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# taz.de -- Grenzziehungen auf dem Balkan: Ein Papier mit Sprengkraft
> „Ethnisch reine“ Staaten auf dem Balkan? Ein Vorschlag, der offenbar von
> Sloweniens rechtspopulistischer Regierung stammt, sorgt für Aufregung.
Bild: Ein Kroate deutet von Istrien aus auf das Grenzgebiet zwischen Kroatien u…
Sarajevo taz | Ein Papier mit dem Titel „Westbalkan – der Weg nach vorn“
hat die politische Szene auf dem Balkan aufgewühlt. Dem Dokument zufolge
sollen die Grenzen von Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Serbien
und Nordmazedonien neu gezogen werden.
Das sogenannte Non-Paper ist am Freitag auf dem slowenischen
Nachrichtenportal [1][Necenzurirano ] veröffentlicht worden. Hinter dem
Papier, das weder unterzeichnet noch an jemanden adressiert ist, soll der
slowenische Ministerpräsident Janez Janša stecken.
Janša ist ein Freund des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und
ein Rechtspopulist, der für ein halbes Jahr eine führende Rolle innerhalb
der EU einnehmen wird. Am 1. Juli 2021 wird Slowenien die
EU-Ratspräsidentschaft übernehmen.
Janša ist ein glühender Anhänger des ehemaligen US-Präsidenten Donald
Trump. So war er der einzige Europäer, der Trump nach seiner Niederlage
gegen Herausforderer Joe Biden im vergangenen Jahr zu seinem angeblichen
Wahlsieg gratulierte. Dies hatte bereits für Unbehagen in Europa und Unruhe
vor allem auf dem Balkan gesorgt.
## Für Bosniaken bliebe wenig übrig
Aufregung verursachen nun vor allem die in dem Non-Paper enthaltenen
Vorschläge, zum einen die Abspaltung des bosnisch-serbischen Teilstaats
Republika Srpska zu erlauben und zum anderen die Grenzen in Nordmazedonien
und Albanien neu zu ziehen. Die Albanergebiete in Nordmazedonien sollen
demnach zu Kosovo-Albanien kommen, Teile Kosovos zu Serbien.
Im Kern fordern die Autoren des Papiers also die Bildung ethnisch reiner
Nationalstaaten: Großserbien, Großkroatien und Großalbanien. Bosnien und
Herzegowina wäre damit zwischen Kroatien und Serbien aufgeteilt. Nur ein
kleiner Teil des Landes bliebe für die Bosniaken übrig.
Nach Informationen von Necenzurirano hat unter anderem Albaniens Präsident
Edi Rama das Dokument erhalten. Auch an EU-Ratspräsident Charles Michel
soll es im Februar übergeben worden sein. Dessen Büro bestätigte den Erhalt
des Non-Papers laut Medienberichten jedoch nicht, dementierte den Erhalt
allerdings auch nicht.
Die Reaktionen vor allem aus Sarajevo sind harsch. „Extremer Faschismus
bedroht Bosnien und Herzegowina“, titelte am Freitag die bosnische
Traditionszeitung Oslobodjenje. Die slowenische Europaabgeordnete und
Sozialdemokratin Tanja Fajon warnte angesichts der „für Slowenien
schädlichen Vorschläge Janšas“ sogar vor einem neuen Krieg auf dem Balkan.
Der kroatische Sozialwissenschaftler und Menschenrechtler Žarko Puhovski
erklärte, der Vorschlag wäre der endgültige Zerfall Jugoslawiens. Alle
Regionen, in denen noch verschiedene Nationen zusammenleben, wo also noch
multinationale Gesellschaften existieren, sollten zerstört werden.
## Neuer nationalistischer Block
Dass so ein Vorstoß solche Reaktionen auslösen kann, hat mit der
zunehmenden politischen Unsicherheit in der Region zu tun. Seit Jahren
versuchen kroatische und serbische Extremisten in ihren Einflussgebieten in
Bosnien und Herzegowina die ethnischen Trennungen bis ins Kleinste
durchzusetzen.
Nationalistische und geschichtsrevisionistische Positionen werden ungeniert
in Schulen und Medien sowie auf öffentlichen Veranstaltungen propagiert.
Kroatische Nationalisten versuchen zudem, ein neues Wahlgesetz zu ihren
Gunsten durchzusetzen und lobbyieren – teilweise erfolgreich – bei der EU.
Mehr noch: Es zeichnet sich eine grenzüberschreitende Koalition von Janša,
Orbán, Teilen der kroatischen Regierungspartei HDZ, den
Nationalistenführern in Bosnien und Herzegowina und nationalistischen
Extremisten in Nordmazedonien und Montenegro ab, die auch in der serbischen
Regierung über Rückhalt verfügt.
Dabei scheint sich eine Art nationalistischer Block herauszubilden, der eng
mit Russland verbunden ist. Moskau ist es in den vergangenen Jahren
gelungen, in der Region Fuß zu fassen. In Brüsseler Kreisen werde das
Non-Paper dennoch als slowenisches Dokument gehandelt, weil Janšas Büro bei
dessen Verteilung an verschiedene Adressen beteiligt gewesen sei, berichtet
Necenzurirano.
## EU gegen neue Grenzen
Die EU hatte im vergangenen Jahr in einem 14-Punkte-Programm die
Unverletzlichkeit der Grenzen Bosnien und Herzegowinas betont. Auch
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich wiederholt gegen eine Veränderung
von Grenzverläufen auf dem Balkan ausgesprochen.
Doch schon im vergangenen Jahr hatte Kroatien nach der Übernahme des
EU-Vorsitzes Anfang 2020 bewiesen, dass es in dieser Position möglich ist,
geschichtsrevisionistische Positionen innerhalb der EU hoffähig zu machen.
Auch Janša dürfte die Gelegenheit beim Schopfe packen und seine Sicht in
Brüssel zu verbreiten versuchen.
Das umstrittene Papier sieht vor, dass zunächst Möglichkeiten der
Durchführung dieses Plans in einem „stillen Verfahren“ mit
Entscheidungsträgern in der Region und der internationalen Gemeinschaft
erörtert werden. Dieser erste Schritt wurde laut dem Dokument bereits
eingeleitet.
Wenn die EU, die USA und die Mehrheit der Entscheidungsträger in der Region
mit dem Plan einverstanden sind, dann soll die EU die Initiative ergreifen
und sie formalisieren, heißt es weiter.
19 Apr 2021
## LINKS
[1] https://necenzurirano.si/clanek/aktualno/objavljamo-slovenski-dokument-o-ra…
## AUTOREN
Erich Rathfelder
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