# taz.de -- Berliner Justiz gegen Letzte Generation: Im Schnellverfahren | |
> Klimaaktivisten sollen nun im beschleunigten Verfahren abgeurteilt | |
> werden. Dabei ist die Sachlage kompliziert. Kritiker befürchten | |
> „Sonderjustiz“. | |
Bild: Jetzt rollen Schnellverfahren auf die Aktivist:innen der Letzten Generati… | |
BERLIN taz | Aktivist:innen der [1][Letzten Generation] sollen in | |
Berlin von nun an in sogenannten Schnellverfahren abgeurteilt werden. Laut | |
einem ab Donnerstag gültigen veränderten Geschäftsverteilungsplan des | |
Amtsgerichts Tiergarten sollen sich bis zu fünf Abteilungen allein mit | |
beschleunigten Verfahren beschäftigen, wie die Sprecherin der Berliner | |
Strafgerichte Inga Wahlen auf Nachfrage der taz bestätigte. | |
Besetzt sind vorerst zwei Abteilungen – mit zwei jungen Richtern auf Probe. | |
Bei Bedarf werden weitere Richter:innen abgeordnet. Dem Beschluss des | |
Amtsgerichtspräsidiums vorausgegangen war eine Entscheidung der Berliner | |
Staatsanwaltschaft, Klimaaktivist:innen im beschleunigten Verfahren | |
anzuklagen. | |
Die Einrichtung von Richterstellen für beschleunigte Verfahren am | |
Strafgericht ist neu. Üblich sind solch abgekürzten Verfahren bislang nur | |
auf Antrag der Amtsanwaltschaft, die die Aufgaben eines Staatsanwalts in | |
minder schweren Delikten wahrnimmt, etwa bei kleinen Diebstählen oder | |
Beförderungserschleichung. | |
Davon abgesehen sind beschleunigte Verfahren unüblich, aber laut | |
Strafprozessordnung möglich, „wenn die Sache auf Grund des einfachen | |
Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet | |
ist“. Durch vereinfachte Beweisregelungen soll damit eine schnelle | |
Aburteilung ermöglicht werden. | |
Zwischen einer Straßenblockade und einer Gerichtsverhandlung könnten | |
zukünftig also nur noch wenige Tage oder Wochen vergehen. Dafür müssten die | |
Akten im Tagesrhythmus von der Polizei an die Staatsanwaltschaft und von | |
dieser ans Gericht weitergeleitet werden. Die nun zuständigen Richter, bei | |
denen alle neuen Fälle im Zusammenhang mit der Letzten Generation landen | |
werden, entscheiden im Einzelfall, ob sie den Weg des beschleunigten | |
Verfahrens wählen oder in einem normalen Strafverfahren verhandeln. | |
## Form der „Sonderjustiz“ | |
Die Rechtsprechung, für die bislang dutzende verschiedene | |
Amtsrichter:innen zuständig waren – und entsprechend unterschiedliche | |
Urteile sprachen –, wird sich damit auf zunächst zwei Richter verengen. | |
Scharfe Kritik daran kommt vom Republikanischen Anwältinnenverein (RAV). | |
Dessen [2][Geschäftsführer Lukas Theune] spricht von „einer Art | |
Sondertribunal“ und einer „Form von Sonderjustiz“, die damit geschaffen | |
werde. Theune weist daraufhin, dass das deutsche Grundgesetz aus | |
historischen Gründen Ausnahmegerichte verbietet: „Nun werden solche aber in | |
Berlin nur für die Fälle der Letzten Generation eingeführt.“ | |
Dass es sich trotz der bei Straßenblockaden wiederkehrenden gleichen | |
Vorwürfe um rechtlich schwierige Sachverhalte handelt, zeigen zwei jüngste | |
Urteile höherer Berliner Gerichte. So hat das Landgericht den Vorwurf der | |
Nötigung von Autofahrer:innen abgelehnt, da für sie „ein Umsteigen auf | |
den öffentlichen Nahverkehr oder das Einplanen von mehr Zeit (…) generell | |
möglich“ sei. Die Letzte Generation kommentierte das Urteil in einer | |
Pressemitteilung: „Die höhere Instanz hat geurteilt, dass unsere | |
Straßenblockade gerechtfertigt ist. Das ist der Zeitpunkt, an dem die | |
Regierung sich mit uns an einen Tisch setzen sollte.“ | |
Ebenso hatte das Kammergericht in einer Revision eine Verurteilung des | |
Amtsgerichts wegen Nötigung aufgehoben und an eine andere Abteilung des | |
Landgerichts zurücküberwiesen. Der Grund: die nicht ausreichende | |
Beweisführung des Amtsgerichts. Das Geständnis des Angeklagten, sich an | |
einer Blockade beteiligt zu haben, hebe nicht die Notwendigkeit für die | |
Strafgerichte auf, „von Amts wegen den wahren Sachverhalt zu erforschen“, | |
heißt es in dem Beschluss. Dem erstinstanzlichen Urteil sei nicht zu | |
entnehmen, auf welcher Beweisführung die Feststellung beruhte, dass die | |
Blockade zu einem „Rückstau zahlreicher Fahrzeuge“ geführt habe. | |
Das Kammergericht stellt zudem grundsätzlich klar: Blockaden sind nicht | |
generell als Nötigung zu werten, stattdessen müsse die „konkrete Ausprägung | |
im Einzelfall festgestellt“ werden. Ob dies in Schnellverfahren passieren | |
kann, muss dagegen bezweifelt werden. Rechtsanwalt Theune fehlt angesichts | |
dieser Urteile von Land- und Kammergericht das Verständnis, die Verfahren | |
nun mit maximalem Tempo durchzupeitschen. Dies sei eine „krasse Missachtung | |
der obergerichtlichen Rechtsprechung“, sagt er. „Jeder Einzelfall erfordert | |
eine genaue Aufklärung und Abwägung der widerstreitenden Grundrechte. Es | |
sind offensichtlich keine Fälle, die sich für Schnellverfahren eignen.“ | |
## Frage nach politischer Einflussnahme | |
Die Berliner Staatsanwaltschaft antworte am Donnerstag nicht auf eine | |
Anfrage der taz, wieso man glaube, künftig zu diesem Instrument greifen zu | |
können. Auch die [3][Justizverwaltung von Senatorin Felor Badenberg] | |
(parteilos) gab zunächst keine Stellungnahme ab. Unklar ist demnach vorerst | |
auch, inwiefern die Staatsanwaltschaft in Absprache mit der | |
Justizverwaltung gehandelt hat. Noch im September vergangenen Jahres hatte | |
der Leiter der Staatsanwaltschaft Jörg Raupach im Rechtsausschuss | |
dargelegt, warum bei den Aktionen der Letzten Generation die gesetzlichen | |
Voraussetzungen für solche Verfahren gerade nicht vorliegen. | |
Scharfe Kritik kam vom rechtspolitischen Sprecher der Linksfraktion | |
Sebastian Schlüsselburg: „Wenn jetzt beschleunigte Verfahren nach § 417 | |
StPO gegen Demonstranten der Letzten Generation durchgeführt werden, stellt | |
sich die Frage, ob die Staatsanwaltschaft politisch instrumentalisiert | |
wird“, sagte er. Schlüsselburg kündigte an, Akteneinsicht zu nehmen, um | |
nachzuvollziehen, wie es zu dieser „Kehrtwende“ gekommen ist: „Ich hoffe | |
sehr, dass es hier keine politische Einflussnahme gegeben hat.“ | |
Auch von der rechtspolitischen Sprecherin der Grünen, Petra Vandrey, kam | |
Kritik. Bei den Klimaprotesten handele es sich um „komplexe Sachverhalte | |
und eine schwierige Beweislage“, sagte sie. Schnellverfahren eigneten sich | |
dafür gerade nicht. Damit wäre eine Aushöhlung des Rechtsschutzes für die | |
Betroffenen zu befürchten. Dies hält Vandrey für „rechtsstaatlich | |
bedenklich“. Vandrey sagte weiter: „Der Rechtsstaat darf mögliche | |
Straftaten im Zusammenhang mit Klimaprotesten nicht anders behandeln als | |
andere Straftaten. Der Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass vor den | |
Gerichten alle gleich behandelt werden.“ | |
15 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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