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# taz.de -- Die Wahrheit: Im Mauerblümchenpark
> Geteiltes Leid ist geteilte Freude. Ein paar kleine Anmerkungen zu einem
> vor sechzig Jahren errichteten einzigartigen Bauwerk.
Bild: Markentrüffel bestehen den Geruchstest beim Schnüffel-TÜV
In Anlehnung an den alten Hit von Willy Schneider hörte man in der DDR
gelegentlich folgende Zeilen: „Man müsste dreimal zwanzig sein / und fünfe
noch dazu, / dann käm man in den Westen rein / und hätte seine Ruh.“ Mit 65
Jahren war man Rentner und konnte endlich die Mauer überspringen oder
jedenfalls zum Besuch nach Westen reisen.
Ebendiese Mauer feiert nun ihren 60. Geburtstag. Nach dem Stand von 1961
würde ihr selbst zum Westbesuch nur noch fünf Jahre fehlen. Wenig später
setzte sich im Westen der Werbeslogan „Beton – kommt drauf an, was man
draus macht“ durch. All das ist lange her: Heute leben wir eher in Zeiten,
in denen Jugendliche Karl Marx für den Erzbischof von München und Freising
halten und Rosa Luxemburg für einen Sender mit LGBTQ-Publikum als
Zielgruppe.
Noch im Juni 1961 hatte der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht
versichert, dass niemand die Absicht habe, eine Absicht zu hegen. Zwei
Monate später stand die Mauer, unüberwindbar wie wenige Jahre später der
Catenaccio von Inter Mailand. Sechzehn Jahre nach dem Mauerbau rief Ronald
Reagan vor dem Brandenburger Tor und hinter zwei Scheiben aus Panzerglas
den ebenfalls historischen Satz aus: „Mr. President, tear down this wall!“,
und lag wie meist völlig daneben, denn der Satz war an Gorbatschow
gerichtet, der zu diesem Zeitpunkt gar nicht Präsident, sondern
Mineralsekretär der KPdSU war und nicht mal Kontakte zu einem
Abbruchunternehmen unterhielt.
Weitere dreißig Jahre danach hegte in den USA ein Mann, der unter dem Namen
Agent Orange bekannt war, tatsächlich die Absicht, eine Mauer zu bauen, an
der Grenze zu Mexiko. Eine Mauer ist ja per se nicht nur schlecht: Der
Osten Deutschlands verzeichnete entschieden weniger Arbeitslose, denn
allein die Nationale Volksarmee stellte Tausende ins Brot, die diese Grenze
abzusichern hatten. Sowieso: Der Limes, die Chinesische Mauer, die Zäune
zwischen Israel und Palästina, die Einfriedung, mit der die Spanier ihre
Enklaven Melilla und Ceuta umgeben, Flüchtlingszäune im orbanen Raum, all
diese Bauwerke vermitteln vermeintlich bedrohten Nationen ein sicheres und
trockenes Gefühl. Dass die auf der anderen Seite immer das Gefühl haben,
zum Mauerspecht werden zu müssen, liegt in der Natur des Bauwerks.
Längst hat sich der ehemalige Todesstreifen zu einem erfrischenden Biotop
entwickelt, in dem seltene Tiere wie Mauersegler, Grüngürteltiere,
hochspezialisierte Spechte, Zaunkönige und Todesstreifenhörnchen zu Hause
sind und wo im Schatten todesverachtend Mauerblümchen wachsen. Kängurus und
Heuschrecken hatten in der Zone übrigens keine Existenzberechtigung, weil
sie die Mauer mittels eines gezielten Sprungs hätten überwinden können. Aus
ähnlichen Gründen konnten DDR-Sportler nie beim Stabhochsprung reüssieren.
Kurz vor dem 60. Jahrestag erschien übrigens die erste Platte der
kalifornischen Band Wallflowers seit neun Jahren – Zufall?
10 Aug 2021
## AUTOREN
Thomas C. Breuer
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
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DDR
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