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# taz.de -- Forensische Psychiaterin zum Anschlag: „Terroristen sind meist ni…
> Der Attentäter von Hanau war psychisch krank, sagt die Psychiaterin
> Nahlah Saimeh. Dennoch habe seine Tat ein klar rechtsextremes Narrativ.
Bild: Nahlah Saimeh
taz: Frau Saimeh, [1][der mutmaßliche Täter von Hanau] scheint von
rechtsextremer Ideologie, von Rassismus getrieben gewesen zu sein – und
gleichzeitig eine schwere psychische Störung gehabt zu haben. Was bedeutet
das?
Nahlah Saimah: Wenn man sich das Video und auch seine Schrift anschaut,
mischen sich mehrere Auffälligkeiten: Einerseits das Narrativ
rechtsextremer Ideologie und Verschwörungstheorien. Hinzu kommen Hinweise
auf eine schwere psychotische Erkrankung, wahrscheinlich eine
paranoid-halluzinatorische Schizophrenie mit sehr bizarren Wahninhalten und
akustischen Halluzinationen, auch eine sehr deutliche narzisstische
Überhöhung der eigenen Person.
War die Tat also Wahn oder Terrorismus?
Anders als in vielen anderen Fällen, wo auch darüber gesprochen wird, ist
hier ziemlich klar: Der Mann war krank. Es ist eine Gewalttat im
öffentlichen Raum eines schwer psychisch Kranken mit einem politischen
Motiv.
Es wird oft gesagt, die Grenze zwischen Wahn und Terror sei fließend. Kann
man das klar unterscheiden?
Es ist sicherlich falsch, extremistische Überzeugungen per se als wahnhaft
zu definieren. Aber die Übergänge können fließend sein.
Was he ißt das?
Extremistische Gewalttäter ohne eine Psychose haben, anders als der Mann
aus Hanau, nicht das Gefühl, dass sie überwacht werden, dass Stimmen zu
ihnen sprechen und reden auch nicht über Zeitreisen. Sondern sie haben eine
politische Überzeugung, die an eine persönlichen Bedürfnisstruktur
anknüpft. Diese wird auf Gesellschaft und Politik projiziert. Aber das ist
kein Wahn. Es gibt natürlich auch Gruppierungen, denen die Fähigkeit zur
Wahrnehmung von Fakten abhanden gekommen zu sein scheint. In dem Hanauer
Fall ist es so, dass der Mann wahnhafte Vorstellungen und Muster einer
schweren narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit einem
rechsextremistischen Narrativ verknüpft und daraus ein Sendungsbewusstsein
abgeleitet hat.
Kann man sagen, was zuerst da ist? Der Wahn – und dieser sucht sich eine
Ideologie? Oder ist diese zuerst da? Und ist das überhaupt wichtig?
Das kann man nach jetzigem Kenntnisstand nicht sagen. Es kann sein, dass
dieser Mann aufgrund seiner narzisstischen Persönlichkeitsstruktur für
Rechtsextremismus anfällig war, es kann auch sein, dass er durch die
Erkrankung aus dem bürgerlichen Leben gerissen wurde. Dazu braucht man viel
mehr Hintergrundinformationen, auch zum Beispiel über psychiatrische
Vorbehandlungen.
Birgt die Pathologisierung von Terroranschlägen und Gewalttaten nicht die
Gefahr, dass Rassismus und Terrorismus verharmlost werden?
Völlig richtig. Terror hat erst einmal gar nichts mit Psychiatrie zu tun
und Terroristen sind im Regelfall nicht psychisch krank. Sonst könnten sie
die manchmal durchaus komplexen Anschläge auch gar nicht verüben. Diese
Täter haben vielleicht eine schwierige Persönlichkeit, aber das sind keine
psychischen Erkrankungen. Die Attentäter von 9/11 zum Beispiel waren nicht
krank, auch wenn man in dem Testament von Mohamed Atta zum Beispiel sieht,
dass der Mann schwere persönliche Probleme hatte. Bei Anders Breivik
streiten sich die Gutachter, ob er krank ist. Täter mit einer psychischen
Erkrankung sind eine kleine Gruppe, die meist zurückgezogen ist und sich
oft selbst radikalisiert. In diesem konkreten Fall dieses Täters aber muss
man feststellen: Der Mann war faktisch [2][psychisch in einer sehr
komplexen Weise schwer gestört].
Welche Rolle spielt die Männlichkeit? Der Mann aus Hanau, hatte keine Frau,
es gibt Hinweise [3][in Richtung Incel-Bewegung].
Männer, die sich radikalisieren, haben häufig Probleme mit Frauen, sie sind
häufig misogyn. In diesem Fall hier wünschte sich der Täter eine Partnerin,
aber einerseits stand ihm der Narzissmus im Wege und seine Äußerungen
zeigen, dass er von einer Partnerin die Idee eines optimalen Objektes,
eines tadellosen Produktes hatte. Zum anderen wird deutlich, dass der
Verfolgungs- und Beobachtungswahn dazu geführt hat, dass er Intimität gar
nicht leben konnte. Ein tragischer Fall. Aber das ist natürlich nicht der
Grund, in Shisha-Bars Leute niederzuschießen.
Der Mann soll auch seine Mutter getötet haben, bevor er sich selbst
erschoss. Wie deuten Sie das?
Das könnte ein erweiterter Suizid sein, nach dem Motto: Die Welt ist
schlecht und ich kann meine Mutter nicht alleine zurücklassen. Auch das
wäre ein psychotisches Motiv.
Laut einer Europol-Studie liegt bei 35 Prozent der alleine agierenden
Attentäter zwischen 2000 und 2015 eine psychische Erkrankung vor. Was kann
man dagegen tun?
Das ist schwierig, weil solche Leute oft die Fassade aufrecht erhalten und
nicht auffallen. Der Mann aus Hanau, wie er da in seinem Video sitzt, der
fällt im Supermarkt an der Kasse ja nicht auf, der benimmt sich ordentlich.
Der läuft also möglicherweise unter dem Radar. Wenn man Leute mit Psychosen
und wahnhaften Störungen in der Psychiatrie hat, dann muss man genau
schauen, welches destruktive Potential kündigt sich an, welchen
gesellschaftlichen Bezug gibt es, welche Themen werden berührt, wie groß
ist das Sendungsbewusstsein?
Und was dann?
Dann muss man sie engmaschig anbinden, da muss man nachfragen, da darf man
sich nicht zu fein sein. Und wenn eine Gewalttat droht, ist die
Schweigepflicht ja aufgehoben. Und man muss die Allgemeinpsychologen in
Sachen Radikalisierung dringend schulen.
20 Feb 2020
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## AUTOREN
Sabine am Orde
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Schwerpunkt Rassismus
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Kolumne Der rote Faden
Rechtsextremismus
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