# taz.de -- Die Wahrheit: Lebenstrunk mit Spießen | |
> Am 1. Juli 2021 wird das kleine Slowenien Kaiser von Europa. Glaubt man | |
> jedenfalls in den nur wenig schwankenden Karawanken. | |
Bild: Pogacar (r.) vor Roglic rasen durch die Tour de Europe | |
O je, das wird ganz schön happig für die Slowenen, die perfekte, keine | |
Wünsche offen lassende EU-Ratspräsidentschaft der Portugiesen im ersten | |
Halbjahr zu toppen. Schon allein, weil dieses kleine Land die meisten | |
Zeitgenossen gern mit anderen ähnlich klingenden Landstrichen | |
durcheinanderbringen: Slowenien, Slowakei, Slawonien, Sliwowitz … | |
Diese Länder verwechseln nicht nur Außenstehende, auch Fernfahrer wissen | |
ein Lied davon zu singen, sogar die Bewohner selbst, wenngleich ein Slowake | |
nur alle Jubeljahre nach Slowenien fährt. Mit „Jubeljahre“ haben wir gleich | |
schon das beliebteste Wortspiel hinter uns, das in lustigen Texten zum | |
Thema für „Ljubeljana“ zum Einsatz kommt, gefolgt von „Bled“ auf Platz… | |
und „Maribor macht Kinder froh“ (unsauberer Reim!) auf Rang drei. | |
Generell lähmen Verwechslungsgefahren die Wirtschaft: Niemand weiß, wie | |
viele Container schon verloren gegangen sind zwischen Bayreuth und Beirut, | |
Helsinki und Helsingborg, zwischen München und Monaco, das für Italiener | |
identisch ist, zwischen Genova und Genève. Allein Belgien: Lüttich, Luik | |
und Liège – alles dieselbe Hütte. | |
## Operettenhafte Scharmützel | |
Bedeutendste Kulturträger Sloweniens bleiben die Nachfahren der | |
Oberkrainer. Weil zu einem ausgedehnten Unabhängigkeitskrieg niemand so | |
recht Bock hatte, ging die ganze Geschichte mit der Loslösung von | |
Jugoslawien 1991 innerhalb einer Woche über die Bühne. Wobei man ein Volk | |
mit einem Sprichwort wie „Furcht ist hohl und drum herum ist nichts“ | |
ohnehin nicht unterschätzen darf. Um sich etwaige Flüchtlinge vom Hals zu | |
schaffen, hat man bereits 2015 einen Zaun an der Grenze zu Kroatien | |
errichtet, vielleicht auch wegen der Kroaten, mit denen man sich | |
gelegentlich in operettenhaften Scharmützeln um den korrekten Grenzverlauf | |
zofft. | |
Die Vorsilbe „slow“ deutet es an: Dieses Land ist die Heimat des Slow Food. | |
Köche und Köchinnen bewegen sich mit der Anmut von Dreizehenfaultieren – | |
und deren Geschwindigkeit. Viele Gerichte tragen Namen, die klingen, als | |
würde man sich die Zähne putzen. Leider ist dem Autor das | |
Slowenisch-Wörterbuch abhanden gekommen, sodass die Begriffe wie „kraški | |
pršut“, „žganci“, „štruklji“ und „Kmecka pojedina“ nicht über… | |
können – womöglich ein Segen. | |
Lediglich das „Čevapčiči“ genießt einen gewissen Ruf aus jenen fernen | |
Zeiten, als man noch zum „Jugo“ essen ging und sich die Teller unter | |
Fleischbergen bogen. Nahrungsmittel werden erbarmungslos aufgespießt, mit | |
Spießen kann man jedes noch so stolze Stück Fleisch bis ins Mark demütigen | |
– „Raznjici“ ist so ein Fall. Was an Finesse fehlt, macht mangelnder | |
Service auch nicht wett. | |
## Sauflied als Hymne | |
Hinter der „Zdravljica“ verbirgt sich die Nationalhymne, nach einem Gedicht | |
von France Prešeren, die mit folgenden Worten beginnt: „Die Rebe hat nun | |
wieder den süßen Lebenstrunk beschert / der unsere Pulse hebet.“ Ein | |
Sauflied als Nationalhymne, das ist ein Pluspunkt. Ebenso gilt es, die | |
medizinische Grundversorgung zu loben – die ist dermaßen gut, dass der | |
Slowene Tadej Pogačar im Jahr 2020 erstmals die Tour de France gewinnen | |
konnte vor seinem Landsmann Primož Roglič, der erst Skispringer war, dann | |
Radfahrer wurde. Von der fliegenden zur rollenden Apotheke. | |
Kurzzeitig war das Land mit Melania Trump im Weißen Haus vertreten und im | |
internationalen Fokus, aber ist das die Publicity, die man will? Vielleicht | |
aber hat sich der amtierende Ministerpräsident dort zu viel Input geholt, | |
denn derzeit ist Slowenien so etwas wie das Ungarn der Karawanken, | |
zumindest seit Janez Janša an der Macht ist, der gezielt die Orbanisierung | |
seines Landes vorantreibt, das sich unter seiner Ägide konsequent zum | |
Rechts-Staat entwickelt hat. | |
Janša hat europaweit die meisten Misstrauensvoten überlebt, ist aber | |
trotzdem kein recht populärer, sondern ein rechtspopulistischer Herrscher. | |
Eigentlich müsste der kommende EU-Rats-Vorsitzende in Sachen Demokratie | |
dringend nachsitzen. Bleibt zu hoffen, dass die Arbeit für die EU die | |
Regierung ausreichend ablenkt, damit sie in der Innenpolitik weniger Unheil | |
anrichten kann. | |
29 Jun 2021 | |
## AUTOREN | |
Thomas C. Breuer | |
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