# taz.de -- Reichsbürger-Putsch: Wirr und gefährlich | |
> Eine Gruppe Reichsbürger um Heinrich Prinz Reuß soll Umsturzpläne | |
> vorbereitet haben. Nun beginnt gegen die Beschuldigten das | |
> Terrorverfahren. | |
Bild: Der festgenommene Heinrich XIII Prinz Reuß (r) nach der Razzia im Dezemb… | |
Marco van H. zählte sich zu einem der Großen in der Verschwörerrunde. Der | |
Mann aus Pfinztal bei Karlsruhe prahlte, er sei ein früherer Elitesoldat. | |
In Erdtunneln habe er gekämpft, um Kinder zu befreien, die vom „Deep State“ | |
festgehalten würden, um aus ihren Körpern ein „Verjüngungselixier“ zu | |
gewinnen. Auch stehe er in direktem Kontakt mit den Gegnern des „Deep | |
State“, einer geheimen „Allianz“. Und: Er sei bereit zu kämpfen „bis z… | |
Tod“. | |
Marco van H. soll dies so im Frühjahr 2022 vor der Reichsbürgertruppe um | |
den hessischen Adelsnachfahren Heinrich Prinz Reuß vorgetragen haben. Es | |
hinterließ Eindruck. Dort teilte man den Verschwörungsglauben an den „Deep | |
State“, dem auch die Bundesregierung zugerechnet wurde – und offenbar den | |
Willen, diese Regierung zu stürzen. Marco van H. wurde Teil des | |
„militärischen Arms“ der Reuß-Truppe, eingeteilt als „Verbindungsoffizi… | |
zur „Allianz“. Bis zum 7. Dezember 2022, als der 50-Jährige im Auftrag der | |
Bundesanwaltschaft festgenommen wurde, und mit ihm 24 weitere mutmaßliche | |
Putschisten. Es war [1][die größte Anti-Terror-Razzia] der jüngeren Zeit in | |
Deutschland. | |
Ab Montag wird Marco van H. nun mit acht weiteren Beschuldigten vor dem | |
Oberlandesgericht Stuttgart stehen, im neuen Hochsicherheitsgebäude von | |
Stammheim. Der Vorwurf: Bildung einer terroristischen Vereinigung. Es wird | |
der Auftakt gleich dreier Großprozesse. Mitte Mai startet ein zweites | |
Verfahren in Frankfurt am Main, mit dem 72-jährigen Prinz Reuß auf der | |
Anklagebank und der früheren AfD-Bundestagsabgeordneten und Richterin | |
Birgit Malsack-Winkemann, die von den Reichsbürgern als künftige | |
Justizministerin vorgesehen war. Im Juni folgt dann der dritte Prozess in | |
München. Insgesamt 26 Personen sind angeklagt, einer verstarb kürzlich | |
erkrankt. Es wird ein juristischer Kraftakt, drei parallele Terrorprozesse | |
[2][dieser Größenordnung zum gleichen Komplex] gab es noch nie. | |
Die Reichsbürger um Heinrich Prinz Reuß sollen sich im Sommer 2021 | |
zusammengefunden haben, geeint in ihrer Wut über die Coronamaßnahmen, | |
geeint auch im Glauben an Verschwörungsmythen. Unter ihnen waren einstige | |
Bundeswehrsoldaten und Polizisten, aber auch eine Hausärztin, ein | |
Landschaftsgärtner, ein Tenorsänger, etliche von ihnen zuvor auf | |
Coronaprotesten aktiv. Man traf sich im [3][Thüringer Jagdschloss | |
Waidmannsheil] von Prinz Reuß in Bad Lobenstein. Die Regierung verachteten | |
sie als „verbrecherische Clique“, die „an die Wand gestellt“ gehöre. In | |
einer „Verschwiegenheitserklärung“ wurde absolutes Stillschweigen über die | |
Gruppe vereinbart – bei Verstößen drohte die „Todesstrafe“. | |
Es blieb nicht nur bei Worten. Die Gruppe bildete einen „militärischen | |
Arm“, angeführt von Rüdiger von Pescatore, einem früheren Fallschirmjäger, | |
der aus der Bundeswehr flog, weil er Dienstwaffen mit nach Hause nahm, dann | |
nach Brasilien auswanderte und eigens für die Gruppe im Oktober 2021 nach | |
Deutschland zurückkehrte. Dieser „Arm“ entwarf eigene Uniformen, führte | |
Schießtrainings durch, spähte Kasernen aus und plante den Aufbau von 286 | |
Heimatschutzkompanien, die nach einem Umsturz „Säuberungen“ durchführen | |
sollten. | |
## Es sollten noch mehr Waffen werden | |
Wie ernst es die Gruppe meinte, zeigt ihr Waffenarsenal: 382 Schusswaffen, | |
347 Stichwaffen und mehr als 148.000 Munitionsteile fand die Polizei. Bei | |
Prinz Reuß entdeckte sie 989 Schuss Munition, bei Malsack-Winkemann ein | |
Selbstladegewehr und einen Revolver mit 6.955 Patronen und 21 Magazinen, | |
dazu drei Taser und zwei Schlagstöcke, einiges davon griffbereit in einer | |
Tasche verstaut. Die Beschaffung war offenbar nicht schwer, unter den | |
Durchsuchten war auch ein sächsischer Waffenhändler. | |
Es sollten noch mehr Waffen werden, insgesamt 500.000 Euro sammelte die | |
Gruppe, in einer eigenen „Patriotenkasse“. Ein Großteil des Geldes war für | |
Waffenkäufe bestimmt, bestellt vor allem über ein Schweizer | |
Zwillingsbruderpaar, das aber nie lieferte. Die Gruppe war Betrügern | |
aufgesessen. Zuvor soll allein Prinz Reuß 50.000 Euro beigesteuert haben, | |
zwei weitere Beschuldigte jeweils rund 150.000 Euro. | |
Von Beginn an soll die Gruppe einen Sturm auf den Bundestag geplant haben, | |
um dort Abgeordnete und anwesende Minister festzunehmen. Laut Anklage war | |
dabei auch die Tötung von Menschen eingepreist. Die AfD-Abgeordnete | |
Malsack-Winkemann soll Gruppenmitglieder im August 2021 zweimal durch das | |
Parlament geführt, ihnen Terminpläne des Bundestags übersandt haben. Auch | |
habe die Gruppe vergeblich versucht, aktive KSK-Soldaten für die Aktion | |
anzuwerben – ebenso wie eine [4][zweite Reichsbürgertruppe, die inzwischen | |
vor Gericht steht,] weil sie Gesundheitsminister Karl Lauterbach entführen | |
wollte. | |
Zudem legte die Gruppe Feindeslisten an. Bundestagsabgeordnete standen | |
darauf, aber auch Landräte, Amtsärzte, Richter, Polizisten oder | |
Fernsehmoderator:innen wie Sandra Maischberger. In Chats war die | |
Rede davon, die Listen seien für „Aufräumarbeiten“ nach einem Machtwechsel | |
vorgesehen. Auch hier glauben die Ermittler, dass dies Tötungen | |
miteinschloss. | |
## Man wollte „das System stürzen“ | |
Immer wieder wurden auch Kontakte nach Russland gesucht. Prinz Reuß selbst | |
fuhr ins russische Generalkonsulat nach Leipzig und nach Bratislava, nahm | |
Kontakt zum russischen Motorradclub „Nachtwölfe“ auf. Eine Mitstreiterin | |
kontaktierte das Konsulat in Frankfurt am Main. In einem Papier, das bei | |
Prinz Reuß gefunden wurde, heißt es: „Zeigen wir ihnen, dass der deutsche | |
Wolf und der Russische Bär ein unschlagbares Team sind.“ Wie die russischen | |
Vertreter auf die Avancen reagierten, konnte die Bundesanwaltschaft nicht | |
ermitteln. | |
Zugleich skizzierte der Reichsbürgertrupp bereits einen „Rat“, eine | |
Übergangsregierung, die Prinz Reuß anführen sollte. Neben Malsack-Winkemann | |
als Justizministerin sollte es Zuständige für „Sicherheit und Polizei“, | |
Gesundheit oder „Transkommunikation“ geben. Eine „Absetzungserklärung“… | |
die Bundesregierung war schon vorformuliert. Laut Anklage wurde fürs | |
Losschlagen nur noch auf ein Signal der ominösen „Allianz“ gewartet, das | |
einige etwa im Tod der britischen Königin Elisabeth II. sahen. | |
Vor allem der nun angeklagte Marco van H. berief sich gegenüber der Gruppe | |
immer wieder auf die „Allianz“ und gab vor, von dieser Nachrichten zu | |
überbringen. Der vorbestrafte frühere Zeitsoldat trat zuvor bei | |
Coronaprotesten auf, klebte in Pforzheim Sticker, die Impfärzte mit dem Tod | |
drohten. Bei den Sitzungen im Jagdschloss hielt er, teils in Flecktarn, | |
Vorträge über die „tatsächliche geopolitische Lage“ oder zeigte | |
vermeintliche Fotos der Tunnel des „Deep State“. | |
Man müsse „das System stürzen“, alles andere sei „scheißegal“, soll … | |
Mitstreitern gesagt haben. Wenn es nach ihm gehe, wäre man direkt „nach | |
Berlin einmarschiert“ und hätte „alle umgelegt“. Immer wieder soll sich … | |
Pfinztaler dann an Rekrutierungen für neue Mitglieder und | |
„Heimatschutzkompanien“ beteiligt und auch die „Verschwiegenheitserkläru… | |
in Auftrag gegeben haben. | |
## Schüsse gegen Beamte | |
Das Signal der „Allianz“ kam allerdings nie. Was schließlich auch den | |
Mitstreitern von Marco van H. dämmerte, dass dieser ihnen etwas vorgaukelt. | |
Prinz Reuß wollte ihn am Ende aus der Gruppe drängen, nannte die Leute um | |
ihn herum „Vollidioten“. Andere aber stellten sich hinter Marco van H. Und | |
so gingen die Rekrutierungen weiter, die letzte war noch für den 7. | |
Dezember 2022 in Sachsen-Anhalt geplant, auch eine aktive Polizistin wollte | |
dafür anreisen. Die bundesweiten Razzien aber machten das Treffen zunichte. | |
Neben Marco van H. gehören zu den Angeklagten in Stuttgart unter anderem | |
ein Reichsbürger, der auf seinem Telegram-Kanal mit großer Reichweite für | |
die Gruppe geworben hatte und als eine Art Sprecher fungiert haben soll; | |
ein weiterer, der in Tübingen bereits eine „Heimatschutzkompanie“ aufgebaut | |
hatte, oder der Reutlinger Markus L., der erst später festgenommen wurde | |
und dabei mit Gewehrschüssen zwei Beamte verletzte. Die Anklage wertet das | |
als versuchten Mord – und als Beweis, dass die Gruppe tatsächlich zu | |
schwerster Gewalt bereit war. Im Stuttgarter Prozess sollen die Schüsse von | |
Markus L. daher gleich zu Beginn verhandelt werden. | |
Die Führungsriege um Heinrich Prinz Reuß wird in Frankfurt am Main vor | |
Gericht stehen, ebenso wie AfD-Frau Malsack-Winkemann, die zuletzt bei der | |
[5][Berliner Nachwahl zur Bundestagswahl trotz U-Haft] noch 5,5 Prozent der | |
Stimmen bekam. Die Herausforderung wird, alle drei Prozesse zu | |
koordinieren: Mit Zeugen, die in allen drei Gerichten aussagen müssen und | |
der parallelen Klärung, was genau die Vereinigung vorhatte. | |
Mehrere Beschuldigte haben vor den Ermittlern die Terrorvorwürfe bereits | |
zurückgewiesen. Die Anwälte von Marco van H. wollten sich auf taz-Anfrage | |
nicht äußern. Andere Verteidiger, darunter auch rechte Szeneanwälte, | |
kritisieren, dass das Besprochene nur Hirngespinste gewesen seien, die | |
Gruppe hätte niemals einen Umsturz bewerkstelligen können. Allerdings: Auch | |
im jüngsten Prozess gegen die ähnlich agierende „Gruppe S.“ vor dem | |
Oberlandesgericht Stuttgart argumentierten die Angeklagten so, am Ende | |
verurteilte sie das Gericht dennoch als Terroristen zu Haftstrafen bis zu | |
sechs Jahren. | |
## 800 Ordner Ermittlungsakten | |
Die Bundesanwaltschaft kann sich bei der Gruppe um Prinz Reuß auf viel | |
Material berufen, rund 800 Ordner umfassen die Ermittlungsakten. Schon früh | |
waren die Sicherheitsbehörden über die Gruppe im Bilde: Ein von den | |
Reichsbürgern umworbener aktiver Generalleutnant hatte bereits im August | |
2021 den Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr informiert. | |
Später versuchte die Gruppe auch einen verdeckten Ermittler des BKA | |
anzuwerben. Zudem hörten die Ermittler Telefone ab, überwachten | |
Chatgruppen, observierten Treffen. Mehrere Beschuldigte sagten inzwischen | |
umfassend aus, allein Malsack-Winkemann bei sechs Terminen. Aber selbst mit | |
den Prozessen in Stuttgart, Frankfurt am Main und München wird der Komplex | |
noch nicht abgearbeitet sein. Es laufen immer noch Ermittlungen gegen 42 | |
weitere Beschuldigte, die mit der Reichsbürgertruppe zu tun hatten. Und | |
auch das sind noch nicht alle: Deren „Verschwiegenheitserklärung“ hatten | |
mehr als 130 Personen unterschrieben. | |
Marco van H. hatte früher eine klare Meinung, was er von der Justiz hält, | |
von Anwälten, Ärzten und dem „ganzen Konsortium“: „Mit dem Rattenpack“ | |
würde er kurzen Prozess machen, sagte er in einem abgehörten Telefonat. | |
13 May 2024 | |
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Konrad Litschko | |
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