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# taz.de -- Die Wahrheit: Lauern, schocken, metzeln
> Nordic Noir als Sommerlektüre: Warum eigentlich gibt es so viele
> blutrünstige skandinavische Krimis?
Bild: Am Lucia-Tag kommen in Schweden die Mörder ins Haus
Mögen Reisen in diesem Coronasommer ins Ungewisse führen, eines ist sicher:
Derzeit wandern wieder Abertausende von Büchern über die Ladentische.
Reiselektüre für die Stunden zwischen Regenfront und steigenden
Inzidenzien, darunter zu neun Zehnteln Kriminalromane, die zu 112 Prozent
in Schweden und angrenzenden Gebieten spielen.
Mitunter Finnland, gelegentlich Norwegen, seltener Dänemark oder Island. Im
dreißigsten Jahr nach dem ersten Wallander-Roman scheint der
Skandi-Crime-Boom ungebrochen. Aber hej, was ist los da oben, wieso agieren
im Norden mehr Thriller-Pfeifen als anderswo auf der Welt? Unser
Ermittlerteam ist der Frage nachgegangen.
Fest steht: Die ganze Gegend wimmelt nur so von Fingerabdrücken. Überall
flattern Absperrbänder herum. Das Putzpersonal: Tatortreiniger. Unablässig
werden Beweismittel in die Mitternachtstonne gekloppt. Soll das auf ewig
so weitergehen, dass sich Finnen und Schweden ohne Rücksicht auf Verluste
das Nordlicht auszublasen versuchen? Warum nicht, immerhin 23 Prozent der
Skandinavier arbeiten entweder bei der Spurensicherung oder in der
Pathologie. Knapp zwei Drittel aller Häuser werden mit krimineller Energie
beheizt.
Auch wer nicht gern liest, braucht auf Skandinavien nicht zu verzichten: Im
Fernsehen ist längst eine neue Generation Ermittler am Start („Huss jr.“),
oder man bedient sich in der Vergangenheit („Beforeigners“, „Young
Wallander“). Die halbe Staffelmiete sind dabei die putzigen Namen der
Kommissare, die kurz und knapp heulen wie die Warnbojen: Maria Wern, Beck,
Lund oder Varg Veum. Einsilbig, wie üblich.
Warum aber nennt man das Genre Nordic oder Scandic Noir? Weil in den
meisten Häusern nie das Licht eingeschaltet wird, denn wenn sie durchsucht
werden, bedient man sich großer Stablampen oder Handys. Niemand kommt auf
die Idee, den Lichtschalter zu betätigen, selbst die Umgebung bleibt
weitgehend im Dunkeln.
In den meist typisch falunroten Gebäuden wohnen weitgehend
verhaltensauffällige Zeitgenossen in ständiger Gewaltbereitschaft, die sich
gegenseitig mit höchstmöglicher Brutalität zu übertrumpfen trachten, weil
sie um Einschaltquoten konkurrieren – also beim Fernsehen, nicht beim
Licht. Eines haben alle gemeinsam: Leichen im Keller. Und unterm Dach. Im
Wohnzimmer, Schlafzimmer, notfalls in der Speisekammer. Egal wo. Nicht nur
den Gärtnern sollte man aus dem Weg gehen, Mörder lauern überall.
Was bloß ist mit diesen Leuten los, die uns doch sonst eher untertourig
oder unterkühlt vorkommen? Warum sind sie ständig so geladen wie ihre
Feuerwaffen? Ist das irgendwas Protestantisches, weil sie immer alles
verdrängen? Lassen sie mal Freude raus, ist es diebische.
Vielleicht liegt es daran, dass alle Skandinavier es gewohnt sind, vor
Kameras zu agieren, es hängen ja überall welche herum. Fest steht auch,
dass zumindest die Schweden die Gewalt schon mit der Muttermilch einsaugen:
Karlsson vom Dach, der sich mit Einbrechern herumärgert, Ronja
Räubertochter oder „Die Bestie von Bullerbü“. Solche Figuren in der
Kindheit – das prägt. Dazu kommen Leitfiguren wie Zlatan Ibrahimović, der
Killer und Knipser vor dem Tor.
Die Finnen sind wie die Schweden, nur kälter und selbstverständlich
schwieriger wegen der vielen Umlaute – das zermürbt die „Ythiö“, also d…
Gesellschaft. Mord und Totschlag heißt zum Beispiel „Murha ja tappo“. Bis
das jemand verstanden hat, blutet eine Leiche komplett aus.
Norweger sind, weil schockgefrostet, behäbiger und gutmenschlicher – bis
auf die Tatsache, dass sie den lieben, langen Tag Wale metzeln. Dänen sind
eher stolz auf ihre Abgründe, nach denen sie ihre Krimis benennen: „Die
Brücke“, „Borgen“, „Vesten“, aber irgendwie auch putzig, wenn sie mi…
einer Schießerei eine Pause einlegen, um ihr Nationalgericht Hotdog zu
verzehren.
Was all diese skandinavischen Länder neben ihrer Blutrünstigkeit verbindet:
ein gigantischer Alkoholkonsum. Geistvolle Getränke sind allerdings teuer,
weshalb der Beschaffungskriminalität eine tragende Rolle zukommt.
Die traurige Wahrheit: Unsere Recherchen liefen ins Leere, und im Zuge der
laufenden Ermittlungen dürfen wir derzeit keine weiteren Informationen zum
Fall herausgeben. Sachdienliche Hinweise aber nimmt die Sonderkommission
der Wahrheit unter den bekannten Telefonnummern entgegen.
14 Jul 2021
## AUTOREN
Thomas C. Breuer
## TAGS
Skandinavien
Krimi
Mord
Island
Hansi Flick
Kolumne Die Wahrheit
Färöer-Inseln
Schwerpunkt Klimawandel
Slowenien
Cocktail
Bier
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