverly Hills und Urlaub auf den
Bermudas … von Rolex und all diesen italienischen Schwuchteleien …“.
Aber als Marko Slowenien Richtung Bosnien, der Heimat seiner Eltern,
verlässt, sieht er sich erneut stigmatisiert: „Klaro, wenn du aus Ljubljana
bist, bist du ein Janez. So ist das nun mal. Nicht wichtig, ob du Tschefur
oder Slowene oder Zigo Žarko bist, für die da unten bist du ein Janez. So
nennen sie alle, die in Slowenien wohnen, und da ist es egal, ob jemand
einer von ihnen ist oder nicht. Wir sind alle Janeze … Janez sein in
Bosnien, das ist ein ganz neuer Frust.“
## Lässt auch an den Tschefuren kein gutes Haar
Die Größe des Romans liegt darin, dass Marko auch an den Tschefuren kein
gutes Haar lässt und deren eigene Beschränktheit, Schicksalsergebenheit und
hinterwäldlerlischen Stolz aufs Korn nimmt. „Mirsad ist so ein typischer
Gastarbeiter, dass du ihn nicht verfehlen kannst.
Aus dem Flugzeug erkennst du den. Er kommt nach Fužine und drosselt schön
seinen Merđo (Slang für Mercedes, Anm. d. Red.), lässt die Scheiben runter,
dreht die Musik auf bis zum Anschlag und fährt dann direkt vor den Block,
und das immer auf den Behindertenparkplatz.“
Marko erzählt von den rabiaten Erziehungsmethoden, die heilige
Unantastbarkeit von Schnaps, Sport, Stolz und Ehe („wenn du bei einem
Tschefur das Wort Scheidung nur in den Mund nimmst, wird er käsebleich“).
Und er entlarvt das Heiligste, den Humor.
Das Sprücheklopfen und Witzemachen, für das die Tschefuren, diese lustigen
Gesellen so berühmt sind – beispielsweise der Witz, Fužine sei ein
Olympiadorf, weil alle in Trainingsanzügen rumlaufen und jeder eine andere
Sprache spricht – sei eigentlich nichts anderes als das Überspielen der
kompletten Unfähigkeit, sich ganz normal zu unterhalten. Diese Unfähigkeit
ist auch der Grund, warum sich die Eltern der Kinder immer nur anschreien
und kein Kind mit seinen Eltern redet, außer im Streit.
## Deutsche Übersetzung von Klaus Detlef Olov
Dass „Tschefuren raus!“, der 2008 in Slowenien erschien, erst jetzt auf
Deutsch publiziert wird, liegt ebenfalls an der Sprache. Denn verfasst ist
der Roman im Fužiner Jugendslang. [2][Der österreichische Folio Verlag],
der die beiden Nachfolgeromane Vojnović’ („Vaters Land“ und „Unter dem
Feigenbaum“) publizierte, hat dem Übersetzer Klaus Detlef Olov die Zeit
gelassen, die er braucht.
Und es hat sich gelohnt. Auch wenn man keine Ahnung von serbokroatischen
Schimpfwörtern, Witzen, Anspielungen hat, verfällt man dem Helden des
Buches allein wegen seiner präzis-vulgären Sprache, seiner absurd komischen
Wut, den hinreißenden Beschreibungen seines Kampfes darum, bloß nicht zu
weinen.
Die deutsche Übersetzung kommt zudem pünktlich zum slowenischen
EU-Ratsvorsitz unter dem [3][amtierenden Premier Janez Janša]. Goran
Vojnović ist berühmt für seine ultrakritische Haltung zu dem populistischen
Premier, die er unter anderem in seiner Kolumne in der linken Tageszeitung
Dnevnik veröffentlicht.
So wie Janša immer noch die Gegenwart Sloweniens bestimmt, obwohl er seit
den späten 1980er Jahren bereits zwei Mal im Gefängnis saß (einmal aus
politischen Gründen, einmal wegen Korruption), so beschreibt auch Vojnović’
Roman noch immer die Gegenwart Sloweniens. Und nicht nur die.
Obwohl er über die slowenischen Spezialitäten, Mentalitäten, Sprachen und
Besonderheiten erzählt, steht der Roman für eine gesamteuropäische, wenn
nicht globale Erfahrungsgeschichte, die so gut wie jeder Arbeitsmigrant so
oder ähnlich erzählen könnte.
Vojnović hat dieser globalen Schicht ein Denkmal gesetzt, das weder
heroisch noch dämonisch ist. Sondern eines, das ohne Kitsch, aber mit
großer Unterhaltungskunst die menschlichen Ruinen der postindustriellen
Depression zeigt.
19 Jul 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Doris Akrap
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Roman
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