| # taz.de -- 25 Jahre Massaker von Srebrenica: Die offene Wunde | |
| > 25 Jahre nach dem Massaker herrscht der Wunsch nach Versöhnung. Doch wie | |
| > soll das gehen, wenn die Täter bis heute ungestraft ihre Verbrechen | |
| > leugnen? | |
| Bild: In Mamor gemeißelte Namen der Opfer in der Gedenkstätte Potocari in der… | |
| Die ältere Frau mit dem ländlichen Kopftuch, die unweit der Markala in | |
| Sarajevo frisch gepflückte Pfifferlinge verkauft, gehört zu den | |
| Zehntausenden Frauen, die aus [1][Srebrenica] in die bosniakischen Gebiete | |
| Bosniens deportiert worden sind. Ihr altes Haus in den Bergen oberhalb | |
| Srebrenicas wurde damals im Juli 1995 von serbischen Soldaten | |
| niedergebrannt. Sie war unter den Zehntausenden, die in Potocari Hilfe bei | |
| den UN-Soldaten suchten. Sie weinte und schrie, als ihr Mann und ihre | |
| älteren Söhne von ihr und den beiden kleinen Kindern getrennt wurden und | |
| dann versuchten, vor den serbischen Exekutionskommandos zu fliehen. Sie | |
| wurden sechs Jahre danach in einem Massengrab gefunden, durch DNA-Analysen | |
| identifiziert und 2011 auf dem Gelände der Gedenkstätte in Potocari | |
| beerdigt. Ihre Tochter und der kleinste Sohn sind jetzt erwachsen. | |
| Man kann sich vorstellen, was am Gedenktag, dem 11. Juli, alles über | |
| Srebrenica gesagt werden wird. 25 Jahre danach. Von manchen | |
| Religionsvertretern, von Menschenrechtlern, Schriftstellern und Politikern | |
| wird durchaus berührend gesprochen werden. Manche werden sich auch an den | |
| Ausspruch des Generals Ratko Mladic nach der Eroberung der Stadt erinnern. | |
| Er wollte „Rache an den Türken“. Er meinte Rache für die verlorene Schlac… | |
| der Serben gegen die osmanischen Erboberer 1389, also 606 Jahre zuvor. | |
| Bosnische Muslime sind ethnisch Südslawen, wie Mladic selbst, in seinen | |
| Augen aber Feinde, Türken, die es zu eliminieren gilt. Welch eine primitive | |
| und doch bis heute bei serbischen Nationalisten gängige | |
| Geschichtsauffassung. | |
| Entscheidend aber ist, was [2][bei den Gedenkfeiern] nicht ausgesprochen | |
| wird. Auch Gutmeinende, von den Ereignissen Erschütterte, haben die | |
| Tendenz, die Dinge zu beschönigen. Man hofft, doch noch zur Versöhnung | |
| beizutragen. Man scheut sich, Ross und Reiter klar zu benennen. | |
| Und das trotz aller Erkenntnisse über die Rolle Serbiens schon 1992. Der | |
| größte Teil der Verbrechen in Bosnien blieb ungesühnt. Über 50.000 Menschen | |
| fielen den planmäßig durchgeführten ethnischen Säuberungen zum Opfer, über | |
| zwei Millionen wurden vertrieben, Zehntausende Frauen vergewaltigt. | |
| Srebrenica 1995 war nur der Wurmfortsatz dieser Geschichte. Serbien aber | |
| wurde vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag völkerrechtlich faktisch | |
| freigesprochen und aus der Verantwortung entlassen. | |
| Die Verbrechen der ethnischen Säuberungen fielen nicht vom Himmel. Sie | |
| folgten dem politischen Konzept, das in Belgrad entworfen wurde. Die | |
| multinationale Gesellschaft in Bosnien und Herzegowina war nach dem Zerfall | |
| Jugoslawiens die Antithese zum serbischen und kroatischen Nationalismus. | |
| Eine Nation ein Raum, hieß die Devise. Bosnien musste zerstört und | |
| zerstückelt werden, beide Mächte wollten einen Brocken für sich. | |
| Es gab zwar das Internationale Tribunal gegen Kriegsverbrechen der | |
| Vereinten Nationen in Den Haag und den Internationalen Gerichtshof. Zwar | |
| hat das UN-Tribunal mit Ratko Mladic und Radovan Karadzic als | |
| Hauptverantworliche verurteilt, doch es fällt auf, dass es nur bosnische | |
| Serben sind, die wegen Srebrenica verurteilt worden sind. Kein | |
| Funktionsträger aus Serbien ist bisher für die ethnischen Säuberungen in | |
| Bosnien, für das politische Konzept dahinter, verurteilt worden. | |
| EU-Politiker schweigen dazu, man fordert lieber von den Opfern, sich mit | |
| den Tätern zu versöhnen. Wie kann das aber gehen, wenn die Täter ungestraft | |
| die Verbrechen leugnen? Wenn sie Kriegsverbrecher als Kriegshelden | |
| bejubeln. Wenn sie die Überlebenden von Srebrenica verhöhnen, die bereit | |
| sind, ihre Hand zur Versöhnung auszustrecken. | |
| Die Sprache des Hasses und der Unversöhnlichkeit wurde in den letzten | |
| Jahren sogar wieder stärker. Das Eingeständnis von Schuld wird von den | |
| Tätern als Schwäche angesehen. Man stellt sich selbst als Opfer dar, wehrt | |
| alle Diskussionen über die eigenen Verbrechen ab. Den Genozid in Srebrenica | |
| habe es gar nicht gegeben, keine KZs in Prijedor, über 70 Prozent der | |
| Serben wissen bis heute nicht, dass Sarajevo dreieinhalb Jahre belagert und | |
| beschossen worden ist. | |
| ## Trümmer einer Gesellschaft | |
| Auch die Verantwortlichen in Europa und den USA scheuen das Licht. Im | |
| „Friedensplan“ der Kontaktgruppe bestehend aus den USA, Großbritannien, | |
| Frankreich, Deutschland und Italien war schon vor dem Fall Srebrenicas | |
| festgelegt worden, dass die bosniakischen Enklaven Srebrenica, Zepa, | |
| Gorazde und Bihac für die Aufhebung der Belagerung Sarajevos an die | |
| serbische Seite fallen sollten. Die verantwortlichen Politiker jener | |
| Staaten, die den Vertrag von Dayton unterzeichnet haben, spielen bis heute | |
| nicht mit offen Karten. Wer entschied letztlich, die schon über dem | |
| bosnischen Luftraum kreisenden Natoflugzeuge, die serbische Stellungen | |
| bombardieren sollten, um die UN-Schutzzone zu verteidigen, in letzter | |
| Minute zurückzupfeifen? Dass es anders geht, bewies der Natoangriff einige | |
| Wochen später. Das [3][Bombardement der serbischen Stellungen] um Gorazde | |
| rettete mehr als 150.000 Menschen. | |
| Doch das änderte nichts mehr an der bosnischen Tragödie. Das Land wurde im | |
| Friedensvertrag von Dayton im November 1995 als Staat anerkannt, doch | |
| ethnisch administrativ aufgeteilt. Srebrenica und Zepa sind heute Teil der | |
| sogenannten Republika Srpska. Die Resultate der ethnischen Säuberungen | |
| werden bis heute als Tatsache akzeptiert. Weiterhin werden die | |
| nationalistischen Parteien auch von EU-Diplomaten als „Partner“ behandelt. | |
| Zurück bleiben die Trümmer einer Gesellschaft, in der vorher Bosniaken, | |
| Serben, Kroaten und Juden friedlich zusammengelebt hatten. Aber vielleicht | |
| erkennt man jetzt auch bei uns, dass die Zerstörung Bosniens den Aufstieg | |
| des Nationalismus in Europa begünstigt hat. Das letzte Wort über die | |
| Zukunft des Landes darf deshalb noch nicht gesprochen sein. | |
| 10 Jul 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Erich Rathfelder | |
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