# taz.de -- Nach dem Terroranschlag in Hanau: Mörder, die sich nur wehren | |
> Einer wie Höcke drückt nicht selbst ab. Aber er schafft das Klima für | |
> die, die sich ängstigen lassen, und die ihre Angst zur Aggression | |
> wandeln. | |
Bild: Plant „wohltemporierte Grausamkeiten“ – Björn Höcke | |
Nicht jeder aus der „Internationale des Hasses“ ist ein Killer oder | |
Massenmörder wie die [1][Täter von Hanau], Halle oder der Mörder des | |
CDU-Politikers Walter Lübke. Manche schreiben nur Manifeste, bringen Bücher | |
über „den großen Austausch“ unter die Leute oder hängen Tagträumen vom | |
Bürgerkrieg an, wie [2][Björn Höcke], der in einem Interview von einer | |
künftigen ethnischen Säuberung schwadronierte. | |
Wenn die Wendezeit gekommen ist, werde eine neue Führung „Maßnahmen | |
ergreifen (müssen), die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden | |
zuwiderlaufen.“ Dabei werde man um „wohltemporierte Grausamkeiten“ nicht | |
herumkommen. Der Skandal von Thüringen ist ja, dass CDU und FDP nichts | |
dabei fanden, mit einem Menschen gemeinsame Sache zu machen, der offen von | |
Gewaltorgien schwärmt. | |
Aber natürlich hat Herr Höcke auch in Hanau nicht selbst den Abzug | |
gedrückt. Das machen dann immer andere – und diejenigen, die ein Klima | |
schufen, welches solche Ungeheuer erst gebiert, sind dann fein raus. Motto: | |
„Was können wir denn dafür, wenn uns ein kranker Wirrkopf falsch | |
versteht!?“ Wobei bei Herrn Höckes Phantasie schon die Frage ist, wie genau | |
man die denn anders verstehen könnte. | |
Die meisten aus der Internationale des Hasses gehen aber nicht so weit wie | |
Höcke, dass sie sich in „wohltemperierte Grausamkeiten“ hineinphantasieren. | |
Sie kommen in ihren Horrorphantasien nicht als Täter vor, sondern als | |
Opfer. „Durch den ungebremsten Zustrom von kulturfremden Armutsmigranten“ | |
gerate alles durcheinander, und das „mache mittelfristig einen Bürgerkrieg | |
nicht unwahrscheinlich“, sagte der gescheiterte österreichische FPÖ-Chef | |
und Kurz-Zeit-Vizekanzler [3][Heinz-Christian Strache] seinerzeit, bevor er | |
gescheitert war. | |
## Radikale Politiker und Täter teilen sich die Arbeit | |
Das war natürlich nur halb eine Drohung, halb eine Warnung, je nachdem, wie | |
man es verstehen wollte, und es war auch nicht ganz klar, ob er meinte, | |
dass die Migranten diesen Bürgerkrieg beginnen würden oder die von Strache | |
umworbenen „autochtonen Österreicher“, die sich irgendwann einfach nicht | |
mehr anders zu helfen wüssten. In dieser Vagheit war aber auch die | |
Angstlust drin, in die sich Aggressoren leicht hineinsteigern. | |
Die meisten Gräueltaten der Geschichte sind von Leuten begangen worden, die | |
sich in die Idee hineinsteigern, sie würden sich in Wirklichkeit nur | |
wehren. Zwischen den radikalen rechten Politikern und ihren medialen | |
Hilfstruppen auf der einen, den Tätern auf der anderen Seite gibt es also | |
eine schöne Arbeitsteilung. | |
Die einen schaffen ein Klima, in dem irgendwelche elementar Andere | |
(Muslime, Migranten, wer auch immer), als fürchterliche Bedrohung angesehen | |
werden, und die Mörder sind dann die, die zum Schluss kommen, das dürfe man | |
doch nicht zulassen. Das wirft natürlich knifflige Fragen nach | |
Verantwortung auf. Juristisch verantwortlich für die Tat eines anderen ist | |
man nur, wenn man jemanden in einem engen Sinne anstiftet. | |
Moralisch mitverantwortlich ist man aber, wenn man Vorstellungen in der | |
Welt verbreitet, die die Mörder motiviert. Noch viel weiter können wir | |
einen Begriff der „gesellschaftlichen Verantwortung“ interpretieren. | |
Gesellschaftliche Verantwortung hat man schon, wenn man den Diskursen, die | |
wie Gift in alle Poren dringen, nicht entschieden entgegentritt oder sogar | |
da und dort nachgibt. Ihnen Legitimation verschafft. | |
Den Eindruck erweckt, dass an dem Wahn schon etwas dran sein könnte, indem | |
man den Wahn in „die Sorgen der Menschen“ umbenennt, die man „ernst nehmen | |
müsse“. Womöglich sind auch wir, also Sie und ich, irgendwie | |
mitverantwortlich, denn wer von uns hat noch nie entschiedene Gegenrede aus | |
taktischen oder nur Bequemlichkeitsgründen bleiben gelassen? Manchmal | |
lassen wir es vielleicht auch nur, weil man sich mit Dingen abfindet. Weil | |
man denkt, da könne man eben nichts tun. | |
## Man könne nichts tun, ist eine faule Ausrede | |
Unsere Welt ist ja voll mit scheinbaren Tatsachen, gegen die man angeblich | |
nichts tun könne (oder nicht genug). Das fängt schon bei der wild | |
gewordenen Globalisierung, unregulierbaren Finanzmärkten an und geht weiter | |
bis zum Klimawandel. Unzählige Probleme sind entweder so komplex oder so | |
übermächtig, dass man den Eindruck hat, man könne dagegen doch sowieso | |
nichts tun. | |
Unlängst saß ich mal wieder im ehemaligen Wohnzimmer des österreichischen | |
Bundeskanzlers Bruno Kreisky, und dachte daran, dass der Alte genau da mit | |
Olaf Palme und Willy Brandt saß und dass die drei eigentlich auch sagen | |
hätten können: „Weltfrieden? Das schaffen wir doch sowieso nicht. Da | |
brauchen wir uns gar nicht anstrengen.“ Gesellschaftliche Verantwortung | |
fängt also eigentlich damit an, dass man sich sagt, und ja, da kann ich | |
gleich noch eine Kanzlerin zitieren, also dass man sagt: „Wir schaffen | |
das.“ | |
21 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Robert Misik | |
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