# taz.de -- EU-Ratspräsidentschaft Sloweniens: Ärger ist vorprogrammiert | |
> Slowenien übernimmt die Ratspräsidentschaft. Premier Janez Janša ist auf | |
> Rechtskurs, die Entwicklung hat eine Vorgeschichte. | |
Bild: Demo gegen die Regierung in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana | |
BRÜSSEL/SPLIT taz | Klimaschutz, Wiederaufbau und Rechtsstaat: Die großen | |
Themen, die sich Slowenien für seinen sechsmonatigen EU-Ratsvorsitz | |
vorgenommen hat, weichen keinen Millimeter von der offiziellen Brüsseler | |
Agenda ab. Schon am 14. Juli steht mit dem „Fit for 55“-Klimapaket der | |
EU-Kommission ein dicker Brocken auf dem Programm. | |
„Das wird ein gesetzgeberischer Tsunami“, sagt der slowenische | |
EU-Botschafter Iztok Jarc. „Wir verstehen uns als ehrliche Makler und | |
werden nicht versuchen, bei der Klimagesetzgebung Partei zu ergreifen.“ | |
Auch beim Rechtsstaat gibt sich Jarc pragmatisch: Slowenien werde sich | |
dafür einsetzen, dass „wir voneinander lernen“. | |
Doch genau das – den Willen zuzuhören und Europa voranzubringen – stellen | |
viele EU-Politiker bei der Regierung in Ljubljana infrage. Zu oft hat sich | |
der konservative slowenische Premier Janez Janša als Fan des früheren | |
US-Präsidenten Donald Trump geoutet. | |
Zu eng ist er mit Ungarns Regierungschef Viktor Orbán befreundet. Beim | |
EU-Gipfel in der vergangenen Woche war Janša einer der wenigen, die im | |
Streit um die homophoben Jugendschutz-Gesetze in Ungarn offen Partei für | |
Orbán ergriffen haben. | |
## Farbe bekennen | |
Wenn der Streit um den Rechtsstaat mit Ungarn im Herbst eskaliert, wie | |
viele Beobachter in Brüssel erwarten, dürfte es Slowenien noch schwerer | |
fallen, als „ehrlicher Makler“ aufzutreten. Bisher wartet die EU-Kommission | |
auf ein Urteil des höchsten EU-Gerichts zum neuen Rechtsstaats-Mechanismus. | |
Doch wenn dieses Urteil kommt, könnte Brüssel zuschlagen und Ungarn | |
abstrafen. Spätestens dann muss auch Slowenien Farbe bekennen. | |
Streit gibt es schon jetzt wegen des Umgangs mit der neuen Europäischen | |
Staatsanwaltschaft. Janša blockiert die Entsendung zweier slowenischer | |
Ankläger. Nach Ansicht der Grünen im EU-Parlament macht er sich damit | |
selbst eines Verstoßes gegen die rechtsstaatliche Ordnung der EU schuldig. | |
„[1][Der Premierminister geht gegen die freie Presse vor] und sabotiert die | |
Arbeit der Europäischen Staatsanwaltschaft“, kritisiert der grüne | |
Europa-Abgeordnete Daniel Freund. „Das dürfen wir ihm nicht durchgehen | |
lassen.“ Die EU-Kommission müsse alles tun, um Demokratie und Rechtsstaat | |
zu verteidigen. Dazu gehöre auch die Suspendierung von Zahlungen. | |
In einem offenen Brief, den auch die europapolitische Sprecherin der Grünen | |
im Bundestag, Franziska Brantner, unterschrieben hat, wird die Brüsseler | |
Behörde aufgefordert, „ihren gesamten Werkzeugkasten“ zu nutzen – | |
einschließlich der Kürzung von EU-Finanzhilfen. Auf Nachfrage wollte sich | |
die EU-Kommission dazu nicht äußern. | |
## Möglichst kein Eklat | |
Behördenchefin Ursula von der Leyen bereitet gerade den üblichen | |
Antrittsbesuch beim neuen EU-Vorsitz in Ljubljana vor. Wenigstens zum Start | |
des slowenischen Semesters soll es keinen Eklat geben, so die Devise in | |
Brüssel. Doch danach ist Ärger programmiert. | |
Dass auch Slowenien, das 2004 der EU beitrat, Brüssel Kopfzerbrechen | |
bereiten würde, war nicht unbedingt absehbar. Am 25. Juni 1991 hatten sich | |
Zehntausende in Ljubljana versammelt. Im verhaltenen Jubel der Menge | |
beendete Präsident Milan Kučan, ein Reformkommunist, seine Ansprache, in | |
der er die Unabhängigkeit Sloweniens von Jugoslawien ausrief und den Aufbau | |
eines demokratischen Staates forderte. Viele ahnten, dass dieser Akt | |
gefährlich war und es Krieg gegen die jugoslawische Armee geben würde. Die | |
Armee wollte den zerfallenden Staat Jugoslawien mit Gewalt zusammenhalten. | |
Doch die Slowenen waren gut organisiert, die Armee scheiterte nach zehn | |
Tagen am Volkswiderstand, noch in der Nacht errichteten die Menschen in | |
allen Dörfern und Städten Barrikaden, um die Panzer zu stoppen. Nicht | |
unerheblich beteiligt an der Organisation des Widerstands und dem Aufbau | |
eigener Verteidigungsstreitkräfte war ein junger Mann: Janez Janša, ein | |
kurz vorher aus dem Gefängnis entlassener Journalist und Absolvent der | |
jugoslawischen Militärakademie. | |
Janša und drei andere Mitstreiter waren von einem Militärtribunal | |
verurteilt worden, weil sie in der kommunistischen Jugendzeitschrift | |
Mladina einige Skandale und die Putschpläne der Armeeführung aufgedeckt | |
hatten. | |
## Öffnung hin zur Demokratie | |
Mladina war eine Zeitung, die für die Meinungsfreiheit kämpfte und an der | |
Öffnung Sloweniens hin zur Demokratie – auch unter der schützenden Hand von | |
Milan Kučan – beteiligt war. Eine Artikelserie über die Unterdrückung der | |
Albaner im Kosovo machte sie zum wichtigen jugoslawischen Oppositionsblatt | |
und trug Journalisten wie Ervin Hladnik-Milharčić die Feindschaft der | |
serbischen Parteiführung ein. | |
Einige Jahre später aber sahen sich Hladnik-Milharčić und viele seiner | |
professionell arbeitenden Kollegen einem anderen Feind gegenüber: Janez | |
Janša. Der war weit nach rechts gerückt und versuchte bei der Wahl 2004 im | |
Wasser der nationalistischen slowenische Rechten zu fischen, die bis heute | |
die Kollaboration eines Teils der Gesellschaft mit den Nazis verteidigt. | |
Es gelang ihm mit seiner Slowenischen Demokratischen Partei (SDS), die | |
traditionelle Rechte an sich zu binden und an die Macht zu gelangen. Erst | |
von 2004 bis 2008 und erneut 2012/13 – als er wegen Korruptionsvorwürfen | |
zurücktreten musste. | |
Während der ersten Regierungszeit nahm er Einfluss auf die größte Zeitung | |
des Landes: Delo. Ein neuer Chefredakteur begann mit Säuberungen nach innen | |
– der wegen seiner kritischen Reportagen beliebte und anerkannte Ex-Kollege | |
Hladnik-Milharčič wurde – auf Betreiben Janšas – mit einigen Kollegen aus | |
der Zeitung gedrängt. Hunderte wehrten sich damals mit einer Petition, doch | |
die Säuberungswelle wurde erst nach dem Scheitern der zweiten Regierung | |
Janša gestoppt. | |
## Noch einen drauf | |
Vorübergehend- [2][Im März 2020 gelang Janša im Rahmen einer | |
Viererkoalition mit Kleinparteien die Rückkehr an die Macht]. Seitdem | |
versucht er wieder systematisch Druck auf die Presse auszuüben. „Der | |
politische Druck der Regierung auf die Medien ist nur möglich und | |
erfolgreich, weil die Medien, wie überall in Europa, in finanziellen | |
Schwierigkeiten und damit in einer Krise stecken“, meint der Filmemacher | |
Boštian Slatinšek. | |
Aber Janša setzte noch einen drauf. Kleinere Medien würden mit Zuwendungen | |
gefügig gemacht, die größeren in ihrer Arbeit behindert oder finanziell | |
ausgetrocknet. So setzte die Regierung im Januar 2021 einen Wechsel an der | |
Spitze des öffentlich-rechtlichen Fernsehens RTV Slovenija durch. | |
Kritische Journalisten glauben, dass nach dem systematisch herbeigeführten | |
Kollaps der Presseagentur STA eine „neue Agentur mit Staatsgeldern“ | |
aufgebaut werden soll und das mithilfe von Financiers aus dem Umfeld | |
ungarischer Investoren. „Seit 2017 versuchen ungarische Investoren ein für | |
Janša günstiges Medienumfeld zu schaffen“, das von der Regierungspartei SDS | |
kontrolliert werden könne, erklärte kürzlich Petra Lesjak Tušek, | |
Vorsitzende des slowenischen Journalistenverbandes (DNS). | |
Das rechte Medienkonglomerat Nova24TV, das Wochenblatt Demokracija und mehr | |
als 20 Onlineportale verbreiten antiliberale und frauenfeindliche Ideen. | |
Für Janša und seine Leute seien unabhängige Journalisten verkappte | |
Kommunisten. Die würden zum Schweigen gebracht, sagt Katarina Bervar | |
Sternad von der Rechtshilfeorganisation PIC. | |
Für Milan Kučan, Symbol der slowenischen Unabhängigkeit und | |
Demokratisierung, ist diese Entwicklung sehr bedenklich. Mit dem Prozess | |
hin zur Unabhängigkeit sei die Gesellschaft Sloweniens geeint worden, | |
erklärte er kürzlich in Anspielung auf den schwelenden Konflikt zwischen | |
Partisanen und Kollaborateuren im Zweiten Weltkrieg. Jetzt drohe aber eine | |
tiefe Spaltung der Gesellschaft. | |
30 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Pressefreiheit-in-Slowenien/!5762694 | |
[2] /Regierungsbildung-in-Slowenien/!5664185 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
Erich Rathfelder | |
## TAGS | |
EU-Ratspräsidentschaft | |
Slowenien | |
Janez Jansa | |
Grüne | |
Rechtsstaat | |
Slowenien | |
Europäische Union | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Slowenien | |
Pressefreiheit in Europa | |
Slowenien | |
Balkan | |
Viktor Orbán | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wahlen in Slowenien: Rechtspopulist Janša abgewählt | |
Robert Golob wird mit einer Mitte-Links-Koalition neuer Regierungschef | |
Sloweniens. Janez Janša, Fan von Orban und Trump, hat die Wahl verloren. | |
Ungarn und die Rechtsstaatlichkeit: EU-Parlament will Geld streichen | |
Wegen Streits über LGBT-Rechte wollen die Abgeordneten EU-Gelder für | |
Budapest schnell abdrehen. Doch die Kommission will sich bis Herbst Zeit | |
lassen. | |
EU ringt um Klimapaket: Noch nicht fit for 55 | |
Bald will die EU-Kommission ihre Klimaschutzpläne vorstellen. Jetzt sind | |
erste widersprüchliche Details bekannt geworden. | |
Die Wahrheit: Lebenstrunk mit Spießen | |
Am 1. Juli 2021 wird das kleine Slowenien Kaiser von Europa. Glaubt man | |
jedenfalls in den nur wenig schwankenden Karawanken. | |
Pressefreiheit in Slowenien: Janša will Presselandschaft umbauen | |
Journalisten in Slowenien befürchten durch die amtierende Regierung eine | |
repressivere Medienpolitik. Als Vorbild dient Viktor Orbáns Ungarn. | |
Slowenien als Gastland der Buchmesse: Die neue Achse des Bösen | |
Unter Premier Janša ist die Presse- und Kunstfreiheit in Slowenien bedroht. | |
Auch Renata Zamida, Leiterin der Nationalen Buchagentur, wurde entlassen. | |
Grenzziehungen auf dem Balkan: Ein Papier mit Sprengkraft | |
„Ethnisch reine“ Staaten auf dem Balkan? Ein Vorschlag, der offenbar von | |
Sloweniens rechtspopulistischer Regierung stammt, sorgt für Aufregung. | |
Regierungsbildung in Slowenien: Orbán-Freund bald wieder im Amt | |
Der rechtskonservative Politiker Janez Janša war in Korruptionsskandale | |
verstrickt. Jetzt soll er eine neue Mitte-Rechts-Regierung bilden. |