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# taz.de -- Parteitag der Berliner Grünen: Vorsicht, reißender Fluss
> Die Berliner Grünen haben auf ihrem Parteitag einen umfassenden Antrag
> zum Klimaschutz beschlossen – und auch ein wenig Selbstkritik geübt.
Bild: Alle für den Klimaschutz: Abstimmung auf dem Parteitag in Moabit
Berlin taz | So begeistert war die Versammlungsleitung von der Zustimmung
für den Leitantrag auf dem grünen Landesparteitag am Samstag, dass sie
glatt vergaß, nach Enthaltungen zu fragen. Tatsächlich gingen auch ein paar
Arme hoch, als das nachgeholt wurde. Dass das Ergebnis damit nicht mehr
einstimmig, sondern nur noch „einmütig“ war, wie Versammlungsleiter
Benedikt Lux betonte, tat der Sache aber keinen Abbruch. Die Partei steht
klar hinter dem umfangreichen Forderungskatalog mit dem Titel „Das Beste
für Berlin: Klimaschutz, der wirkt“.
[1][Dieses „Beste für Berlin“] ist als ironisches Zitat der schwarz-roten
Bündnisses zu lesen, das mittlerweile Berlin regiert: Immerhin stehen genau
diese Worte über dessen Koalitionsvertrag. Verständlicherweise sehen die
Grünen das anders, wie gleich zu Beginn der Versammlung Landeschefin
Susanne Mertens betonte: Der CDU-SPD-Senat und seine „leeren Phrasen“ von
Stabilität seien längst von der Realität eingeholt worden, das Einzige, was
das Duo Wegner-Giffey zu bieten habe, sei ein „Füllhorn an Versprechen“.
Gerade in Bezug auf die Klimapolitik drohe aber ein Stillstand, den sich
Berlin nicht leisten könne.
Am RednerInnenpult in einem Moabiter Konferenz-Hotel erzählte Mertens eine
kleine, aber sehr metaphorische Geschichte aus ihrer Jugend: Wie die
Familie einmal im Urlaub in einem trockenen Flussbett zeltete, bis in der
Nähe ein Unwetter niederging und der Vater mitten in der Nacht zum Aufbruch
drängte – gerade rechtzeitig, denn nur wenig später, und ein reißender
Fluss hätte das Camp zerstört. Den Menschen, die angesichts der Klimakrise
verunsichert seien, gehe es jetzt wie ihrem jugendlichen Selbst, dass
verschlafen und frierend an der Notwendigkeit der Maßnahme zweifelte, so
die Grünenchefin.
Mertens räumte ein, dass es den Grünen im Wahlkampf „nicht immer gelungen“
sei, die BerlinerInnen bei der „Mammutaufgabe“ Klimaschutz mitzunehmen. Die
Partei müsse manchmal bescheidener sein und mehr zuhören: „Wir sind nicht
die besseren HandwerkerInnen oder IT-SpezialistInnen.“ Ähnlich äußerten
sich Grünen-Urgestein Renate Künast („Müssen über Ängste reden, die zum
Teil real sind“) und Daniel Wesener. Der Ex-Finanzsenator, dem zusammen mit
Ex-Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch und Ex-Gesundheitssenatorin Ulrike
Gote ausführlich gedankt wurde, sagte, „Maximalforderungen wiederholen“ sei
nun in der Opposition zwar leicht, führe aber schnell zu Enttäuschung. „Wer
polarisiert, nimmt auch die Spaltung dieser Gesellschaft in Kauf.“
## CDU-Götze Auto
Landeschef Philmon Ghirmai warnte bei der Vorstellung des Klima-Leitantrags
vor einer Verwässerung des Erreichten durch die CDU. Die erhebe das Auto
zum „Götzen“, und ihre [2][Umweltsenatorin Manja Schreiner versuche, an der
Solarpflicht zu sägen]. Der dann mit der erwähnten Einmütigkeit
beschlossene Antrag dekliniert Klimaschutz auf allen gesellschaftlichen
Ebenen durch – bis hin zum Appell, Rudern, Segeln und Stand-up-Paddling
gegenüber motorisierten Wassersportarten zu priorisieren. Stärker als
bisher liegt der Fokus auf der sozialen Abfederung: Der Text fordert die
Abschaffung der Modernisierungsumlage, man will aber auch
Transferleistungs-EmpfängerInnen „unbürokratisch unterstützen, Förderung
für Balkonkraftwerke zu erhalten“.
Für etliche Buh-Rufe, aber auch Beifall sorgte Yasemin Derviscemallioglu
vom Kreisverband Mitte mit einer klaren Distanzierung von den Methoden der
Letzten Generation: „Sich festzukleben ist passive Gewalt und Nötigung“,
sagte sie in ihrem Redebeitrag. Nicht nur erzeuge das Unverständnis bei
Menschen, „deren Arbeitgeber kein Verständnis dafür hat, wenn sie zu spät
zur Arbeit kommen“. Wenn man diese Aktionsformen akzeptiere, schaffe das
womöglich auch Legitimität in ganz anderen Zusammenhängen: „Wenn dann die
Rechten mit demselben Selbstverständnis kommen – dann dürfen die das auch.�…
Keinen Erfolg hatte schon im Vorfeld des Parteitags ein Änderungsantrag zum
Leitantrag gehabt, der sich von den Protestformen der Letzten Generation
distanzierte: „Wir sehen die Aktionen einiger Klimaaktivist*innen
kritisch, die nur diejenigen treffen, die selbst kaum Einfluss auf
systemische Veränderungen besitzen“, hieß es darin. Eingebracht hatten ihn
Mitglieder verschiedener Kreisverbände, unter anderem der Berliner
Abgeordnete Taylan Kurt und die Bundestagsabgeordnete und ehemalige
Landesvorsitzende Nina Stahr.
## Schmerzgriffe verurteilt
Eine ausführliche Positionierung zur Letzten Generation fehlt im Leitantrag
ohnehin – dafür gab es einen weiteren Beschluss, der es als „verständlich…
bezeichnet, dass „die Letzte Generation mit zivilem Ungehorsam
Aufmerksamkeit für den Klimaschutz generiert“. Weiter heißt es: „Wir
fordern Klimaschutzmaßnahmen und nicht unsolidarische Debatten über
Protestformen von jungen Menschen, die sich für den Klimaschutz und damit
schlicht und einfach für ein politisches Ziel von Verfassungsrang
einsetzen.“ [3][Polizeiliche Gewalt in Form von Schmerzgriffen] und
Selbstjustiz durch Autofahrende werden verurteilt.
Offenbar zu radikal war dagegen ein Änderungsantrag des Kreisverbands
Friedrichshain-Kreuzberg gewesen, der die Bundespartei ins Visier nahm, es
aber nicht in die Beschlussfassung schaffte. „Wir finden es peinlich und
nicht hinnehmbar“, hieß es hier, „dass eine Partei, die ihren Ursprung in
der Umweltprotestbewegung und zivilem Ungehorsam hat, sich immer wieder
öffentlich gegen eine zivilgesellschaftliche Organisation stellt“ – obwohl
diese ja gerade für die Klimaziele der Bundesregierung kämpfe. „Wir lehnen
es ab“, hatten die AntragstellerInnen formuliert, „gesetzwidriges Verhalten
der Aktivist*innen der Letzen Generation zu diskutieren, während der
Verkehrsminister straflos das Klimaschutzgesetz bricht – mit deutlich
gravierenden Konsequenzen.“
4 Jun 2023
## LINKS
[1] /Regierungserklaerung-im-Abgeordnetenhaus/!5933568
[2] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2023/06/berlin-solargesetz-senatorin-s…
[3] /Razzien-bei-Letzte-Generation/!5936972
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Grüne Berlin
Letzte Generation
Klimaschutzziele
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Wochenkommentar
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