# taz.de -- Regisseurin Hausner über Horrorfilm: „Eine Art weiblicher Franke… | |
> Die Regisseurin Jessica Hausner über die Liebe zum Horrorfilm, | |
> Pastellfarben und Mütter mit schlechtem Gewissen in ihrem Film „Little | |
> Joe“. | |
Bild: Mad Scientist: Wissenschaftlerin Alice (Emily Beecham) inmitten ihrer Zü… | |
Mit ihrem Kunstpsychohorrorfilm „Little Joe – Glück ist ein Geschäft“ w… | |
die österreichische Filmemacherin Jessica Hausner vergangenes Jahr in den | |
[1][Wettbewerb des Filmfestivals in Cannes] eingeladen, wo | |
Hauptdarstellerin Emily Beecham prompt als beste Schauspielerin | |
ausgezeichnet wurde. In dem futuristischen Science-Fiction-Märchen erzählt | |
Hausner von einer genmanipulierten Pflanze, die durch ihren Duft Menschen | |
infiziert und glücklich macht. Am Morgen nach der Berliner Premiere zeigt | |
die Regisseurin im Büro des deutschen Verleihs dank starkem Kaffee keine | |
Spur von Müdigkeit. | |
taz: Frau Hausner, Ihr Film ist Autorenkino und zugleich ein Spiel mit | |
Genre-Elementen. Was hat Sie daran interessiert? | |
Jessica Hausner: Das hat mich schon immer gereizt. Mein Film „Hotel“ war | |
zum Beispiel eine Art Fingerübung in Hitchcock. Mich interessiert | |
Filmsprache. Und das Genrekino hat eine sehr ausgeprägte Filmsprache | |
entwickelt. Ich finde es spannend, mit diesen Konventionen zu spielen, weil | |
man damit auch eine gewisse Erwartungshaltung des Publikums hinterfragt | |
oder verunsichert. | |
Was war dabei der Ausgangspunkt? | |
Der Ursprung war mein Wunsch, eine Art Hommage auf Horrorfilmklassiker wie | |
„Invasion of the Bodysnatchers“ zu drehen. Also Filme, die von Figuren | |
handeln, die glauben, ihr Gegenüber sei nicht mehr die Person, die sie | |
einmal war. Dieser sehr grundsätzliche, philosophische Gedanke hat mich | |
immer sehr berührt. Jemand sitzt vor einem und sieht aus wie immer, aber | |
ist es nicht. Doch wie lässt sich das überprüfen? Wer kann urteilen, ob der | |
andere der ist, der er vorgibt zu sein? Kann man überhaupt über sich selbst | |
sagen: ich bin ich selbst? Ich bin ja so viele Jessica Hausners, die alle | |
ich selbst sind. Oder keine davon. Was ist authentisch? | |
Sie reflektieren diese Fragen anhand einer genveränderten Pflanze, die | |
offenbar das Verhalten von Menschen durch ihren Duft manipuliert … | |
Ich wollte die Geschichte einer Wissenschaftlerin erzählen, eine Art | |
weibliche Frankenstein-Figur, die ein Monster erschafft, das sie nicht mehr | |
kontrollieren kann. Dabei schafft sie noch ein zweites Monster: ihr eigenes | |
Kind, das von dieser Pflanze infiziert wird. Eine Mutter, die denkt, ihr | |
eigener Sohn ist nicht mehr ihr Sohn. Das ist meine Version dieser | |
„Bodysnatcher“-Thematik. | |
Wobei unklar ist, was tatsächlich stattfindet und was Einbildung ist … | |
Es hat mit dem schlechten Gewissen der Mutter zu tun und der Angst, ihr | |
Kind vernachlässigt zu haben. Eine paranoide Übersteigerung dieser Angst zu | |
denken, sie sei schuld daran, dass sich ihr Kind verändert und von ihr | |
entfernt hat, und dies zu akzeptieren. | |
Zugleich geht es um den Selbstoptimierungswahn in unserer Gesellschaft, die | |
gezüchtete Wunderblume als Metapher für Psychopharmaka. | |
Jeder präsentiert sich von seiner vermeintlich besten Seite. Es ist oft ein | |
Albtraum, Leuten dabei zuzuhören, wie sie sich selbst vermarkten. Wenn mich | |
jemand fragt, wie es mir geht, sage ich am liebsten: „Schlecht!“ Das darf | |
man in Wien noch eher als anderswo, aber selbst dort fangen die Leute an, | |
sich zu polieren und ihre Zuckerseite zu zeigen. | |
Dieser glatte Perfektionismus spiegelt sich auch in der Ästhetik des Films | |
wider. Wie haben Sie diese entwickelt? | |
Dabei war vor allem meine Schwester Tanja Hausner maßgebend, die für das | |
Kostümbild meiner Filme verantwortlich ist. Wir arbeiten schon früh | |
zusammen; sobald ich mit dem Drehbuch fertig bin, kommt sie mit einem | |
Stapel Fotokopien, Bildern und Kunstbüchern, um gemeinsam den Ton und die | |
Atmosphäre des Films zu finden. Das können Farben sein oder auch Frisuren, | |
Kleidungsstücke. Das ist der Startschuss, bis dann Tanja in diesem Fall | |
sagt: „Pastellfarben“. Das Pistaziengrün der Arbeitskittel der | |
Wissenschaftler etwa war ihre Idee. Auch das rotblonde Haar der | |
Hauptdarstellerin Emily Beecham ist ein wichtiges visuelles Element. Dazu | |
korrespondiert die Pflanze mit ihren roten Blüten und grünen Blättern. Das | |
brechen wir dann wieder durch scheinbar Unpassendes wie etwa ein | |
South-Park-T-Shirt. Dieses Spannungsfeld aus stilisierter Überhöhung und | |
Realismus versuche ich seit meinem ersten Film immer wieder herzustellen. | |
Auch das Drehbuch funktioniert so: Es ist einerseits ein Märchen, das man | |
überhaupt nicht glauben muss, anderseits sind die wissenschaftlichen | |
Details komplett ausrecherchiert. Mich interessiert es, eine gewisse | |
Authentizität einzufordern und es zugleich in eine surreale Welt zu | |
transferieren. | |
Ist die Filmsprache bereits im Drehbuch angelegt? | |
Das passiert meist erst danach. Mein Highlight beim Filmemachen ist es, | |
wenn ich mich nach dem Schreiben des Drehbuchs ein paar Wochen nur mit dem | |
Zeichnen des Storyboards beschäftige. Ich möchte Filme machen wie Puzzles, | |
bei denen einzelne Stücke verloren gegangen sind. Diese Lücken in der | |
Erzählung herzustellen ist oft gar nicht so einfach, weil man sich auf | |
alles einen Reim machen will. Ich finde es spannend, Informationen | |
vorzuenthalten, indem etwa die Handlung im Off stattfindet. Das hat viel | |
mit mir zu tun, weil ich das Leben oft wie ein Ratespiel empfinde, bei dem | |
man versucht, aus „1 + 1“ „2“ zu machen. Aber manchmal ist es eben „5… | |
„7“. | |
Es ist Ihr erster Film in englischer Sprache, gedreht in Großbritannien mit | |
britischen Darstellern. Warum? | |
Für diese Variation auf Genrefilme fand ich die deutsche Sprache nicht | |
naheliegend, weil die Vorbilder meist amerikanische Filme waren, mit denen | |
ich aufgewachsen bin. Aus finanziellen Gründen wäre es wahrscheinlich | |
klüger gewesen, auf Französisch zu drehen wie bei [2][meinem Film | |
„Lourdes“], das wurde mir so auch ans Herz gelegt, weil Frankreich ein | |
großer Markt für Arthousekino ist. Aber das hätte einfach nicht gut zur | |
Geschichte gepasst. | |
Ihrer österreichischen Heimat haben Sie schon lange filmisch den Rücken | |
gekehrt, [3][Ihr vorletzter Film „Amour Fou“] etwa ist in Deutschland | |
entstanden. Was reizt Sie daran, im Ausland zu drehen? | |
Ich schaue einfach gern über den eigenen Tellerrand hinaus. Ich überlege | |
schon sehr früh bei jedem Film, wie er international funktionieren könnte, | |
welche Codes verstanden oder missverstanden werden könnten. Und der Dreh | |
außerhalb Österreichs erleichtert es mir, die Geschichte mit einem gewissen | |
Abstand zu betrachten. Gleichzeitig arbeite ich seit Jahren mit derselben | |
Filmfamilie zusammen, die ich überall mit hinschleppe, weil ich im Grunde | |
doch ein schüchterner und unflexibler Mensch bin. Unsere Produktionsfirma | |
Coop99 ist eine Homebase, die mir extrem wichtig ist, bei allem, was ich | |
tue. Selbst wenn es eine internationale Koproduktion ist, sichert sie mir | |
die Hoheit in allen Entscheidungen, den Film so zu gestalten, wie ich es | |
gut finde. Das gibt mir als Regisseurin viel Freiheit, aber auch viel | |
Verantwortung, weil ich mit meinem eigenen Geld haftbar bin. | |
Wie hat sich durch die politischen Verhältnisse in Österreich die Situation | |
für Filmemacher verändert? | |
Die Kulturpolitik hat unter keiner Regierung das Filmbudget wesentlich | |
aufgestockt. Theater und Oper gelten eher als Aushängeschilder in | |
Österreich, aber Film ist politisch nicht gut repräsentiert. Aber ich muss | |
auch sagen, dass ich nie Probleme hatte, Förderung zu bekommen, obwohl ich | |
eine Frau bin und wir bis vor Kurzem eine schwarz-blaue Regierung hatten. | |
Und es wird natürlich sehr wohlwollend wahrgenommen, dass mein Film in | |
Cannes im Wettbewerb gelaufen ist, zumindest in der Branche. Auf die | |
Zuschauerzahlen hat das leider keinen großen Einfluss. Es gibt ein sehr | |
treues Arthouse-Publikum, vor allem in Wien, aber damit springst du nicht | |
zum Mond. | |
9 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Abeltshauser | |
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