# taz.de -- Repression gegen die Letzte Generation: Harte Linie, nichts dahinter | |
> Der Senat wollte mit Härte durchgreifen. Doch Schnellverfahren und der | |
> Versuch der Einstufung als kriminelle Vereinigung sind gescheitert. | |
Bild: Die Forderung nach hartem Vorgehen gegen die Letzte Generation wird durch… | |
BERLIN taz | Über Nacht ist er entstanden, ein etwa 100 Meter langer | |
Pop-up-Radweg auf der Neuköllner Sonnenallee. Ein orangefarbener | |
Farbstreifen trennt eine halbe Autospur ab, Fahrrad-Piktogramme bedeuten: | |
Hier sollen sich Radfahrende jetzt sicher bewegen können. Weil jedoch die | |
offizielle Planung für einen geschützten, 1,1 Kilometer langen Radweg auf | |
diesem Teil der Sonnenallee in Höhe des S-Bahnhofes Köllnische Heide vom | |
Senat auf Eis gelegt wurde, handelt es sich dabei um keine bezirkliche | |
Baumaßnahme – sondern um eine Guerilla-Aktion der klimaaktivistischen | |
Gruppe „Sand im Getriebe“. | |
„Do it yourself, weil es die Politik nicht macht“, das ist laut Ella, eine | |
der Sprecherinnen der Gruppe, die Motivation für das nächtliche Treiben. | |
Der Gruppe gehe es „nicht nur um individuelle Sicherheit“, sondern auch um | |
„Klimagerechtigkeit im globalen Kontext“. Die [1][Streichung von geplanten | |
Radwegen durch Senatorin Manja Schreiner (CDU)] sei „lebensgefährdend“. Die | |
Mobilitäts- und Umweltsenatorin Schreiner, so der Vorwurf, spreche schon | |
nicht mehr von Klimaschutz, sondern nur noch von „Klimaanpassung“ – und | |
selbst dieser werde sie durch den Radwegestopp nicht gerecht. | |
Gegen einige Beteiligte der Straßenmalerei wird nun von polizeilicher Seite | |
ermittelt. Drei Aktivist:innen mit Warnwesten waren von der Polizei | |
aufgegriffen worden. Gegen sie wird nun wegen Sachbeschädigung ermittelt – | |
und zwar durch den für politische Kriminalität zuständigen polizeilichen | |
Staatsschutz. Was sich zunächst nach einer repressiven Maßnahme anhört, | |
begründet sich durch die angenommene politische Motivation. Schnelle | |
Strafen indes sind nicht zu erwarten; auch für wegen der in Pandemie | |
[2][selbst errichteteten Pop-up-Radwege] sei noch niemand verurteilt | |
worden, so Ella. | |
Überhaupt, scheint die Strategie des harten Durchgreifens des schwarz-roten | |
Senats gegen Klimaaktivist:innen schon nach nicht einmal 100 Tagen im | |
Amt in eine Sackgasse geraten zu sein. Wie am Mittwoch bekannt wurde, ist | |
eine Prüfung der Senatsjustizverwaltung zu dem Schluss gekommen, dass es | |
sich bei der Letzten Generation in Berlin nicht um eine kriminelle | |
Vereinigung handele. | |
## Wiederholte Prüfung | |
Trotz mehrerer fundierter und [3][sorgfältig durchgeführter Prüfvorgänge | |
der Berliner Staatsanwaltschaft] hatte Senatorin Felor Badenberg | |
(parteilos, für die CDU) im Mai eine erneute Prüfung durch ihre Verwaltung | |
angeordnet. In dem 30-seitigen Gutachten wurde laut Senatsjustizverwaltung | |
eine Entscheidung des Landgerichts Potsdams auf eine mögliche Übertragung | |
auf Berlin geprüft. Das Gericht hatte den Anfangsverdacht auf Bildung einer | |
kriminellen Vereinigung bejaht. | |
Für Berlin heißt es nun aber: „Aus Sicht des Fachbereiches lässt sich die | |
Entscheidung aus Brandenburg nur bedingt auf die Situation in Berlin | |
anwenden.“ In Brandenburg stehen insbesondere – folgenlose – Aktionen an | |
der PCK-Raffinerie in Schwedt im Fokus der Ermittlungen. | |
Eine – höchst umstrittene – Weisung an die Staatsanwaltschaft durch die | |
Senatorin, Ermittlungen aufzunehmen, ist damit wohl vom Tisch. Der | |
innenpolitische Sprecher der Grünen, Vasili Franco, sagte der taz: „Die | |
Prüfung war politisch motiviert und von Anfang an unnötig.“ Sebastian | |
Schlüsselburg, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion, sprach vom | |
„Eindruck, die Senatorin würde der fachlichen Einschätzung der | |
Staatsanwaltschaft nicht vertrauen“. Der Anschein möglicher politischer | |
Einflussnahme auf die Strafverfolgungsbehörden“ sei „fatal“. | |
Der CDU-Abgeordnete Christopher Förster, der im Oktober 2022 Anzeige gegen | |
die Letzte Generation wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung erstattet | |
hatte, sagte nun auf taz-Anfrage: „Meine Position hat sich bis heute nicht | |
verändert und ich halte die Entscheidung für falsch.“ Die Entscheidung sei | |
„kein Freifahrtsschein“ für die Gruppe, und könne auch „ganz schnell an… | |
ausfallen“. | |
## Keine Schnellverfahren | |
Derweil zeichnet sich auch das Scheitern eines zweiten Vorhaben des Senats | |
ab – [4][die Einführung von beschleunigten Verfahren für | |
Klimaaktivist:innen]. Bei den dafür neu geschaffenen Abteilungen des | |
Amtsgerichts Tiergarten sind bis Dienstag laut Gerichtssprecherin zwar 27 | |
Anträge der Staatsanwaltschaft auf Eröffnung eines „Schnellverfahrens“ | |
eingegangen, aber bislang ohne Erfolg. | |
In 11 Fällen seien die Anträge abgewiesen worden, 2 Mal habe die | |
Staatsanwaltschaft ihre Anträge zurückgenommen. 2 für Dienstag angesetzte | |
Verfahren wurden gestrichen: In einem versäumte das Gericht, die | |
Verteidigung fristgerecht – es gilt eine verkürzte Ladungsfrist von 24 | |
Stunden – zu laden. Das andere bezog sich auf dieselbe Blockade, über die | |
vergangene Woche verhandelt worden war und bei der [5][das Gericht zu dem | |
Schluss gekommen war, der Fall sei für ein beschleunigtes Verfahren nicht | |
eignet]. Dagegen verurteilte das Amtsgericht am Mittwoch in einem normalen | |
Verfahren einen Aktivisten wegen Nötigung in acht Fällen zu einer | |
Geldstrafe von 2.700 Euro. | |
Für Vasili Franco stellt der Rechtsstaat gerade klar, „wie er | |
funktioniert“. Alle, die argumentiert haben, dass es möglich sei, | |
Blockierer:innen im Schnellverfahren abzuurteilen, hätten den Menschen | |
„wissentlich Sand in die Augen gestreut“. Laut Franco ist der Senat an | |
seinem „Aktionismus“ gegen die Letzte Generation und dem eigenen | |
„Populismus“ gescheitert. „Der Senat merkt jetzt selbst, das er sich in | |
einem Rechtsstaat an Gesetze halten muss und sich die Spielregeln nicht | |
ausdenken kann“, so Franco. | |
Gescheitert sind auch andere Forderungen nach Bestrafung von | |
Klimaaktivist:innen. Die Staatsanwaltschaft hat klargestellt, dass den | |
Blockierer:innen, die den Verkehr auf der A100 durch langsames Fahren mit | |
eigenen Autos ausbremsten, um dann die Straße zu blockieren, nicht der | |
Führerschein entzogen werden könne. Dies setze eine „konkrete Gefährdung | |
voraus, also einen Beinahe-Unfall“, so die Staatsanwaltschaft. Davon sei | |
bei einem langsamen Ausbremsen „nicht auszugehen“, ein Anlass zur | |
Entziehung der Fahrerlaubnis liege nicht vor. | |
19 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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