| # taz.de -- Rechtsextreme in Sicherheitsbehörden: Zu viele Einzelfälle | |
| > Bundesweit häufen sich rechtsextreme Vorkommnisse bei der Polizei. Laut | |
| > einer taz-Recherche gehen die Länder von mehr als 90 Fällen aus. | |
| Bild: Wie viele Rechtsextremisten sind unter den 260.000 Polizisten in Deutschl… | |
| Berlin taz | Thorsten W. [1][sitzt jetzt in U-Haft]. Der Polizeimitarbeiter | |
| aus Hamm verkleidete sich in seiner Freizeit gern als Germane, trug rechte | |
| Szenekleidung, hängte Reichskriegsfahnen auf seinen Balkon. Vor gut zwei | |
| Wochen dann ließ ihn die Bundesanwaltschaft festnehmen. Der Vorwurf: | |
| Thorsten W. soll mit zwölf anderen Männern als „Gruppe S.“ rechtsextreme | |
| Anschläge geplant haben. | |
| Die Truppe reiht sich ein in die jüngsten Rechtsterrorbedrohungen in diesem | |
| Land. Und im Fall Thorsten W. auch in einen weiteren bedenklichen Trend: | |
| Immer wieder fielen zuletzt bundesweit Polizeibeamte mit rechtsextremen | |
| Ausfällen auf. Jüngste Beispiele sind: | |
| Aachen: Zwei Beamte, Wachposten vor einer Synagoge, lassen versehentlich | |
| „Sieg Heil“-Rufe aus einer Fernsehserie über ihre Funkgeräte laufen. Auf | |
| ihren Handys finden sich laut Polizei „zweifelhafte“ Bilder. | |
| Disziplinarverfahren werden eingeleitet. | |
| Bautzen: Bürger melden „Sieg Heil“-Rufe aus einer Wohnung. Die Polizei | |
| trifft dort drei Kommissarsanwärter an. Diese werden suspendiert, ermittelt | |
| wird wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. | |
| Berlin/Frankfurt: In Frankfurt werden die Wohnungen dreier Polizisten | |
| durchsucht, die Teil einer rechtsextremen Chatgruppe gewesen sein sollen. | |
| Eine Razzia gibt es auch in Berlin bei einem aus Hessen stammenden Beamten. | |
| Er soll Mitglied einer Chatgruppe gewesen sein, in der rechtsextreme | |
| Sprüche und Bilder ausgetauscht wurden. Der Mann soll einer der Wortführer | |
| gewesen sein. Er ist suspendiert, ermittlungsführend ist das LKA Hessen – | |
| das seit 2018 auch rechtsextremen Vorwürfen gegen 37 weitere Polizisten | |
| nachging, unter anderem weil sie einer Anwältin als „NSU 2.0“ Drohschreiben | |
| geschickt haben sollen. | |
| Wiesbaden: Drei BKA-Nachwuchskommissare tauschen sich in einem | |
| WhatsApp-Chat über Halloween-Kostüme aus. Einer postet ein Hitler-Bild und | |
| schlägt vor, sich als der Attentäter von Halle zu verkleiden oder in | |
| Wehrmachtsuniformen mit „original Armbinden“. Einer der Männer soll | |
| entlassen werden, gegen zwei wird ein Disziplinarverfahren eingeleitet. | |
| Lahr: Sieben Polizeischüler sollen in einer Chatgruppe | |
| nationalsozialistische, antisemitische und frauenfeindliche Nachrichten | |
| ausgetauscht haben. Alle sollen wegen „erheblicher charakterlicher Mängel“ | |
| entlassen werden. | |
| 18 Disziplinarverfahren allein in Berlin | |
| Die Liste ließe sich fortsetzen. Denn wie eine aktuelle taz-Umfrage in den | |
| Ländern zeigt, wurden seit dem vergangenen Jahr mehr als 90 rechtsextreme | |
| Vorfälle bei der Polizei verfolgt. Allein in Berlin laufen 18 | |
| Disziplinarverfahren. In Hessen wird 13 Fällen nachgegangen, in | |
| Mecklenburg-Vorpommern neun, in Sachsen sechs. | |
| In Brandenburg mussten zuletzt gleich neun Polizisten versetzt werden, weil | |
| sie sich vor einem rechten Graffito fotografieren ließen – und beim | |
| Entfernen des Schriftzugs ausgerechnet zwei Buchstaben mit der Szenelosung | |
| „DC“ für „Defend Cottbus“ zurückließen. Dazu kämen aktuell vier wei… | |
| rechtsextreme Vorfälle, so das märkische Innenministerium. | |
| NRW wiederum entdeckte vier Reichsbürger bei der Polizei. In Niedersachsen | |
| verschickte ein Beamter verfassungsfeindliche Bilder und spielte ein Lied | |
| der Hitlerjugend ab. In Sachsen verweigerte ein Polizist einer | |
| Kopftuchträgerin, die eine Anzeige erstatten wollte, Zutritt zu seinem | |
| Büro. | |
| Inzwischen spricht auch Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang von „zu | |
| vielen Einzelfällen“. Auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius | |
| (SPD) erklärt: „Menschen mit rechtsextremen Gesinnungsansätzen dürfen in | |
| einer demokratischen Polizei keinen Platz finden.“ | |
| Extremismus „absolut inakzeptabel“ | |
| Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte sich zuletzt vor die rund | |
| 260.000 Polizisten in Deutschland gestellt. Unter ihnen seien die | |
| extremistischen Vorfälle verschwindend gering. Aber auch der CSU-Mann | |
| erklärte, Extremismus im öffentlichen Dienst sei „absolut inakzeptabel“. | |
| Die Beamten müssten fest auf dem Boden der Verfassung stehen. | |
| Bereits vor Monaten richtete das Bundesamt für Verfassungsschutz eine | |
| Zentralstelle ein, um rechtsextreme Umtriebe im öffentlichen Dienst zu | |
| untersuchen, ein Lagebild ist in Arbeit. Dessen Erstellung zieht sich hin, | |
| weil der Verfassungsschutz bei abgespeicherten Rechtsextremisten nicht die | |
| Berufe erhebt. So werden nur bisher bekannte Vorfälle zusammengetragen oder | |
| Zufallsfunde im Internet aufgestöbert. | |
| Ernst aber könnte es demnächst für PolizistInnen werden, die Anhänger des | |
| rechtsextremen „Flügels“ in der AfD sind. Denn der Verfassungsschutz will | |
| in Kürze bekanntgeben, ob das Sammelbecken um Björn Höcke zum vollen | |
| Beobachtungsobjekt wird – so wie die NPD. Bereits heute ist der „Flügel“ | |
| ein „Verdachtsfall“, im nächsten Schritt könnte der Geheimdienst sein | |
| gesamtes Arsenal an Überwachungsmaßnahmen auffahren. | |
| Für PolizistInnen, die sich zur Verfassung bekennen müssen, könnte eine | |
| „Flügel“-Anhängerschaft dann Folgen haben. Entscheidend ist ihr konkretes | |
| Verhalten. Zuletzt warnte ein Gutachten der AfD selbst: Jedem Beamten sei | |
| im Falle einer Verfassungsschutzbeobachtung „dringend geraten“, sich „von | |
| verfassungsfeindlichen Kräften innerhalb der Partei entschieden | |
| abzugrenzen“. | |
| Polizist unter Terrorverdacht besaß Waffenschein | |
| Niedersachsens Innenminister Pistorius sendet bereits eine klare Warnung. | |
| „Wer sich offen zum Flügel bekennt, dem sollte der Beamtenstatus aberkannt | |
| werden.“ Die Gruppierung äußere sich offen völkisch und | |
| verfassungsfeindlich. „Wer dieses Gedankengut teilt, entspricht nicht dem | |
| Bild, den das Grundgesetz von unseren Richtern, Staatsanwälten, Lehrern, | |
| Polizisten oder Finanzbeamten hat“, so Pistorius. | |
| Mit dem unter Terrorverdacht stehenden Polizeimitarbeiter Thorsten W. | |
| bekommt das Problem eine neue Dimension. Der 50-Jährige arbeitete zuletzt | |
| im Verkehrsreferat der Polizei Hamm, kümmerte sich dort um die Abrechnung | |
| von Ordnungswidrigkeiten. Zuvor war er in der Abteilung für Genehmigungen | |
| von Waffenscheinen, soll selbst aber keine Entscheidungen getroffen haben. | |
| Auch W. selbst besaß einen Waffenschein. | |
| Neben seiner Arbeit folgte W. einem Germanenkult, nahm verkleidet auch an | |
| Festen teil. Im Internet firmierte er als „Thor-Tjark“, beklagte dort etwa, | |
| dass Deutschland „ausgebeutet“ werde. Einem Pegida-Anhänger schrieb er: | |
| „Ich bewundere euch. Ihr seid knallhart und geht auf die Straße sofort mit | |
| vielen Leuten.“ | |
| Über das Internet vernetzte sich W. schließlich auch mit den anderen | |
| Beschuldigten der [2][mutmaßlichen Terrorzelle „Gruppe S.“]. Die | |
| Bundesanwaltschaft führt ihn als Unterstützer. Er soll der Gruppe 5.000 | |
| Euro angeboten haben. Diese diskutierte Angriffe auf Moscheen und | |
| Geflüchtete. Auch der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck und Fraktionschef | |
| Toni Hofreiter waren im Visier, wie die Partei der taz bestätigt. Bei den | |
| Razzien fanden die Ermittler eine Pistole, ein Gewehr, Handgranaten und | |
| Messer. Geprüft wird auch, ob die Gruppe Sprengstoff herstellen wollte. | |
| Niemand will's gewusst haben | |
| Der Fall Thorsten W. wirft nun Fragen auf: Bemerkte tatsächlich niemand der | |
| KollegInnen, wie der Mann politisch tickte? Versorgte er die „Gruppe S.“ | |
| auch mit Informationen aus dem Sicherheitsapparat? | |
| Die Polizei Hamm räumte im Umgang mit Thorsten W. inzwischen Fehler ein. | |
| Man sei „bestürzt“ über den Rechtsterrorverdacht, sagte Polizeichef Erich | |
| Sievert. „Mit dem Wissen von heute müssen wir rückblickend feststellen, | |
| dass wir die einzelnen Mosaiksteine seines Agierens nicht ausreichend | |
| geprüft haben.“ So seien schon 2018 die Reichskriegsflaggen auf seinem | |
| Balkon aufgefallen, an seiner Klingel habe „keine Lügenpresse einwerfen“ | |
| gestanden. Auch im Dienst habe er einmal rechte Szenekleidung getragen. | |
| „Mit dem Wissen von heute hätten wir früher Konsequenzen ziehen müssen“,… | |
| Sievert. | |
| Bei den internen Überprüfungen zu Thorsten W. stieß das Polizeipräsidium | |
| Hamm inzwischen auf zwei weitere Beamte mit möglicher rechter Gesinnung. | |
| Auch hier wird nun ermittelt. Die Serie der „Einzelfälle“ findet damit ihre | |
| Fortsetzung. | |
| 3 Mar 2020 | |
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| Konrad Litschko | |
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