# taz.de -- Planer entwickeln eigene Satellitenstadt: Ein neues Sarajevo nur f�… | |
> Die bosnische Hauptstadt ist gespaltener denn je. Islamisten treten | |
> aggressiv auf, die serbische Bevölkerung zieht sich zurück, die | |
> Stadtplanung steht im Dienst der Trennung. | |
Bild: Das alte Sarajevo bekommt Konkurrenz | |
Wer von Sarajevo spricht, hat noch immer die Stadt vor Augen, die für den | |
bosnischen Schriftsteller Dþevad Karahasan eine Brücke zwischen Orient und | |
Okzident ist. Selbst während des Krieges hielt Karahasan trotzig an seiner | |
Überzeugung fest und porträtierte Sarajevo in seinem 1993 geschriebenen | |
"Tagebuch der Aussiedlung" als eine Stadt, der das Multikulturelle schon zu | |
Zeiten ihrer Gründung eingeschrieben war. "Es gab im multinationalen und | |
multikonfessionellen türkischen Reich wohl viele Orte und Städte, wo sich | |
Völker, Sprachen und Religionen vermischten, aber es gab in diesem | |
Riesenreich kaum eine Stadt, in der diese Begegnung und Mischung auf so | |
kleinem Raum erfolgten." | |
Dieser Anordnung folgt die bosnische Hauptstadt bis heute. An den Hängen | |
überm Tal des Flusses Miljacka kleben die Mahalas, die historischen | |
Wohnviertel der Muslime, Christen und Juden. Das Zentrum, die Baðcarðija, | |
gehört dagegen allen. Hier stehen Moscheen neben katholischen und | |
orthodoxen Kirchen und Synagogen auf engstem Raum. Doch dieses Sarajevo | |
bekommt inzwischen Konkurrenz. Gleich hinterm östlichen Rand der Stadt | |
entsteht derzeit ein neues, ein serbisches Sarajevo. | |
Am Busbahnhof von Istocno-Sarajevo (Ostsarajevo) dominiert das Kyrillische. | |
Hier kommen die Busse aus Belgrad an, aus Banja Luka, der Hauptstadt der | |
bosnischen Serbenrepublik, oder aus Pale, der zehn Kilometer nordöstlich | |
von Sarajevo gelegenen Hochburg des ehemaligen bosnischen Serbenführers | |
Radovan Karadþic. Ostsarajevo befindet sich auf dem Territorium der | |
Republika Srpska, die Grenze zur bosnisch-kroatischen Föderation verläuft | |
nicht weit vom Busbahnhof. Dort enden auch die Straßenbahnen, die vom | |
Zentrum Sarajevos in den Vorort Dobrinja führen. | |
Am Ende der Welt liegt Istoc no-Sarajevo dennoch nicht. Das zeigen | |
zahlreiche Neubaublöcke und ebenso viele Bauschilder rund um das | |
Einkaufszentrum Tom. In den nächsten Jahren soll hier ein neues Sarajevo | |
entstehen, modern, städtisch - und natürlich serbisch. Eine Konkurrenz zum | |
Sarajevo des Dþevad Karahasan, das man in den serbischen Stadtteilen nicht | |
einmal ausschildert. Wer vom Busbahnhof hinauf nach Pale fährt, passiert am | |
östlichen Bergrücken des Trebevic eine Kreuzung. Das Verkehrsschild zeigt: | |
Geradeaus geht es nach Pale und Belgrad. Der linke Pfeil ist dagegen nicht | |
beschriftet, so als führe er in eine Sackgasse. Tatsächlich aber öffnet | |
sich gleich hinterm Bergrücken der Blick auf die 300.000 Einwohner zählende | |
Metropole Sarajevo. | |
In Pale, das auch das Verwaltungszentrum von Istocno-Sarajevo ist, breitet | |
Milan Kovacevic die Pläne vor sich aus. "Das ethnisch gemischte Sarajevo", | |
sagt der Bürgermeister von Ostsarajevo, "ist eine Wunschvorstellung der | |
internationalen Gemeinschaft." Vor allem den Serben, die die Stadt | |
verlassen oder nach Sarajevo zurückkehren wollen, will Kovacevic mit dem | |
Bau eines serbischen Sarajevo ein Angebot machen. "Es ist doch besser, sie | |
leben hier, als in Belgrad. | |
Tatsächlich haben seit dem Ende des Krieges und dem Friedensschluss von | |
Dayton 1995 etwa 170.000 Serben Sarajevo den Rücken gekehrt. Unter ihnen | |
waren viele, die während der dreijährigen Belagerung von den eigenen | |
Landsleuten ausgehungert und beschossen wurden. Aus dem multikulturellen | |
Schmelztiegel des Dþevad Karahasan ist eine Stadt geworden, in der die | |
muslimische Bevölkerung 81 Prozent, die Serben dagegen nur noch 9 Prozent | |
ausmachen. Vor dem Krieg lebten in Sarajevo 50 Prozent Muslime, 21 Prozent | |
Serben, 7 Prozent Kroaten und 22 Prozent anderer Bevölkerungsgruppen, unter | |
ihnen viele Juden. | |
Die Pläne für den Ausbau der zur Republika Srpska gehörenden Dörfer und | |
Wohnblocks zum serbischen Sarajevo liegen inzwischen auch auf dem | |
Schreibtisch von Milorad Dodik, dem nationalistischen Ministerpräsidenten | |
der serbischen Teilrepublik. Noch in diesem Jahr soll der | |
Flächennutzungsplan in Banja Luka abgesegnet werden. Zusätzlich zu den | |
5.000 Wohnungen, die bereits gebaut sind, und den 2.000 Wohnungen, für die | |
eine Genehmigung vorliegt, sollen noch einmal 50.000 Wohnungen entstehen. | |
Statt 90.000 Menschen werden dann 150.000 Bewohner im serbischen Sarajevo | |
leben. Istocno-Sarajevo, erklärt Bürgermeister Kovacevic, wäre dann ein | |
Siedlungsgürtel, der sich vom Busbahnhof mit seinen kyrillischen Lettern | |
über die Berge bis hinaus nach Pale zieht - und in etwa den Stellungen der | |
serbischen Belagerer während des Krieges folgt. | |
Nur eines dürfen die Planer in Pale und Banja Luka bislang nicht: den Namen | |
"Serbisches Sarajevo" auch offiziell verwenden. Das hat das | |
Verfassungsgericht von Bosnien-Herzegowina untersagt. Schließlich war in | |
Dayton festgelegt worden, die ethnischen Trennungen nicht festzuschreiben. | |
Vielmehr sollte jeder Bewohner des Vorkriegsbosniens das Recht auf Rückkehr | |
in seine Heimat haben. | |
Auf der anderen Seite des Trebevic, im Talkessel des alten Sarajevo, redet | |
sich Said Jamakovic in Rage. Die Pläne für den Ausbau von Istocno-Sarajevo | |
seien "eine Stadtplanung im Dienste der ethnischen Säuberungen". Jamakovic | |
ist Chefplaner des Kantons Sarajevo auf dem Gebiet der bosnisch-kroatischen | |
Föderation und hat alle Hände damit zu tun, ein Leitbild für die noch immer | |
von den Wunden des Krieges gezeichnete Stadt zu entwickeln. | |
"Sarajevo muss multikulturell bleiben", widerspricht Jamakovic seinem | |
Kollegen aus Pale. "Dazu gehört auch die Rückkehr der Serben." Tatsächlich | |
kann jeder serbische Bewohner Sarajevos, der die Stadt während des Krieges | |
verlassen hat, in sein Haus oder seine Wohnung zurückkehren. Meistens ist | |
es aber so, dass der Rückgabe der Immobilie sofort der Weiterverkauf folgt. | |
Mit dem Geld kaufen sich die "Rückkehrer" oft eine Wohnung in den | |
Neubaublocks rund um den Busbahnhof von Ostsarajevo. Nicht zuletzt deshalb | |
ist der Ausbau des serbischen Sarajevo für Jamakovic eine "Kampfansage". | |
"Je mehr Wohnblocks in Istocno-Sarajevo gebaut werden", fürchtet er, "desto | |
mehr Serben werden Sarajevo verlassen." Und zugleich die Infrastruktur der | |
Stadt nutzen. Außer einem Busbahnhof und dem Einkaufszentrum TOM hat | |
Ostsarajevo bislang wenig zu bieten. | |
Worüber Jamakovic nicht spricht: Der Wegzug der serbischen Stadtbevölkerung | |
ist auch eine Reaktion auf die schleichende Islamisierung des einstigen | |
Schmelztiegels auf dem Balkan. Seit dem Ende des Krieges sind zahlreiche | |
Moscheen neu gebaut worden - mit Geld aus Saudi-Arabien. In der größten von | |
ihnen, der König-Fahd-Moschee, predigen wahhabitische Missionare, denen der | |
bosnische Islam zu weltlich ist. | |
"Die Stimmung in der Stadt hat sich verschlechtert", spricht Dunja | |
Milankovic für viele Serben in Sarajevo. Milankovic ist in Sarajevo geboren | |
und blieb auch während des Kriegs in der Stadt. "Doch inzwischen drehen | |
sich die Leute in der Warteschlange auf den Ämtern um, wenn mein serbischer | |
Name gerufen wird", sagt die Mitarbeiterin einer internationalen | |
Organisation. Sie weiß nicht mehr richtig, ob Sarajevo noch ihre Stadt ist. | |
Erst kürzlich hat Milankovic beobachtet, wie ein Bekannter von muslimischen | |
Fundamentalisten auf offener Straße angepöbelt wurde. "Er hatte seine | |
Freundin auf der Straße geküsst." Wenn wir nicht ein Haus in einer Mahala | |
hätten, sagt sie, wäre Ostsarajevo eine Alternative. | |
Die politische Krise, die derzeit das ohnehin komplizierte Staatswesen in | |
Bosnien-Herzegowina lahmlegt, lässt nichts Gutes ahnen. Das multikulturelle | |
Sarajevo existiert derzeit nur noch in den Vorstellungen liberaler Muslime. | |
Für die serbische Minderheit dagegen hat es ausgedient. Was das für die | |
Zukunft der Stadt bedeuten kann, beschreibt der Sarajevoer Chefplaner Said | |
Jamakovic so: "Sarajevo muss eine tolerante Stadt werden, in der die | |
Minderheiten willkommen sind, obwohl die Muslime die Mehrheit bilden." | |
Weniger optimistisch ist da der Schriftsteller Nenad Velickovic, der im | |
Gegensatz zu Dþevad Karahasan die Stadt während des Krieges nicht verlassen | |
hat. "Der Bau eines serbischen Sarajevo ist der Einzug der Provinz in die | |
Stadt." Doch genauso provinziell sei die Politik der Bosniaken, meint | |
Velickovic. "Die unternehmen nichts gegen eine Entwicklung, die die Serben | |
zu Fremden in ihrer eigenen Stadt machen." | |
12 Nov 2007 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
Uwe Rada | |
## TAGS | |
Bosnien und Herzegowina | |
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