# taz.de -- Zum Tod von Jovan Divjak: Ein Verteidiger europäischer Werte | |
> Der bosnische Ex-General Jovan Divjak ist im Alter von 84 Jahren | |
> gestorben. Menschenrechte und die Stärkung der Zivilgesellschaft waren | |
> ihm wichtig. | |
Bild: Am Donnerstag, 9.April 2021, ist Jovan Divjak im Alter von 84 Jahren gest… | |
SARAJEVO taz | [1][Jovan Divjak] ist tot. Der Ex-General und Verteidiger | |
Sarajevos während der Belagerung 1992-95, der hochangesehene | |
Menschenrechtler und Unterstützer vieler Projekte der Zivilgesellschaft | |
sowie Gründer einer Organisation für Waisenkinder, starb am Donnerstag nach | |
langen Krankheit in Sarajevo, der Hauptsstadt von Bosnien und Herzegowina. | |
Jovan Divjak wurde 84 Jahre alt. | |
Zum ersten Mal traf ich ihn im Sommer 1993. In einem vor Granaten | |
geschützten Keller waren er und sein Stab untergebracht. Hier empfing er | |
auch Journalisten, die ihn, den „Serben“, unbedingt interviewen wollten. In | |
Belgrad geboren, dort an der Militärakademie und in Frankreich 1964/1965 an | |
der École d'État Major in Paris ausgebildet, lebte Divjak seit 1966 in | |
Sarajevo. Der Krieg in Ex-Jugoslawien war eben kein Krieg einer Volksgruppe | |
gegen eine andere, sondern ein Krieg serbischer Nationalisten gegen die | |
multinationale Gesellschaft. Das konnte, wer wollte, von Divjak lernen. | |
Divjak hatte für den Oberbefehlshaber der serbischen Armee in Bosnien, | |
Ratko Mladic und für [2][Radovan Karadzic], den politischen Führer der | |
serbischen Nationalisten, nur Verachtung übrig. „Wir verteidigen Sarajevo | |
gegen den Faschismus, wir verteidigen die Zivilisation, die Werte Europas,“ | |
sagte er damals. Seine Gegner Mladic und Karadzic wurden vom UN-Tribunal in | |
Den Haag als Kriegsverbrecher zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. | |
Bis heute erkennt die breite serbische Öffentlichkeit die Verbrechen im | |
Namen Serbiens vor allem gegenüber der muslimischen Bevölkerung nicht an. | |
Kriegsverbrecher werden sogar als Helden verehrt. Jovan Divjak hingegen | |
wurde von der serbischen Justiz beschuldigt, selbst Kriegsverbrechen | |
begangen zu haben. | |
## Festnahme in Wien | |
So soll er an einem Angriff von Bosniern am 3. Mai 1992 auf aus Sarajevo | |
abziehende serbische Soldaten beteiligt gewesen zu sein, bei dem 42 | |
Menschen umkamen. Unterschlagen wird – wie Filmaufnahmen und Aussagen von | |
UN-Beobachtern beweisen – dass Divjak versuchte, Schüsse auf die Kolonne zu | |
verhindern. | |
Trotzdem versuchte die serbische Justiz via Interpol Divjaks habhaft zu | |
werden. Am 4. März 2011 wurde er in Wien festgenommen, verbrachte dort | |
einige Monate, bis die österreichische Justiz die Anklage als haltlos | |
fallen lies. | |
Nicht ins Weltbild der serbischen Seite passte auch, dass Divjak nach dem | |
Krieg auf Konfronation zu der muslimischen Nationalpartei SDA ging. Er | |
forderte vom damaligen Präsidenten Alija Izetbegovic, auch die Verbrechen | |
der bosnischen Armee gegenüber serbischen Zivilisten in der belagerten | |
Stadt selbst und in einigen Dörfern der Umgebung zuzugeben. Izetbegovic tat | |
dies nicht. 1997 gab Divjak aus Protest seinen Generalstitel an Izetbegovic | |
zurück. | |
Bei der Bevölkerung schadeten ihm all diese Konflikte jedoch nicht. Im | |
Gegenteil. Wer mit ihm Jahre nach dem Krieg durch Sarajevo schlenderte, | |
konnte erleben, wie er Hunderte von Händen schütteln musste. Ehemalige | |
Soldaten, junge Leute, alte Mütterchen – sie allen wollten sich bei ihm | |
bedanken. | |
## Immer präsent | |
Divjak war Teil des Kulturlebens. Er fehlte bei keiner Dichterlesung, und | |
kaum einer Theaterpremiere. Und er nutzte seine Beliebtheit, um Kontakte zu | |
privaten und institutionellen Spendern für sein Waisenkinderprojekt | |
aufzubauen. | |
Hunderte von Kindern aus allen Volksgruppen verdanken ihm ihr Überleben und | |
ihre Ausbildung. Gleichzeitig war er auch ein bisschen stolz darauf, in die | |
französische Ehrenlegion aufgenommen worden zu sein. Mehrere Städte, wie | |
Grenoble, machten ihn zum Ehrenbürger. Sein Buch „Sarajevo mon amour“ fand | |
vor allem in Frankreich große Beachtung. | |
9 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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