# taz.de -- Fahrraddemos in Slowenien gegen Premier Janša: Er ist wieder da | |
> Der Rechtspopulist Janez Janša regiert das Land an der Adria schon zum | |
> dritten Mal. Nun regt sich Widerstand gegen die Attacken auf den | |
> Kulturbetrieb. | |
Bild: Vorgefahren: DemonstrantInnen vor dem Präsidentenpalst in Ljubljana | |
LJUBLJANA taz | Der Begriff „Beschaulichkeit“ hätte auch in Ljubljana | |
erfunden worden sein können. Die slowenische Hauptstadt mit ihren | |
unzähligen Brücken und Brückchen, die über die Ljubljanica führen, ist | |
längst ein Magnet für Touristen aus aller Welt geworden. Doch in Zeiten der | |
Pandemie sieht man in der Innenstadt fast nur noch Einheimische – und in | |
dieser Woche Polizeibeamte in voller Kampfmontur. Ausgerechnet am | |
nationalen Unabhängigkeitstag sieht Ljubljana aus wie eine besetzte Stadt. | |
Vor 29 Jahren hatte die kleine Republik zwischen Alpen und Adria ihre | |
Unabhängigkeit gewonnen; und manche Bürger stellen sich gerade die Frage, | |
ob die Slowenen mit ihrer neugewonnenen Freiheit wirklich etwas anzufangen | |
wissen: Zum nunmehr dritten Mal hat der rechtspopulistische Politiker Janez | |
Janša die Regierungsgeschäfte übernommen, nachdem die vorangegangene | |
Koalition von Marjan Šarec beendet worden war. Der hatte auf für ihn | |
gewinnbringende Neuwahlen gehofft, stattdessen war es Janša gelungen, eine | |
Koalition seiner SDS mit Abgeordneten der liberalen SMC, der | |
Pensionistenpartei DeSUS und der christdemokratischen NSi zu schmieden. | |
Seitdem herrscht Unruhe im Land: Der Amtsantritt des Orbán-Freundes Janša | |
fiel mit dem Beginn des Covid-19-Lockdowns zusammen, sodass sich viele | |
Slowenen regelrecht in der Falle fühlten. Janša, ein Mann alter | |
kommunistischer Parteischule aus der Zeit Jugoslawiens, hatte nicht lange | |
damit gezögert, die Führung von Militär, Polizei und Innenministerium in | |
seinem Sinne neu zu besetzten – letzter Höhepunkt, der für Aufsehen auch in | |
Brüssel sorgte, war die Entfernung des Leiters des Nationalen Amtes für | |
Statistik. | |
## Attacken auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen | |
Doch auch zahlreiche kulturelle Institutionen wie das Museum für Moderne | |
Kunst sehen sich [1][Attacken] ausgesetzt wie zuvor nur der | |
öffentlich-rechtliche Fernsehsender RTV. Dessen MitarbeiterInnen hatte der | |
Ministerpräsident via Twitter unter anderem als „überbezahlt“ bezeichnet, | |
Parteifreunde pöbelten Journalistinnen via Social Media als „abgehalfterte | |
alte Nutten“ an. | |
Bei vielen Slowenen gibt es die Befürchtung, dass dieser „Elitenumbau“ nach | |
und nach das ganze Land betreffen könnte – und sie stemmen sich dagegen. So | |
wie Jaša Jenull. Der Theaterregisseur organisiert seit Wochen Proteste in | |
der Hauptstadt. „Angefangen hat alles mit einem Video, das ich beim Joggen | |
gedreht habe“ erzählt Jenull in der LP-Bar in der Akademie der Künste. Das | |
war zu Beginn des Lockdowns, als Versammlungen unmöglich erschienen. | |
Es folgten Sprechchöre auf Balkonen, Aktivisten malten mit Kreide kritische | |
Botschaften auf den Platz vor dem Kongress. „Allein dafür wurde ich bereits | |
verhaftet“, erzählt Jenull lachend. Wenig später trauten sich die | |
AktivistInnen dann von ihren Balkonen auf die Straßen – und zwar auf dem | |
Fahrrad. Seitdem treffen sie sich jeden Freitag zu [2][Fahrraddemos], an | |
denen in der Hochzeit bis zu 10.000 Menschen teilgenommen haben. Sogar in | |
Berlin hatten sich im letzten Monat Teile der Diaspora zur Protestfahrt vom | |
Brandenburger Tor in Richtung der Slowenischen Botschaft in Berlin-Mitte | |
aufgemacht. | |
Theatermann Jenull setzt auf Witz und Kreativität: „Man sagt nun, dass | |
Janša selbst der Hauptorganisator der Proteste ist... aber im Ernst: Der | |
Mann ist eine Gefahr für die Demokratie. Und er spaltet das Land. In Links | |
und Rechts, in Ljubljana und den Rest, in ein ‚Wir‘ und ein ‚Die‘. Ich … | |
jetzt 39 Jahre alt und ich kann es einfach nicht mehr hören, der Mann ist | |
ja wie Dracula, ein Untoter.“ | |
Jenull lässt nicht locker: „Wir müssen den Druck erhöhen.“ Dafür wird er | |
auch persönlich attackiert. Im Janša-nahen Privatsender Nova24, der aus dem | |
Umfeld von Victor Orbán finanziert wird und eine Art Fox News mit | |
bescheideneren Mitteln ist, wurde er neulich mit Mussolini verglichen. | |
Seine Mutter, die in der öffentlichen Verwaltung tätig ist, wurde der | |
Korruption verdächtigt. | |
Doch Jenull will sich nicht einschüchtern lassen – muss er auch nicht, weil | |
er sein Geld international verdient: „Viele haben Angst, sich mit den | |
Machthabenden anzulegen, weil sie berufliche Nachteile fürchten.“ Er selbst | |
hat eher Angst, dass die bislang neutrale Polizei vom neuen Innenminister | |
unter Druck gesetzt werden könnte, aggressiver gegen die Protestierenden | |
vorzugehen – wenig später veröffentlicht er auf Facebook den Livestream | |
seiner vorübergehenden Festnahme, am nächsten Tag [3][Fotos] zahlreicher | |
blauer Flecken. | |
Ranka Ivelja ist Journalistin und Kolumnistin bei der slowenischen | |
Tageszeitung Dnevnik – und hat eine Erklärung dafür, dass sich Janez Janša | |
mit solch Aufsehen erregender Verve gegen Journalisten wendet, obwohl er | |
selbst in den achtziger Jahren für das bekannte Magazin Mladina tätig | |
gewesen war: „Aus den Tagen des Unabhängigkeitskampfes heraus hasst er alle | |
Linken, und die Journalisten hierzulande sind nun einmal eher links. Für | |
ihn sind auch die Demonstrierenden schlicht Kommunisten, die sind für ihn | |
an allem Schuld.“ Dementsprechend misstraue er auch Kulturschaffenden und | |
NGO-MitarbeiterInnen. Ranka Ivelja beobachtet die Aktivitäten der neuen | |
Regierung dennoch nüchterner: „Als nächstes werden sie eine | |
Gesetzesänderung versuchen, damit das Militär im Inneren eingesetzt werden | |
kann – aber im Moment gibt es ja nicht so viele Migranten...“ | |
## Vetternwirtschaft, Korruption, Bereicherung | |
Sie attestiert Janša gute Fähigkeiten in Fragen der Organisation – im Land | |
sagen viele, dass der Ministerpräsident das Land gut über die Pandemie | |
gebracht habe, inklusive rascher Beschaffung von Masken und | |
Beatmungsgeräten. Wenngleich es bei den Masken zu einem Déjà-vu-Erlebnis | |
gekommen war: Öffentliche Gelder, die für die Beschaffung von Masken | |
vorgesehen waren, tauchten auf dem Konto der Mutter eines Ministers auf. | |
Seine letzte Amtszeit hatte Janša aufgrund eines | |
Rüstungskorruptionsskandals vorzeitig beenden müssen. | |
Es ist die immer gleiche Vetternwirtschaft, die Klientelpolitik, die | |
Korruption, die die Leute in dem eigentlich wohlhabenden Land ermüdet. | |
Weshalb die Philosophin Alenka [4][Zupančič], eine Žižek-Schülerin, die | |
Meinung vertritt, dass es längst nicht mehr ausreicht, einfach nur gegen | |
Janez Janša zu sein: „Es braucht einen wirklichen Politikwechsel, eine | |
Agenda. Für die Linke ist es einfach nur der Weg des geringsten möglichen | |
Widerstands, gegen Janša zu sein.“ | |
Auch sie blickt eher kühl auf Janša, der als alter Parteikader erfolgreich | |
sowohl im Beschaffen von Masken als auch im „Blitzkrieg“ im Inneren sei, | |
wie sie sagt. „Janša schafft es immer wieder, einen politischen Rahmen zu | |
setzen, aber er verliert deutlich an Grip“, erklärt Zupančič, sie spricht | |
sehr schnell und präzise. Sie hat Zeit für einen Kaffee, unter ihrem | |
dunklen Blazer trägt sie ein T-Shirt, das die Weltraum-Hündin Laika zeigt. | |
„Wir haben es in Slowenien mit einem in sich rotierenden politischen System | |
zu tun, die Leute kommen also immer wieder. Es ist ein immerwährender | |
neoliberaler [5][Ausverkauf]. Man muss ein Land und seine Infrastruktur | |
aber ja vor allem erhalten.“ | |
Zupančič ist für einen Moment wirklich erregt. Sie geht zu den | |
Freitagsprotesten, wenn auch nicht mit dem Fahrrad: „Das System kollabiert, | |
nicht nur in Slowenien, das bedeutet aber nicht, dass wir ein | |
kommunistisches Paradies bekommen. Es verändert sich bereits alles, jetzt | |
geht es um die Richtung. So etwas wie eine kollektive Perspektive kehrt | |
zurück, bei gleichzeitigem tiefen Misstrauen gegenüber den bestehenden | |
Strukturen – das Helikoptergeld wird nur eine Weile für Beruhigung sorgen.“ | |
Alenka Zupančič hofft auf die neue Generation, zuletzt hatte sich das Land | |
einigermaßen von der Wirtschaftskrise im Jahr 2007 erholte, nach der viele | |
junge Slowenen das Land verlassen hatten. „Und wir müssen die Gelder, die | |
wir jetzt von der EU bekommen, in die staatliche Infrastruktur stecken. Ich | |
bin da aber nicht optimistisch. Ich fürchte, sie werden nun auch noch das | |
Gesundheitssystem privatisieren, bei der nächsten Krise ist es dann | |
kaputt.“ | |
Neuwahlen – auf dieses kurzfristige Ziel können sich die meisten | |
Protestierenden einigen. Und auch darauf, dass Levica, die derzeit stärkste | |
Oppositionspartei, die bislang noch nicht in Regierungsverantwortung stand, | |
am ehesten für eine Hoffnung auf Wandel steht. Auch, weil Levica das Thema | |
Umwelt auf der Agenda stehen hat. | |
## Letzte Hoffnung: Die Pensionisten | |
Nataša Sukič sitzt für die Partei im Parlament – und kann nicht verstehen, | |
dass man entspannt auf Janša schauen kann: „Wir verlieren unsere | |
Demokratie“, sagt sie und der Blick aus ihren dunklen Augen wird dringlich. | |
Auch sie hat sich Zeit für ein Gespräch mit einem deutschen Journalisten | |
genommen, obwohl sie davon ausgeht, dass „Slowenien alleine mit der | |
Situation fertig werden muss“, es gibt im Land kaum Hoffnung auf Druck von | |
außen. | |
Hoffnung richtet sich momentan ausgerechnet auf die Partei der Pensionisten | |
DeSUS – würde sie aus Janšas Koalition ausscheren, wäre der | |
Ministerpräsident, dessen SDS keine Mehrheit vorweisen kann, | |
aufgeschmissen. Gleichzeitig müssen die Pensionisten als einzige Partei | |
nicht um ihre Wiederwahl fürchten und sind daher angstfrei. „Wenn jetzt | |
Wahlen wären, würden alle außer DeSUS rausfliegen“, sagt Nataša Sukič. | |
Levica konzentriert sich derweil auf die Mittel der parlamentarischen | |
Opposition, beantragt Dringlichkeitssitzungen, versucht, Druck aufzubauen. | |
„Im Parlament habe ich ihn gefragt, wann er denn zurücktritt. So was macht | |
ihn nervös“, erklärt sie lächelnd, doch die Sorge ist vorherrschend. „Die | |
Arbeitslosenquote ist die zweithöchste in Europa, die Touristen bleiben weg | |
wegen Corona, und was wird aus der Automobilzuliefererindustrie?“ | |
Zum Abschied erinnert die Politikerin daran, dass gerade noch mehr auf dem | |
Spiel steht: Unter Janez Janša bewegt sich das kleine Slowenien, das die | |
Rolle einer Schnittstelle zwischen Mitteleuropa und den Balkan-Staaten inne | |
hat, deutlich in Richtung der Visegrád-Koalition. Und Janša-Freund und | |
Förderer Orbán hat erst neulich das Bild eines Globus gepostet, das | |
Groß-Ungarn abbildet, inklusive slowenischer und kroatischer Territorien. | |
Von Janez Janša keine Reaktion. Nicht einmal auf Twitter. | |
27 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.theguardian.com/world/2020/may/04/janez-jansa-new-pm-slovenia-i… | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=QYKr00vTIyQ&feature=youtu.be | |
[3] https://www.facebook.com/photo?fbid=10223674322189268&set=pcb.102236743… | |
[4] https://www.merve.de/index.php/book/show/417 | |
[5] /Europa-in-der-Krise/!5212470/ | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
## TAGS | |
Slowenien | |
Viktor Orbán | |
Visegrad-Gruppe | |
Rechtspopulismus | |
Protest | |
Frauen in Führungspositionen | |
Slowenien | |
Slowenien | |
Kolumne Die eine Frage | |
Viktor Orbán | |
Slowenien | |
Janez Jansa | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Slowenien nach Janša: Er ist dann mal weg | |
Das Land steuerte auf eine illiberale Demokratie zu. Nun ist die Regierung | |
Golob im Amt. Vor allem die Frauen im Land atmen auf. | |
Botschafter-Ehepaar über Jobsharing: „Nicht als Konkurrenz begreifen“ | |
Natalie Kauther und Adrian Pollmann sind verheiratet und teilen sich den | |
Botschafter:innen-Posten in Slowenien. Das ist ein Novum in der deutschen | |
Diplomatie. | |
Slowenien als Gastland der Buchmesse: Die neue Achse des Bösen | |
Unter Premier Janša ist die Presse- und Kunstfreiheit in Slowenien bedroht. | |
Auch Renata Zamida, Leiterin der Nationalen Buchagentur, wurde entlassen. | |
Liberale Politik und Populismus: Warum wurde Donald Trump gewählt? | |
So richtig scheinen wir das immer noch nicht verstanden zu haben. Aber es | |
wäre wichtig, damit wir die Ursachen verstehen und überwinden. | |
Regierungsbildung in Slowenien: Orbán-Freund bald wieder im Amt | |
Der rechtskonservative Politiker Janez Janša war in Korruptionsskandale | |
verstrickt. Jetzt soll er eine neue Mitte-Rechts-Regierung bilden. | |
Kommentar Wahlen in Slowenien: Ein Rechtsruck sieht anders aus | |
In Slowenien ist es nicht so einfach, den Schalter zum Rechtspopulismus | |
umzulegen. Jetzt sind die linken Parteien am Zug. | |
Parlamentswahl in Slowenien: Die Rechte gewinnt | |
Die Rechtskonservativen um Ex-Premier Janez Janša sind die Sieger der Wahl | |
in Slowenien. Doch an der Regierung werden sie nicht beteiligt sein. |