# taz.de -- Sarajevos neue Bürgermeisterin: Ein neues Gesicht | |
> Die 30-jährige Sozialdemokratin Benjamina Karić steht für ein junges, | |
> weibliches und multiethnisches Sarajevo. Das hilft auch ihrer Partei. | |
Bild: Juristin und neue Bürgermeisterin von Sarajevo: Benjamina Karic | |
Ausgerechnet an ihrem 30. Geburtstag wurde die bisher kaum in der | |
Öffentlichkeit bekannte Benjamina Karić völlig überraschend zur neuen | |
Bürgermeisterin von Sarajevo gewählt. Das Votum im Stadtrat war einstimmig. | |
Bemerkenswert ist, dass Benjamina Karić keinem der drei „konstitutiven | |
Nationen“, also der Bosniaken, Kroaten oder Serben angehört, sie hat sich | |
zur [1][Gruppe der „Anderen“] bekannt. Das sind Freigeister, Menschen aus | |
kleineren Minderheiten oder gemischten Ehen, die sich nicht nationalistisch | |
definieren wollen. Und die bisher in dem Bosnien und Herzegowina der | |
Nachkriegszeit keine Chancen hatten, in so ein hohes Amt aufzusteigen, denn | |
die Gremien sind zumeist von den drei Nationalparteien beherrscht. | |
Sarajevo war noch bis zu den Wahlen im November 2020 von der | |
konservativ-muslimischen Nationalpartei SDA beherrscht. [2][Doch dann | |
siegte das linksliberale Wahlbündnis] unter Führung der Sozialdemokraten, | |
deren Vizepräsidentin Benjamina Karić ist. | |
Damals wollten die Wahlsieger ein Zeichen setzen, sie wollten zeigen, dass | |
die bosnische Hauptstadt Sarajevo nach wie vor eine Stadt ist, die zu ihrer | |
Tradition der multinationalen Identität steht und nominierten – obwohl zu | |
80 Prozent von Muslimen bewohnt – den orthodoxen Serben und hochangesehenen | |
Sozialdemokraten Bogić Bogićević für das Amt des Bürgermeisters. | |
## Das multiethnische Gesicht der Stadt | |
Mit dieser Wahl sollte auch allen Bürgern des Landes gezeigt werden, dass | |
das friedliche Zusammenleben der Nationen trotz der Wunden des Krieges noch | |
immer möglich ist. Doch durch [3][Intrigen der muslimischen Nationalpartei | |
wurde die Wahl des Bürgermeisters hintertrieben]. Bogić Bogićević lehnte | |
daraufhin eine weitere Kandidatur ab. Tausende Menschen protestierten gegen | |
die Machenschaften des alten Bürgermeisters und seiner Helfer. Dann schlug | |
die SDP Benjamina Karić als Kandidatin vor. | |
Sie ist als „Andere“ ohne Zweifel ebenfalls ein Symbol für die | |
Multinationalität der Stadt. Sie ist jung, gut ausgebildet und erst die | |
zweite Frau in diesem Amt. Sie studierte in Sarajevo, absolvierte | |
gleichzeitig zwei Fakultäten, die Rechtswissenschaftliche und die Abteilung | |
für Geschichte der Philosophischen Fakultät. Sie spricht mehrere Sprachen, | |
darunter englisch und deutsch. Sie schrieb eine Arbeit über „Die Rechtslage | |
der jüdischen Gemeinde in Bosnien und Herzegowina von 1918 bis 1945“. | |
Politisch hat die Mutter eines Kindes schon lange Flagge gezeigt, denn sie | |
ist seit ihrem 18. Lebensjahr Mitglied der Sozialdemokratischen Partei | |
(SDP) und seit 2019 Vizepräsidentin dieser Partei. „Wir haben eine Person | |
ausgewählt, die diese Stadt mit ihrer Energie und ihrem Wissen führen wird. | |
Wir zeigen, welche Art von Sarajevo und Bosnien und Herzegowina wir | |
anstreben“, erklärte ein Sprecher der SDP. | |
Und die vor Jahren noch als verknöchert kritisierte Partei hat gezeigt, | |
dass sie in der Lage ist, sich selbst zu erneuern. | |
9 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://ba.boell.org/de/2018/04/13/anders-sein-bosnien-herzegowina | |
[2] /Lokalwahlen-in-Bosnien-und-Herzegowina/!5725334 | |
[3] https://www.sueddeutsche.de/politik/sarajevo-bogicevic-wahl-1.5250719 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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