# taz.de -- Debütband von Ana Schnabl: Beobachterin der Abgründe | |
> Die slowenische Autorin Ana Schnabl schreibt über Menschen in der Krise. | |
> „Grün wie ich dich liebe grün“ erzählt von Sucht und Depressionen. | |
Bild: Autorin Ana Schnabl begleitet ihre Protagonist*innen sprachlich brillant … | |
„Grün wie ich dich liebe grün“ heißt es in der Übersetzung eines Gedich… | |
von [1][Federico García Lorca], das zu den bekanntesten des spanischen | |
Dichters gehört. Grün, heißt es in einem Aufsatz der US-amerikanischen | |
Professorin Frieda Blackwell, stünde dort als Zeichen des Lebens, der | |
Fruchtbarkeit und der Attraktivität – aber auch als Symbol der Frustration | |
und des verbotenen Begehrens. Als Letzteres nimmt es die Schriftstellerin | |
Ana Schnabl in einer ihrer Geschichten auf. | |
„Als er den Kopf hob, richteten sich seine durchdringenden grünen Augen | |
direkt auf mich. Tief auf mich“, beschreibt die Ich-Erzählerin Eva ihre | |
Begegnung mit Lev. Ein Blick besiegelt, worum es auf den folgenden Seiten | |
gehen wird: die Erfüllung einer sexuellen Sehnsucht, für die Eva ihre Ehe | |
riskiert und deren Dringlichkeit ebenso schnell abklingt, wie sie aufkam. | |
„Zwischen uns vermochte sich auch jetzt kein Gespräch zu entwickeln, nach | |
der offengelegten Leidenschaft.“ | |
Eva ist nur eine von vielen Protagonist*innen im Debüt der slowenischen | |
Autorin Ana Schnabl, in dem sie insgesamt zehn unterschiedlich lange | |
Geschichten versammelt. Schnabl, die 1985 in Ljubljana geboren wurde, | |
beschreibt sich im Gespräch selbst als Beobachterin: „Ich bin kein | |
besonders sozialer Mensch, ich habe nicht viel mit der Welt zu tun, aber | |
ich beobachte sie oft von außen.“ | |
Das Observieren und Analysieren hat sie zur Profession gemacht, promoviert | |
sie doch gerade in psychoanalytischer Theorie. Auch in ihrem Buch, das den | |
von Lorca inspirierten Titel „Grün wie ich dich liebe grün“ trägt, macht | |
sich Schnabl ihre Leidenschaft zunutze. Sprachlich brillant seziert sie | |
Schicht um Schicht ihrer Charaktere, bis deren Ängste und Abgründe vollends | |
sichtbar werden. | |
## Abweichungen vermeintlicher Normen | |
Der Ehebruch in der titelgebenden Geschichte ist dabei die harmloseste | |
[2][Abweichung von einer vermeintlichen Norm]. Schnabls Figuren befinden | |
sich alle auf ihre Weise in einer Krise. Gebeutelt von Störungen und | |
Süchten, aber auch von bloßer Scham und von Minderwertigkeitskomplexen, | |
versuchen sie ihren [3][Alltag zu bewältigen]. | |
Wie schwer das sein kann, zeigt die erste Geschichte „Trittico“, in der | |
eine namenlose junge Frau in der Warteschlange einer Apotheke steht. Sie | |
leidet an Depressionen (der Titel bezieht sich auf ein Medikament zur | |
Behandlung dieser Krankheit), gepaart mit Angststörungen, die den scheinbar | |
banalen Akt des Anstehens zur Kür werden lassen. | |
Umtrieben von Selbsthass vergleicht sie sich mit den Umstehenden, stets die | |
persönlich empfundene Unzulänglichkeit im Bewusstsein: „Herzlich gern würde | |
ich die fettige Strähne unter der Achsel wegziehen, aber ich fürchte, dass | |
ich dazu den Arm heben, den Schweißring entblößen müsste, und gleichzeitig | |
würde die katzenhaft attraktive junge Frau vor mir mitbekommen, wie viel | |
Mühe ich investiere, um anständig auszusehen.“ | |
Durch die Ich-Perspektive, aus der Schnabl ihre Geschichten erzählt, kommt | |
man den Protagonist*innen fast schon unangenehm nahe. Denn identifizieren | |
möchte man sich eigentlich nicht mit deren oftmals beklemmenden Umständen. | |
## Brutale, schwer zu ertragende Ehrlichkeit | |
Wie in „Das Kind“, wo eine frisch gebackene Mutter ihr Neugeborenes nicht | |
zu lieben vermag: „Seine kurzen Glieder ragten in den Raum und wanden sich | |
grotesk, seine Haut war fettig, blutig, ekelig. Es schrie, röchelte, | |
atmete.“ Für den*die Leser*in ist die brutale Ehrlichkeit in Schnabls | |
Erzählungen zuweilen schwer zu ertragen. | |
Und doch ist man ständig fasziniert von diesen Figuren – meist Frauen –, | |
die so gut um ihren jeweiligen desolaten Zustand wissen, ihn reflektieren | |
und analysieren, sich daraus aber nicht befreien können. Schnabl ist ihnen | |
stets nah, immer verständnisvoll, nie moralisierend oder verurteilend | |
begleitet sie sie in ihren dunkelsten Stunden. Für die an postnataler | |
Depression Erkrankte bedeutet das schlussendlich ein Aufenthalt in der | |
Psychiatrie, für eine unter Magersucht leidende Jugendliche sogar den Tod. | |
Weniger hart trifft es den Protagonisten der mit knapp 60 Seiten längsten | |
Geschichte. Der junge Mann ist exzessiver Kiffer und pflegt seine | |
Leidenschaft so gründlich, dass ihm kein produktiver Alltag möglich ist. | |
Als seine Freundin sich dessen bewusst wird, muss er aus der gemeinsamen | |
Wohnung aus- und wieder zurück nach Hause ziehen. | |
## Anerkennung fremd erscheinender Verhaltensweisen | |
Während in den übrigen Geschichten neben Ablehnung auch immer Zuneigung – | |
zumindest aber Mitleid – mit den Unglückseligen aufkommt, gelingt es | |
Schnabl hier nicht, Empathie für diesen Stoner zu wecken. | |
Denn statt sich eine Veränderung auch nur zu wünschen, suhlt der sich | |
lieber in seiner Sucht – was in etwas zu langatmigen, fast einseitigen | |
Ausführungen mündet. Und doch verfügt auch dieser Charakter über ein | |
erstaunliches Maß an Selbstreflexion: „[Sie wissen], dass die treibende | |
Kraft des zentralen Problems meine extreme Verwöhntheit ist, aufgepfropft | |
auf ein Muster extremer Verantwortungsverweigerung.“ | |
Alles, was Empörung und Unverständnis auszulösen droht, nimmt Schnabl so | |
vorweg und offenbart der*dem Lesenden, was sie*ihn an den Erzählungen am | |
meisten fordert: das Anerkennen fremd erscheinender Verhaltensweisen. | |
12 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Umstrittene-Exhumierung/!5154883 | |
[2] /DDR-Lebenswelten-im-Kinderbuch/!5489350 | |
[3] /Psychische-Belastung-in-der-Corona-Krise/!5692717 | |
## AUTOREN | |
Sophia Zessnik | |
## TAGS | |
Buch | |
Erzählungen | |
Slowenien | |
Depression | |
Sucht | |
Roman | |
Buch | |
Suizid | |
Roman | |
taz.gazete | |
Roman | |
Zeugen Jehovas | |
Reisen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debütroman über dysfunktionale Familie: Lauter Schieflagen | |
Yade Yasemin Önder lässt es scheppern. In ihrem Debüt „Wir wissen, wir | |
könnten, und fallen synchron“ erzählt sie von körperlichen Exzessen. | |
Debütroman „Tschefuren raus!“: Bloß nicht weinen | |
Mit seinem Romandebüt wurde Goran Vojnović zum Superstar Sloweniens. Nun | |
ist „Tschefuren raus!“ endlich auf deutsch erschienen. | |
Isabel Bogdan über ihren Roman „Laufen“: „Es wird immer eine Wunde bleib… | |
In Isabel Bogdans Roman „Laufen“ joggt eine Frau, deren Partner sich das | |
Leben nahm, zurück ins Leben. Dem spürt der Schreibrhythmus sensibel nach. | |
Historien-Roman: Die Unglücklichen | |
Welche Geister der Vergangenheit spuken in diesem Haus? Andreas Schäfers | |
Roman „Das Gartenzimmer“ handelt von hundert Jahren einer Villa. | |
Buch „Vom Arbeiterkind zur Professur“: Die lebenslange Unsicherheit | |
Deutsche Bildungseinrichtungen kompensieren nicht etwa soziale | |
Ungleichheit, sondern reproduzieren sie. Das zeigen 19 autobiographische | |
Essays. | |
„Jägerin und Sammlerin“ von Lana Lux: Was die Körper erzählen | |
Eine Geschichte vom Aufwachsen in der Fremde, Bulimie und einer schwierigen | |
Mutter-Tochter-Beziehung. All das vereint Lux in ihrem zweiten Roman. | |
Stefanie de Velascos „Kein Teil der Welt“: Eine Überlebende des Harmagedon | |
Vom Rheinland in die Ex-DDR – Velasco erzählt von einer Jugend bei den | |
Zeugen Jehovas. Aktuell streikt die junge Autorin wegen der Klimapolitik. | |
Reiseschriftstellerin Alma Karlin: Lesbe, Spionin und merkwürdige Frau | |
Alma Karlin bereiste in den 1920ern trotz schwerer Behinderung fünf | |
Kontinente. Ihre Bücher waren Bestseller. Jetzt wird sie wiederentdeckt. |