# taz.de -- Die Wahrheit: Die Heimat der Schnapsideen | |
> Da fließt der Wodka in Strömen: Am Dienstag feiert das oft gebeutelte | |
> Land Armenien seinen Unabhängigkeitstag. Ein feuchter Glückwunsch. | |
Bild: Downtown Eriwan vor der bedrohlichen Kulisse des nahen türkischen Berges… | |
Frage an Radio Eriwan: „Früher hatten wir den ausbeuterischen Zarismus, | |
dann hatten wir den lebensbedrohlichen Stalinismus, und was haben wir | |
jetzt?“ Antwort von Radio Eriwan: „Schauen Sie doch auf den Kalender – | |
Dienstag!“. Und der heutige Dienstag ist Nationalfeiertag. | |
Es war der legendäre Sender Radio Eriwan beziehungsweise Jerewan (auf | |
Russisch „Armjanskoje radio“), der die Armenische Sowjetrepublik in den | |
sechziger Jahren auf die Landkarte katapultiert hat, obwohl der „Armenische | |
Rundfunk“, kleiner Spoiler, nie existierte. Trotzdem gelang es mit Hilfe | |
der fiktiven Nonsensstation, den tristen anämischen Alltag etwas | |
aufzuhellen, der auch nicht bunter wurde nach Wiedererlangung der | |
Unabhängigkeit am 21. September 1991 – Glückwunsch! | |
Dafür sorgte unter anderem ein Krieg mit Aserbaidschan um die Region | |
Nagorny Karabach, der alle naslang aufgewärmt wird, wie zuletzt im Jahr | |
2020 dank des türkischen Präsidenten Erdoğan, der zuverlässig in die Luft | |
geht, wenn man die drei Begriffe „Armenien“, „Völkermord“ und „Türk… | |
irgendeinen Zusammenhang stellt und so dem Thema mehr Aufmerksamkeit | |
verschafft. | |
Bekannt wurde die Republik Armenien freilich auf medialen Umwegen um den | |
ganzen Globus durch Exil-Armenier wie die amerikanische Kosmetikgröße Kim | |
Kardashian und vor allem durch den französischen Chansonier Charles | |
Nassrazour sowie die 0:6-Niederlage gegen die deutsche Nationalelf Anfang | |
September dieses Jahres. | |
Frage an Radio Eriwan: „Trifft es zu, dass bei der Erstellung der | |
Produktionsvorgaben auch Wodka getrunken wurde?“ Antwort: „Glauben Sie im | |
Ernst, die Produktionszahlen wären nüchtern zu Stande gekommen?“ Ja, der | |
Wodka fließt in Strömen, die Armenier lieben Schnapsideen, und da am | |
liebsten den Selbstgebrannten mit achtzig Umdrehungen, da brennt die Hütte. | |
In den abgelegenen Regionen hinter dem von der Türkei aus bedrohlich | |
leuchtenden Berg Ararat wird Autofahrern sogar bei Polizeikontrollen schon | |
einmal ein Schluck Wodka angeboten. Danach ist man ziemlich sicher in der | |
Lage, den armenischen Namen der Republik annähernd korrekt auszusprechen: | |
„Hajastani Hanrapetutj.“ | |
## Gregor, der Armleuchter | |
Die Christianisierung erfolgte überwiegend unter Gregor, dem Armleuchter. | |
Armenien war der erste christliche Staat der Welt. In wechselhafter und | |
stets leidvoller Geschichte kamen immer wieder Nachbarn vorbei, um Armenier | |
zu verschleppen oder gleich zu ermorden. Aus Armeniern stammt der | |
pragmatische Satz: „Lieber arm dran als Arm ab.“ | |
In keinem Land der Welt ist die armenische Küche verbreiteter als hier. Sie | |
existiert seit über 2.000 Jahren, wird aber immer wieder mal frisch | |
zubereitet. Die Köche können dabei auf eine reichhaltige Auswahl an | |
Gewürzen und Kräutern zurückgreifen, die sich zum Teil auch prima rauchen | |
lassen. | |
Im Kaukasus leben streitbare Menschen, die am Zusammenstoß von Eurasischer | |
mit Arabischer Platte leben müssen, was nicht nur geologisch zu verstehen | |
ist, und die Herdplatte ist ebenso wenig damit gemeint. | |
Am besten versteht man sich noch mit dem Iran, nicht zuletzt deshalb, weil | |
die Iraner an hohen islamischen Festtagen über die Grenze kommen und sich | |
über die alkoholischen Vorräte hermachen. Mit den Georgiern zofft man sich | |
darüber, wer von beiden zuerst Weinbau betrieben hat. Nicht zufällig heißt | |
es: „Der Armenier hat den Verstand im Kopfe, der Georgier im Auge.“ | |
Wie überall setzte man zu Sowjetzeiten auf Masse statt aus Klasse. Das | |
wird jetzt nachgebessert, vor allem die einheimische Rebsorten Mskhali und | |
Garan Dmak entwickeln sich vielversprechend. Der armenische Winzerverband | |
bietet Onlineverkostungen an. Vorteil des digitalen Zulötens: Hier können | |
sich Weinliebhaber zum Social Distancing treffen – und auf dem Weg vom | |
Verkostungstischchen zum Badezimmer wartet keine Polizeistreife. | |
Prosit, I shah, Hayastan. | |
21 Sep 2021 | |
## AUTOREN | |
Thomas C. Breuer | |
## TAGS | |
Die Wahrheit | |
Armenien | |
Schwerpunkt Türkei | |
Nationalfeiertag | |
Fußball-WM 2022 Katar | |
Die Wahrheit | |
Die Wahrheit | |
Die Wahrheit | |
Hansi Flick | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Färöer-Inseln | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Fernsehsport in Katar: Radio Jerewan und ganz viel Sport | |
Tennis, Squash, Triathlon – in den unzähligen Sportkanälen läuft nicht nur | |
Fußball. Besonders schön sind Übertragungen von Kamelrennen. | |
Die Wahrheit: Nie wieder Stress im Christstollen | |
„Woke am Ofen“: Es ist höchste Zeit, beim Backen aufzuwachen – was wir | |
jetzt brauchen, sind beherzte Weckmänner*Innen. | |
Die Wahrheit: Dänen lügen nicht | |
Mutti putzt das Kanzlerinnenamt – schon wieder ist Staatsbesuch angesagt. | |
Doch was wollen diese Leute aus dem Norden eigentlich hier? | |
Die Wahrheit: Bollerige Knollen | |
Der Deutschen müffelnde Lieblinge kommen im Herbst aus dem Süden. Teurer | |
als Gold, runzlig und gourmetgeadelt: Es ist wieder Trüffelsaison. | |
Die Wahrheit: Und der Oscar geht an… | |
Debütantenball für Hansi Flick – der neue Bundestrainer steht morgen in der | |
Partie gegen Liechtenstein erstmals am Spielfeldrand. | |
Die Wahrheit: Im Mauerblümchenpark | |
Geteiltes Leid ist geteilte Freude. Ein paar kleine Anmerkungen zu einem | |
vor sechzig Jahren errichteten einzigartigen Bauwerk. | |
Die Wahrheit: Trinkfeste Tiefkühlbrasilianer | |
Góða ólavsøku! Am 29. Juli feiern die Bewohner der Färöer-Inseln | |
feuchtfröhlich ihren Nationalfeiertag zu Ehren des Heiligen Olav. |