# taz.de -- Filmstart von „Amour Fou“: Kühlung für überhitzte Nervenenden | |
> Ein Film, der sieht, denkt und lächelt: „Amour Fou“ von Jessica Hausner | |
> erzählt von Heinrich von Kleist und Henriette Vogel. | |
Bild: Umwerfend, wie der welpenhafte Kleist (Christian Friedel) von einer Angeb… | |
Ein Gesangsabend in einer der Likörstuben des frühen 19. Jahrhunderts. Die | |
Stimmung ist andächtig, aber auch von einer gewissen routinierten | |
Melancholie. In den eingedrückten Gesichtern der Anwesenden spiegelt sich | |
keinerlei weitere Erwartung an das Leben außer vielleicht der, dass der | |
morgige Tag dem heutigen nicht in allen Punkten gleichen möge. Derweil wird | |
das Seelenleid von Goethes „Herzig Veilchen“ so mädchenhaft klar | |
vorgetragen, dass sich die botanische Lyrik bestens für subjektive | |
Übertragungen aller Art eignet. | |
„Zum Erschießen schön!“, wie es einer der der anwesenden Damen, Cousine | |
Marie (Sandra Hüller), sehnsüchtig aus dem Mund tropft. Später wird in | |
ähnlichem Ton gemeinschaftlich über das Schicksal der Heldin in Kleists | |
„Marquise von O…“ sinniert. Ein Stoff, der damals allerdings fern der | |
Kleist’schen Bekanntschaftskreise eher zum Grenzwertigen als zum Mainstream | |
zählte. | |
Man verhandelt die Ungeheuerlichkeit der körperlichen Inbesitznahme einer | |
Ohnmächtigen und die noch ungeheuerlichere Wandlung des entehrten Opfers | |
zur absolut Liebenden. Und – als eine Art Kanon des gesamten Films – die | |
verblüffende Gleichzeitigkeit sich widersprechender Gefühle. „Man sagt doch | |
das eine und fühlt auch das andere“, grübelt da Henriette Vogel (Birte | |
Schnöink) und liefert eine erste Prophetie, den eigenen Lebensweg | |
abtastend. | |
Die Kunst der Andeutungen und künstlichen Verzögerung romantischer | |
Literatur, heruntergebrochen auf das eigene kleine Puppenstubenleben der | |
Vogel. Jener verheirateten, außerordentlich gebildeten Dame und | |
Seelenfreundin Kleists, die mit dem Dichter am 21. November 1811 in einem | |
Wäldchen beim Stolper Loch, dem heutigen Kleinen Wannsee, den Freitod | |
wählte. Die Wahrheit darüber, wer wen wie dazu drängte, hat sich wohl bis | |
heute unlösbar in den rauschenden Baumwipfeln des Tatorts verfangen. | |
Jessica Hausner nimmt sich in ihrem neuem Kinofilm „Amour Fou“ eine | |
erfrischend eigene Deutung heraus. Kleist bricht Vogels finalen „Aber | |
…“-Satz mit einem Schuss ab und lässt die Verklärungen eines Doppelsuizids | |
Züge eines Slapstick annehmen. Nichts soll hier der großen Idee des | |
Dichters in die Quere kommen. Und schon gar nicht die Launen der Sehnsucht | |
oder gar das Leben selbst. | |
## Epochaler Weltschmerz | |
So gewohnt stoisch sich die österreichische Regisseurin in das Zentrum des | |
epochalen Weltschmerzes begibt, so ungewohnt ist die zärtliche Ironie in | |
„Amour Fou“, mit der sie ihre Figuren an den Widersprüchen ihrer Zeit | |
aufreibt. Da ist die Sehnsucht nach gemeinschaftlichen Hochgefühlen im | |
Lieben wie im Sterben nun mal nicht ohne Vereinzelung im subjektivem | |
Erleben zu haben. Und wohl auch nicht ohne privatistische Interessen. | |
Ohne Subtext und jegliche Psychologie, aber mit scharfem Blick für | |
gesellschaftspolitische Wechsel steuert Hausner in die romantischen | |
Salondebatten, in denen es mit Verzückung um schiere Unvereinbarkeit geht. | |
Um alles und nichts, um lustvolle Selbstauflösung im höchsten Moment des | |
Empfindens. Kein „kleiner Tod“, wie die Franzosen den Höhepunkt leiblicher | |
Lust zärtlich nennen. Sondern ein nach außen stilles, aber mit dem Bombast | |
reinster Innerlichkeit zelebriertes Binnenspektakel. | |
Während das revolutionäre Frankreich sich von der alten Ständegesellschaft | |
emanzipiert, tut sich der deutsche Nachbar schwer mit einer neuen Ordnung. | |
Auch deswegen konnten die Selbstoptimierungsstrategien der Romantik | |
unmöglich in den Korsagen gesellschaftlicher Rollenzuschreibung aufgehen. | |
Ein Gang ins Freie wurde obligatorisch. Ungebremste Gefühligkeit ließ sich | |
am besten in einer übersteigert erlebten Natur feiern. Auch wenn die nicht | |
immer wild und ursprünglich ausfiel, sondern schon mal frisierte | |
Kulturlandschaft war. | |
So in etwa darf man sich die überhitzten Nervenenden der Epoche rund um | |
Heinrich von Kleist und Henriette Vogel vorstellen, die im | |
gemeinschaftlichen Suizid Krankheit, Konvention, aber auch den eigenen | |
Finanzkrisen entgehen wollten. Jessica Hausner hat daraus einen der | |
schönsten Filme des vergangenen Jahres gewoben. Premiere feierte er 2014 in | |
der „Un Certain Regard“-Section in Cannes. | |
Nichts bringt „Amour Fou“ aus der Ruhe. Kein noch so aufbrausendes Gefühl | |
lässt den Film beschleunigen. Jede Kadrierung ist präzise und ausgeklügelt. | |
Jede Rahmung durch Fenster, Türen oder Bilddiagonalen eine kluge | |
Festlegung, auch auf gesellschaftlich zugewiesene Enge. | |
Es gibt keine Schwenks, Fahrten, Zooms. Stattdessen eine Folge von Tableaux | |
Vivants, in denen die Menschen kaum lebendiger als Wandschmuck oder | |
Sitzmöbel wirken. Und natürlich darf man dabei an Kleists „Gliedermänner“ | |
aus seinem berühmten Aufsatz „Über das Marionettentheater“ denken, nach d… | |
nur vollständig unbewusste Kindwesen und ein komplett bewusster Gott das | |
Talent zur reinen Anmut besitzen. | |
Mit sorgfältig angeordneten Wiederholungen, kurzen Einzel- und längeren | |
Ensembleszenen nimmt der Film den Rhythmus der Empfindungslyrik auf. Er | |
zieht seine Spannung aus malerischer Anordnung, formaler Strenge und den | |
heimlichen Seufzern nach Ausbruch und reiner Empfindung. Mit wunderbarem | |
Gespür für die unfreiwillige Komik im epochentypischen Empfindungspathos | |
hat Hausner, inspiriert von Kleist- und Vogel-Briefen, die Dialoge | |
verfasst. Kleist: „Darf ich Sie um etwas bitten?“ – Cousine Marie: „Aber | |
ja!“ – „Würden Sie mit mir sterben wollen?“ – „Aber nein!“ | |
Umwerfend, wie der welpenhafte Kleist (Christian Friedel) von einer | |
Angebeteten zur nächsten tapert, um nach ultimativem Liebesbeweis und | |
aufrichtiger Todessehnsucht zu fahnden. Wie er an den Motivationen der | |
Frauen zweifelt, schließlich schmollt, als er von Henriettes Krankheit | |
erfährt, die ihren Sterbewunsch womöglich mehr initiiert als ihre Liebe zu | |
ihm. Das ist nicht nur – im allerbesten Sinne – ein großer Ausstattungsfilm | |
geworden, sondern auch ein großer Spaß. | |
## Menschliche Heilssuche | |
Eine comédie humaine, in der sich die Mitwirkenden streng genommen nicht | |
anders aufführen als anderswo. Das allerdings in den Koordinaten ihrer | |
Zeit, ihrer Rhetorik und ihrer rollenspezifischen Möglichkeiten. Und so | |
fügt sich auch diese nur scheinbare Historizität von „Amour Fou“ samt der | |
detailbegeisterten Ausstattung in das Hausner’sche Oevre. Denn auch Filme | |
wie „Lourdes“, der in seiner Mischung aus Pauschaltouristik und | |
Erscheinungstheater die Mechanik einer Wunderindustrie freilegt, arbeiten | |
sich mit visueller Distanz an ihren Gegenstand heran. | |
Auch „Lourdes“ (2009) erzählt in farbentsättigten Tableaus und mit streng… | |
Formelhaftigkeit von menschlicher Heilssuche. Und die Architektur der | |
Beklemmung findet sich von der kleinbürgerlichen Häuslichkeit in „Amour | |
Fou“ bis zu den baulichen Mäandern in „Hotel“ (2004) wieder. Die | |
Depressionen der jeweiligen Gesellschaft scheinen in den Raumkonstruktionen | |
von Jessica Hausner und des unverwechselbar präzisen Kameramannes Martin | |
Gschlacht immer schon vorgefertigt. | |
Warten wir also vorfreudig ab, was die beiden als Nächstes abschreiten, | |
welche Kulturräume oder auch Genreanordnungen sie nach ihren strukturellen | |
Verbindungen zu Herrschaft, Geschlecht, Bildung, Ordnung und Angst | |
analysieren. Ein Kino, das zugleich sieht, denkt und – wenigstens im Fall | |
von „Amour Fou“ – lächelt. | |
15 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Birgit Glombitza | |
## TAGS | |
Heinrich von Kleist | |
Kino | |
Horrorfilm | |
Humor | |
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