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# taz.de -- Regisseurin Hausner über Lourdes-Film: "Der Priester war eingeweih…
> Als Jessica Hausner nach Lourdes kam, war sie schockiert über die vielen
> Kranken und ihre Hoffnungen. Wie dennoch dort ihr Film "Lourdes"
> entstehen konnte, erzählt sie im taz-Gespräch.
Bild: "Sylvie Testud hat diese Art von Trockenheit, sie hat von Anfang an verst…
taz: Frau Hausner, was hat Sie nach Lourdes verschlagen?
Jessica Hausner: Ich habe verschiedene Stories recherchiert, die mit
Wundern zu tun haben. An Lourdes hat mich die Tatsache fasziniert, dass in
unserer aufgeklärten Gesellschaft ein Ort existiert, von dem man behauptet,
man könne dort durch ein Wunder geheilt werden. Ich bin dann zur Recherche
hingefahren, im Rahmen einer Pilgerreise, bei der Krebskranke dabei waren.
Ich war schockiert davon, so viele Kranke auf einem Fleck zu sehen, viele
mit der Hoffnung, dass sie geheilt werden könnten. Zuerst habe ich gedacht,
darüber will ich keinen Film machen, das ist Sozialvoyeurismus, grauslich
und pornografisch. Das geht mich nichts an.
Und dann?
Dann habe ich noch einmal darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss
gekommen, dass irgendetwas, was mich dort so erschüttert hat, eben doch was
mit mir zu tun hat. Die Kranken, die nach Lourdes fahren, empfinden es als
Wohltat, vier Tage Teil so einer Gruppe zu sein, betreut zu werden und die
Hoffnung verkauft zu bekommen, dass man bei soundsoviel Gebeten und Bädern
vielleicht geheilt wird. Ich mag zwar gesund sein, aber ich kenne diese
Hoffnung letztlich auch, und zwar in der Form, dass ich ein erfülltes und
glückliches Leben haben möchte und vielleicht am Ende doch nicht sterben
muss.
Wenn Sie Angst vor Sozialvoyeurismus hatten, wie haben Sie dieser Angst
entgegengewirkt, als Sie den Film konzipierten?
Durch die Stilisierung. Ich zeichne immer ein Storyboard, und beim Zeichnen
habe ich gemerkt, dass ich die Gruppe betonen werde: Wie aus einer bunt
zusammengewürfelten Gruppe eine Ordnung entsteht, mit den Maltesern und den
Pilgern, und wie sie dann wieder in Chaos zerfällt. Es geht ja in dem Film
auch darum, dass der Einzelne Teil eines größeren Ganzen ist.
Wie war es denn, in Lourdes zu drehen?
Wir mussten uns immer danach richten, wann Pilgergruppen die Orte gebucht
hatten. In den Slots dazwischen haben wir unsere Dreharbeiten gemacht, was
eher mühsam war. Normalerweise will man ja einen Drehort en bloc abdrehen.
Das konnten wir nicht, wir mussten immer wandern, konnten nur für eine
Dreiviertelstunde in die Grotte, dann für zwei Stunden raus, dann wieder
rein. Andererseits überprüfen Martin Gschlacht, der Kameramann, und ich das
Storyboard immer sehr genau anhand der Drehorte, und zwar vor dem Dreh.
Deshalb wissen wir meistens schon, wo die Kamera und wo die Schauspieler
stehen. Es ist sehr genau vorbereitet.
Sehr kontrolliert?
Eigentlich schon. Bei "Lourdes" dreht sich ja vieles um die Bewegung der
Schauspieler im Bild, das hat etwas von einer Choreografie. Ich wollte eher
das Rollenhafte einer Person betonen als das Individuelle. Die Hauptfigur
Christine zum Beispiel hat ja keine Biografie, es gibt keine biografische
Erklärung für irgendetwas. Stattdessen geht es um die Rolle, die ein
Einzelner spielt, weil ihm diese Rolle von der Gesellschaft auferlegt
wurde.
Sie haben zum ersten Mal in Frankreich gedreht. Macht es einen Unterschied,
ob man in der Muttersprache oder in einer Fremdsprache dreht?
Ja, aber ich fand es eher angenehm. Es gab mir eine Möglichkeit, Distanz zu
dem, was wir drehten, zu halten. Das Ganze war mir weniger nah. Und es war
eine sportliche Herausforderung, weil ich mich mehr darauf konzentrieren
musste, wie ich spreche und wie die Schauspieler sprechen.
Warum wollten Sie Sylvie Testud als Hauptdarstellerin?
Ich wollte unbedingt, dass die Frau, die in dem Rollstuhl sitzt, kein Opfer
ist, dass sie Selbstbewusstsein hat, eine gewisse Ironie. Auch dass man
spürt: Die ist gar nicht sehr gläubig. Sylvie Testud hat diese Art von
Trockenheit und sie hat von Anfang an verstanden, dass sie in ihrem
Rollstuhl nicht im Elend versinkt.
Es ist sicherlich eine Herausforderung, eine gelähmte Figur zu spielen,
also jemanden mit einer anderen Körperlichkeit, als man selbst gewöhnt ist.
Wie war das für Sylvie Testud? Wie haben Sie ihr geholfen?
In der Vorbereitungszeit haben wir uns mit Multiple-Sklerose-Kranken
getroffen, wir haben an Sitzungen von Multiple-Sklerose-Selbsthilfegruppen
teilgenommen. Am Anfang hat man eine höfliche Distanz und geht vorsichtig
mit Leuten um, die krank oder gelähmt sind. Dann fängt man an, normaler mit
ihnen zu sprechen und zu verstehen, dass es sich um ein Schicksal handelt,
das jedem widerfahren kann, und dass dieses Schicksal einen Alltag mit sich
bringt, den man leben kann. Für Sylvie gab es zwei Erkenntnismomente: Der
Erste war zu verstehen, dass gelähmt zu sein eine Wirklichkeit ist, die
lebbar ist wie andere Wirklichkeiten auch, und der zweite Erkenntnismoment
war zu sehen, dass man nicht notwendigerweise zum Opfer wird. Im Gegenteil,
viele, die gelähmt sind, haben eine gewisse Überheblichkeit, sie verspüren
den Druck zu zeigen, dass sie keine unmündigen Idioten sind.
Sie sprachen vorhin von Ironie. Die ist ja nicht nur für die Hauptfigur
wichtig, sondern für den ganzen Film. Der wechselt gewissermaßen zwischen
zwei Erscheinungsformen: Einerseits verhandelt er mit einiger
Ernsthaftigkeit ein Wunder, also etwas, das sich dem Verstand entzieht,
andererseits hat er eine verspielte, schelmische, humorvolle Seite.
Ich finde es interessant, die sichtbare Wirklichkeit abzubilden, ohne einen
Kommentar oder eine Deutung hineinzumischen. Eine Wirklichkeit, die ein
Paradox enthält, das quasi noch roh ist. Uninterpretiert. Denn dadurch
entstehen für mich die Spannung und die Frage: Was ist hinter den Bildern?
Was bedeuten die Bilder? Aber die sichtbare Realität ist per se ohne
Bedeutung. Es gibt also einen seltsamen Widerspruch zwischen der sichtbaren
Realität und dem, was dahinter ist, was nicht zeigbar und auch kaum
benennbar ist. Diese Dimension zur Assoziation zu bringen, finde ich total
spannend. Das ist vielleicht, was man Transzendenz nennen könnte.
Wenn ich an andere Filme denke, die nach dem, was Sie Transzendenz nennen,
suchen, etwa an "Ordet" von Carl Theodor Dreyer, dann sehe ich eine große
Ernsthaftigkeit am Werk. Sie bleiben nicht ernsthaft, nicht durchweg.
Warum?
Ich habe viel an Jacques Tati gedacht. Auch Komiker meinen die Sache ja
ernst. Und die Ironie war für mich eine Hilfe, das alles überhaupt erzählen
zu können. Der Ort Lourdes hat mich sehr deprimiert. Dass ich den Film
gemacht habe, war ein Weg, mit der Angst vor Krankheit und Tod umzugehen,
den Multiple-Sklerose-Kranken in die Augen zu schauen, sich der
Sterblichkeit zu stellen und der absurden Hoffnung, dass man doch noch
überlebt. Es geht auch ums Bannen dieser Geister!
Einige Szenen spielen in den Bädern von Lourdes, und in diesen Bädern
wiederum spielen Vorhänge eine große Rolle. Unweigerlich denkt man ans
Theater, an eine Bühne.
Ja, auch in "Hotel" gibt es schon solche Vorhänge - im Zimmer der
Hotelrezeptionistin zum Beispiel. Der Vorhang ist für mich ein Bild für die
Frage, was dahinter ist.
In "Hotel" kommt auch eine Höhle vor, so wie in "Lourdes" die Grotte. Auch
die Bäder haben etwas Höhlenhaftes.
Das sind Symbole für das Verborgene, für ein Geheimnis, das lauert.
Eigentlich ist eine Grotte ja nur eine Grotte, aber es gibt diesen Blick
auf die Dinge, durch den die Realität plötzlich einen Riss bekommt. Man ist
sich dann nicht mehr sicher: Ist das wirklich nur eine Grotte? Vielleicht
ist dahinten doch etwas verborgen.
In einer Szene nimmt Christine an einer nächtlichen Prozession teil. Haben
Sie die Prozession inszeniert, oder haben sich die Schauspieler im realen
Geschehen bewegt?
Letzteres. Jeden Abend um 22 Uhr gibt es diese Lichterprozession. Wir haben
in der sogenannten Malteserwoche gedreht, da ist Lourdes voll mit lauter
Maltesern, was wir ausgenützt haben, weil im Film ja auch Malteser
vorkommen.
Wie ist es, eine Szene zu drehen, die sich in reales Geschehen integriert?
Man muss achtgeben, dass man die Stilisierung des Films aufrechterhält und
gegen die Wirklichkeit ankommt. Umgekehrt hat man in einer inszenierten
Szene die Schwierigkeit, die Lebendigkeit, die die Wirklichkeit hat,
herzustellen.
Der Gottesdienst in der riesigen Kirche - der fand auch in echt statt?
Ja. Weil es eine komplizierte Spielszene war, hatten wir vorher geprobt,
und der Priester war auch eingeweiht. Er wusste, wo er stehen bleiben
sollte. Er ist trotzdem bei jemand anderem stehen geblieben, bei einer
unserer Schauspielerinnen, weil die ihn so rührte. Sylvie Testud hatte
einen kleinen Kopfhörer am Ohr, ich hatte ein Walkie-Talkie und sagte, was
jeweils passieren sollte. Es war ein bisschen pfadfindermäßig, das
durchzuziehen. Aber es hat ganz gut geklappt.
1 Apr 2010
## AUTOREN
Cristina Nord
Cristina Nord
## TAGS
Österreich
Heinrich von Kleist
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