Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Razzien bei Letzte Generation: Überbordender autoritärer Eifer
> AfD und Union schreien „Klima-Terror“ – und der Staat schlägt zu, statt
> das Gespräch zu suchen: ein Armutszeugnis für den angeblichen
> „Klimakanzler“.
Bild: Die Vereinten Nationen haben die harten Maßnahmen gegen Klimaaktivisten …
Die ganze Republik diskutiert darüber, wie die Aktionen der
Klimaschutzgruppe Letzte Generation juristisch einzustufen sind, und was
macht die Justizministerkonferenz (Jumiko)? „Das war auf der Jumiko kein
Thema“, behauptete Berlins neue Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos,
für die CDU) am Freitag bei der Abschlusspressekonferenz in Berlin. Das
Land führt derzeit den Vorsitz bei der Konferenz, die vom 25. bis zum 26.
Mai stattgefunden hat.
Ungläubiges Nachfragen der Journalistinnen und Journalisten. Nein, auch
unter dem Tagesordnungspunkt Verschiedenes nicht, versicherte Hamburgs
Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne), die zusammen mit Badenberg und dem
bayrischen Justizminister Georg Eisenreich (CSU) die Pressekonferenz
bestritt. Und zu einem Thema, das nicht Thema auf der Jumiko war, „werden
wir nicht Stellung beziehen“, so Badenberg.
Kein Thema? Das glaube, wer will. Am Mittwoch hatte die bayerische
Generalstaatsanwaltschaft 15 Wohnungen von Klima-Aktivist*innen der Letzten
Generation in insgesamt sieben Bundesländern durchsucht, 1,4 Millionen Euro
Spendengelder beschlagnahmt sowie die Website der Gruppe gesperrt. Der
Vorwurf: Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Von den ARD-Tagesthemen dazu am Mittwochabend befragt, war Berlins
Justizsenatorin nicht so zurückhaltend gewesen. Nach viel Gestammel, teils
abgelesenen und widersprüchlichen Aussagen klang Badenberg am Ende fast so,
als lege sie den Klima-Aktivist*innen nahe, halt in den Untergrund zu
gehen, wenn ihnen das mit den Razzien nicht passt. Badenberg wörtlich: „Ob
jetzt die Letzte Generation in den Untergrund zu gehen hat oder Sonstiges,
das ist eine Entscheidung, die die Letzte Generation für sich treffen
muss.“
[1][Carla Hinrichs], eine bekannte Sprecherin der Gruppe, beschrieb, dass
sie noch im Bett lag, als die Polizei die Tür aufbrach und in ihr Zimmer
mit vorgehaltener Waffe stürmte. Der Berliner GdP-Sprecher Benjamin Jendro
kommentierte süffisant: „Klopf Klopf“.
Als Türöffner diente der auch für politische Repression berüchtigte
Paragraf 129 der „kriminellen Vereinigung“. Dabei tritt die [2][Gruppe
friedlich und transparent auf], sie macht lediglich symbolische Aktionen
und übt hauptsächlich zivilen Ungehorsam durch Sitzblockaden auf Straßen
aus. Für die Anwendung des Paragrafen 129 braucht es eigentlich eine Gefahr
der öffentlichen Sicherheit. Inwiefern die aber von Sitzblockaden oder
Festkleben an Bilderrahmen ausgeht, bleibt das Geheimnis der
Sicherheitsbehörden.
Und dass die [3][Berliner Staatsanwaltschaft] die Letzte Generation auch
angesichts anderweitiger symbolischen Aktionen und dem zivilen Ungehorsam
auf den Straßen grundsätzlich anders einstuft, interessiert in Bayern
offenbar niemand. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Denn wenn AfD,
Bild-Zeitung und CSU nur lange genug „Klima-Terroristen“ und „Klima-RAF“
schreien, schlägt der Staat irgendwann zu.
## Vorverurteilung inklusive
Behördliche Vorverurteilung und Verstöße gegen das staatliche
Neutralitätsgebot gab es gratis dazu: Die Bayerische
Generalstaatsanwaltschaft schrieb auf die gesperrte Website unter einem
Logo des bayerischen LKA und der Generalstaatsanwaltschaft München
vorsorglich: „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung
gemäß § 129 StGB dar! (Achtung: Spenden an die Letzte Generation stellen
mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!)“.
Dabei ist die Frage, ob es sich bei der Letzten Generation um eine
kriminelle Vereinigung handelt, [4][gerichtlich nicht ansatzweise geklärt].
Die völlig enthemmten bayerischen Behörden mussten ihre [5][unseriösen
Behauptung mehrfach zurücknehmen] und die Sätze löschen. Es bestehe
lediglich der „Anfangsverdacht, dass es sich um eine kriminelle Vereinigung
handeln könnte“.
Doch der überbordende autoritäre Eifer der bayerischen Behörden hat bis zur
gerichtlichen Prüfung in der Zwischenzeit für Kriminalisierung zivilen
Ungehorsams und friedlichen Protests gesorgt. Er stigmatisiert damit gleich
Unterstützer*innen und Spender*innen der Gruppe mit.
Anstatt mit jungen und desillusionierten Aktivist*innen ins Gespräch zu
kommen, die verzweifelt, aber grundsätzlich friedlich zivilen Ungehorsam
ausüben, um für die Einhaltung der Pariser Klimaziele zu protestieren,
schicken Politiker*innen die Polizei vor. Nochmal: Ihre Ziele sind
internationaler Konsens, auf den sich auch die Bundesrepublik verpflichtet
und deren Einhaltung das Bundesverfassungsgericht angemahnt hat.
Der deutsche Staat beantwortet also legitime Kritik mit Repression. Ins
Bild passt, dass Bundeskanzler Scholz die Aktionen der Letzten Generation
als [6][„völlig bekloppt“] bezeichnete. Gleichzeitig blamiert er sich in
seiner angeblichen „Fortschrittskoalition“, weil er nicht einmal
[7][Gesetze zur Wärmewende] gegen die Blockade der FDP durchsetzen kann.
## Vereinte Nationen kritisieren Bundesrepublik
Noch peinlicher: Die Vereinten Nationen verurteilen das harte deutsche
Vorgehen gegen Klima-Aktivist*innen. UN-Generalsekretär António Guterres
ließ mitteilen, dass die weltweiten Klimaziele ohne Umweltproteste schon
außer Reichweite wären: „Klimaaktivisten – angeführt von der moralischen
Stimme junger Menschen – haben ihre Ziele auch in den dunkelsten Tagen
weiter verfolgt. Sie müssen geschützt werden und wir brauchen sie jetzt
mehr denn je.“ Protestierende hätten in „entscheidenden Momenten maßgebli…
dazu beigetragen, Regierungen und Wirtschaftsführer dazu zu bewegen, viel
mehr zu tun“, heißt es aus New York.
Immerhin: Auch die gesellschaftliche Solidarität reißt nicht ab. Die
Aktivist*innen hatten nur einen Tag nach den Razzien bereits wieder
[8][200.000 Euro Spenden gesammelt]. Und ihre verzweifelte
Entschlossenheit, für die Unterbrechung des fossilen Alltags auch
Verurteilungen in Kauf zu nehmen, legt schonungslos offen, wie repressiv
der Staat vorgeht, um die Klimakrise weiter verdrängen zu können.
Diese autoritäre Selbstoffenbarung zeigt die Hilflosigkeit der Regierung
angesichts des friedlichen Protests für vernünftige Forderungen wie
Tempolimit und 9-Euro-Ticket. Auch deswegen solidarisieren sich
mittlerweile auch reihenweise [9][Kritiker*innen ihrer Protestformen]
mit der Letzten Generation.
Und was tun die 16 Justizministerinnen und -minister? Schweigen. Souveräne
Politik sieht anders aus.
27 May 2023
## LINKS
[1] https://twitter.com/AufstandLastGen/status/1661360741893517313
[2] /Razzien-bei-der-Letzten-Generation/!5933455
[3] /Klimaprotest-keine-kriminelle-Vereinigung/!5935457
[4] /Strafverteidiger-ueber-Letzte-Generation/!5936702
[5] https://twitter.com/NDRrecherche/status/1661715087453831169
[6] /Scholz-kritisiert-Letzte-Generation/!5936590
[7] /Streit-um-Heizungsgesetz/!5933371
[8] https://twitter.com/retep_kire/status/1661692456784519169
[9] https://twitter.com/jp_kindler/status/1661671324090081280
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Wochenkommentar
Letzte Generation
Repression
Razzia
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimaproteste
Schwerpunkt Klimaproteste
Letzte Generation
Grüne Berlin
Razzia
Schwerpunkt Klimaproteste
Schwerpunkt Klimawandel
Letzte Generation
## ARTIKEL ZUM THEMA
Repression gegen die Letzte Generation: Harte Linie, nichts dahinter
Der Senat wollte mit Härte durchgreifen. Doch Schnellverfahren und der
Versuch der Einstufung als kriminelle Vereinigung sind gescheitert.
Berliner Justiz gegen Letzte Generation: Im Schnellverfahren
Klimaaktivisten sollen nun im beschleunigten Verfahren abgeurteilt werden.
Dabei ist die Sachlage kompliziert. Kritiker befürchten „Sonderjustiz“.
Parteitag der Berliner Grünen: Vorsicht, reißender Fluss
Die Berliner Grünen haben auf ihrem Parteitag einen umfassenden Antrag zum
Klimaschutz beschlossen – und auch ein wenig Selbstkritik geübt.
Razzien bei der Letzten Generation: Sind Spenden erlaubt?
In Bayern fand man, Spenden für Klimakleber stellen eine strafbare
Unterstützung dar. Aber so einfach ist das nicht.
Razzia bei Letzter Generation: Bayerns Justiz hat gewildert
Söders Generalstaatsanwaltschaft hat ihre willfährige Justiz in andere
Bundesländer geschickt, um dort aufzuräumen. Was tut man nicht alles für
den Wahlkampf.
Nach Razzia bei Klimaaktivist:innen: Zweifel an Rechtmäßigkeit
Parteiübergreifend kritisiert die Politik den Vorwurf, dass die
Klimagruppe eine kriminelle Vereinigung sei. Die Staatsanwaltschaft räumt
Fehler ein.
Razzien bei Klimaaktivisten: Bayern wirbt Letzte Generation ab
Nach den Durchsuchungen bei der Letzten Generation ist es mit dem Fokus auf
Berlin erst mal vorbei. Schwerpunkt wird jetzt Bayern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.