# taz.de -- Reichsbürgerprozess in Stuttgart: Der Computer-Nerd des Prinzen | |
> Am zweiten Tag im Stuttgarter Reichsbürgerprozess sagt Wolfram S. aus. Er | |
> will von den Absichten der Truppe nichts gewusst haben. Ist das | |
> glaubwürdig? | |
Bild: Ein Angeklagter wird in Stuttgart-Stammheim beim Beginn des Reichsbürger… | |
STUTTGART taz | Am Nachmittag eines langen Verhandlungstags im | |
Hochsicherheitsgerichtssaal Stuttgart-Stammheim präsentiert das Gericht am | |
Montag den Entwurf eines Dokuments, das die mutmaßlichen Umstürzler um | |
Prinz Reuß an ihre Bürger ausgeben wollten. Neben einem Wappen mit | |
Reichsadler steht da „Wehrpass der Deutschen Armee“. Außer persönlichen | |
Angaben heißt eine Rubrik: „Dienstgrad“. Wolfram S., IT-Ingenieur und | |
Fotograf aus Ettlingen bei Karlsruhe, sollte dieses und andere Dokumente | |
für die mutmaßlichen Putschisten um Heinrich Prinz Reuß digital nutzbar | |
machen. Dafür besorgte er sechs Laptops und stattete sie für den Tag X mit | |
geschützten Linux-Programmen aus. Er ist, wenn man so will, der | |
Computer-Nerd des Prinzen. | |
[1][Es ist der zweite Prozesstag des Stuttgarter Verfahrens im | |
Mammutverfahren gegen die mutmaßliche Verschwörergruppe um Prinz Reuß.] Die | |
insgesamt 26 Angeklagten, die sich in Stuttgart, München und Frankfurt am | |
Main vor Gericht verantworten müssen, sollen einen gewaltsamen Umsturz | |
geplant haben. In Stuttgart geht es vor allem um den militärischen Arm der | |
Gruppe, der die Machtübernahme mit Waffengewalt hätte durchsetzen sollen. | |
Dazu ist laut Anklage schon mit dem Aufbau von mehr als 280 militärisch | |
organisierten Heimatschutzkompanien begonnen worden. | |
S. hat wohl nie eine Waffe in der Hand gehabt. Er war | |
Wehrdienstverweigerer. Ein eher schlanker Mann mit kurz geschorenen Haaren, | |
im kurzärmligen blauen Hemd, die Brille wie ein Visier auf die hohe Stirn | |
geschoben. Er ist der erste und bisher einzige der acht Angeklagten, der in | |
vollem Umfang aussagen möchte. Das Gericht nimmt sich dafür den ganzen Tag | |
Zeit. | |
Bei Wolfram S. kann man erfahren, wie der Weg eines gut ausgebildeten | |
Systemtechnik-Ingenieurs in den Dschungel von Verschwörungserzählungen | |
führen kann. Und man erkennt, dass S. eine Art Keramik-Strategie verfolgt. | |
Von den hässlichen Absichten der Reuß-Gruppe soll möglichst wenig an ihm | |
hängen bleiben. Er will nur der unpolitische Computer-Nerd des Prinzen | |
gewesen sein. | |
S. berichtet, dass Katastrophenvorsorge in seiner Familie immer eine Rolle | |
gespielt habe. Der Vater, Mediziner und Atomkraftgegner, habe sich sogar | |
einmal ein Angebot für einen Atombunker machen lassen. Nach seiner | |
Scheidung im Jahr 2019 beschäftigt sich der studierte Elektronikingenieur | |
intensiver mit Katastrophenvorsorge und macht eine Ausbildung zum | |
Schamanen. Dann kommt Corona. | |
## Nichts dabei gedacht? | |
Über ein eigenes Plattform-Projekt zur Nachbarschaftshilfe kommt S. in | |
Kontakt mit der Prepperszene. In Chats macht er Bekanntschaft mit | |
Verschwörungserzählungen über eine angebliche Allianz und einen Tag, an dem | |
dieser Verbund der ehemaligen Siegermächte die vermeintlich fehlende | |
Souveränität der Bundesrepublik wieder herstelle. S., der Diplomingenieur, | |
sagt: „Ich hab mir das alles angehört, konnte es aber nicht überprüfen. | |
Mein Grundsatz ist: Ich glaube nix, halte aber alles für möglich.“ | |
2021 kommt er mit den [2][mutmaßlichen Reuß-Verschwörern] in Kontakt. Er | |
trifft Marco von H. und seine Bekannte Mirka W. auf einer | |
Prepperveranstaltung. Bereit sein, falls die Zivilisation zusammenbricht, | |
das sei für ihn immer ein Thema gewesen und mit dem Corona-Lockdown immer | |
wichtiger geworden. Mirka W. spricht ihn an, es gebe da eine Gruppe, die es | |
mit der Krisenvorsorge ernster meine, die wolle für den Fall gerüstet sein, | |
dass zum Beispiel das Finanzsystem zusammenbreche. „Ich hielt das nicht für | |
sehr wahrscheinlich“, sagt S. Er habe den Eindruck gehabt, dass er seine | |
Ideen für eine Plattform der gegenseitigen Nachbarschaftshilfe habe | |
einbringen können. | |
Und spätestens da erscheint die Aussage des Angeklagten S. wenig | |
glaubwürdig. Ihm kommen nicht einmal Zweifel, als Mirka W. ihm bei einem | |
persönlichen Treffen die Verschwiegenheitserklärung der Gruppe vorlegte: | |
Wer sein Schweigen breche, dem drohe die Todesstrafe. S. will das nicht | |
ernst genommen haben. „Das war ja wie beim Schuh des Manitu“, sagt er. „I… | |
habe gedacht: Dann müssen sie mich halt umbringen. Dann haben sie aber auch | |
keinen ITler mehr“. | |
S. kann sich gewandt ausdrücken, er macht vor Gericht ironische | |
Bemerkungen. Er kann sehr klar und detailliert Auskunft geben, solange es | |
ihn nicht belastet. Das Bild, das Wolfram S. von sich selbst zeichnet, ist | |
mindestens widersprüchlich. Einerseits beschreibt er sich als Menschen, der | |
schon als Sechsjähriger alles auseinandergebaut habe, um dahinterzukommen, | |
wie es funktioniere. „Ich war ein Warum-Kind, wohl ziemlich anstrengend“, | |
sagt er. | |
Andererseits, wenn kaum zu übersehen oder zu überhören ist, dass sich die | |
Führungstruppe weniger für Essensvorräte zum Katastrophenschutz | |
interessiert als für Waffen und Rangabzeichen, will er nicht weiter | |
nachgefragt haben. Er verweist auf seine „katastrophale Allgemeinbildung“, | |
will gedacht haben, dass die Reuß-Truppe am Tag X mit der Bundeswehr | |
zusammenarbeiten würde. Für Politik und Geschichte interessiere er sich | |
nicht, deshalb habe er nicht gewusst, dass die Bundeswehr militärisch nicht | |
im Inland eingesetzt werden dürfe. | |
## Der „Schöpfer“ habe jetzt genug | |
„Ich unterscheide Dinge danach, ob sie eine unmittelbare Auswirkung auf | |
mein Leben haben oder nicht“, sagt er. Und so setzt der | |
Elektronik-Ingenieur, dem Datenschutz, wie er sagt, sehr wichtig sei, einen | |
Fragebogen digital um. Mit dem wollte die Truppe durch Ortschaften ziehen | |
und abfragen, wer Waffenerfahrung hat oder Probleme damit, „mit | |
Verstorbenen umzugehen“. Die erste Frage auf dem Formular – noch vor den | |
persönlichen Angaben: „Sind sie geimpft?“ | |
Irgendwann ruft die Gruppe den 22. August 2022 als Tag X aus. Was da genau | |
passiert, ist Wolfram S. unklar. Es könnte zu Stromausfällen und der | |
Unterbrechung der IT-Versorgung kommen, heißt es. Dafür soll sich die | |
Gruppe im Haus des Logistikchefs M. versammeln. Wolfram S. entdeckt seine | |
naturwissenschaftliche Denkweise kurzzeitig wieder und möchte Genaueres | |
wissen: Was steht bevor, wie soll reagiert werden. Um das zu erfahren, | |
fährt er am Vortag extra zu Marco van H. Der hat wenig Zeit und sagt nur: | |
„Der Schöpfer hat jetzt genug.“ S. will das einfach so hingenommen haben, | |
wie auch zuvor den Reichsadler oder auch die Formulierung auf einem | |
Fragebogen: „Falsche Aussagen werden als Hochverrat gewertet und durch ein | |
Militärgericht abgehandelt.“ Der Tag X fällt aus, Wolfram S. will ab da nur | |
noch passives Mitglied gewesen und seinen Ausstieg geplant haben. | |
Keiner wird Wolfram S. für ein wirklich militantes Mitglied der Gruppe | |
halten können, er hat für die digitale Logistik gesorgt. Wie viel er von | |
den möglichen Umsturzplänen heute gewusst haben will, ist offensichtlich: | |
nichts. Wie viel er gewusst haben konnte, machen die Dokumente klar, die an | |
diesem Tag für alle sichtbar auf dem Projektor liegen. Ziemlich viel. | |
7 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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