| # taz.de -- Hanau-Mahnwache in Berlin: Erst Stille, dann Wut | |
| > Nach dem rassistischen Anschlag in Hanau gedenken Tausende am Berliner | |
| > Hermannplatz den Opfern. Alle gegen den Faschismus, ist der Slogan. | |
| Bild: „Zeichen unserer Wut“: Demonstrant*innen am Donnerstagabend auf dem H… | |
| Es ist eigenartig still am Hermannplatz – trotz Hunderten von Menschen, die | |
| an diesem Donnerstagabend gekommen sind, um der Opfer des rechten | |
| Terroranschlags in Hanau am Tag zuvor zu gedenken. Vielen Menschen ist die | |
| Erschütterung anzusehen. Sie umarmen einander, fragen, wie es geht. Es | |
| steckt viel Wärme und Sorge in diesen Umarmungen. Manche tragen Fahnen in | |
| der kurdischen Tricolore oder Schilder mit der Aufschrift „Stoppt die | |
| Brandstifter“. | |
| Langsam füllt sich der Platz. Es sind türkische, kurdische und englische | |
| Sprachfetzen zu hören. Zu der Demo am Hermannplatz, zu der die Neuköllner | |
| Initiative „Kein Generalverdacht“ aufgerufen hat, sind viele Menschen | |
| gekommen, die migrantisch gelesen werden könnten. Und viele, die sich | |
| solidarisch zeigen wollen und ein Zeichen setzen gegen rechte Gewalt. | |
| Die staatstragende Mahnwache findet derweil am Brandenburger Tor statt. Der | |
| Bundespräsident spricht in Hanau. Bundesweit kommen insgesamt mehrere | |
| zehntausend Menschen zu den zahlreichen Mahnwachen. | |
| Nach einer Schweigeminute ist auf dem Herrmanplatz Raum für die Wut. Aus | |
| den Redebeiträgen verschiedener antirassistischer Initiativen und Bündnisse | |
| spricht Empörung über eine Regierung, die von Einzeltätern spricht, Wut | |
| über die Kontinuität rassistischer Gewalt in diesem Land, und Wut darüber, | |
| dass die Regierung den Schmerz und die Forderungen der Betroffenen seit | |
| Jahrzehnten nicht ernst nimmt. | |
| „Ich finde keine Worte für meine Trauer, meine Angst und meine Wut“, | |
| beginnt der Linke-Politiker Ferat Koçak, der selbst Opfer eines rechten | |
| Anschlags geworden ist, seine Rede. „Deutschland, du hast ein | |
| Rassismus-Problem“, ruft er. Die Menschenmenge, inzwischen sind es | |
| Tausende, skandiert laut „Alle zusammen gegen den Faschismus“, ein Slogan, | |
| der den ganzen Abend immer wieder zu hören sein wird. | |
| ## Eine zärtliche Geste | |
| In der ersten Reihe am Lautsprecherwagen stehen ältere Männer mit ernsten | |
| Gesichtern und Schnauzbärten. Als ein Paar mit einem Kleinkind dazukommt, | |
| erhellt sich die Miene einer der Männer kurz. Er streicht dem Kind mit der | |
| Hand übers Gesicht, es ist eine zärtliche Geste. | |
| Dann zieht die Demo Richtung Sonnenallee los. „Im Moment sind zehntausende | |
| Menschen auf den Straßen. Dieser Zusammenhalt ist sehr wichtig“, sagt eine | |
| kurdischstämmige Demonstrantin. | |
| Ein anderer wollte am Abend eigentlich arbeiten, aber dann entschloss er | |
| sich stattdessen, zum Hermannplatz zu kommen. „Ich brauche in diesem Moment | |
| die Unterstützung und wollte sie auch selbst anbieten“, sagt er. Er habe | |
| keine Hoffnung, dass der Staat den Anschlag in Hanau mit rechtsextremen | |
| Gruppierungen in Verbindung bringt. „Ich mache mir Gedanken, wie wir uns | |
| als migrantische und demokratische Kräfte wehren können, das wird nicht | |
| weniger werden, sondern mehr“, sagt er stattdessen. | |
| ## Zusammenstehen gegen die Faschisten | |
| Wie wichtig Zusammenhalt und Solidarität an diesem Tag sind, sagen an | |
| diesem Abend viele. „Wenn die Menschen nicht mehr zusammenstehen, fangen | |
| sie an Angst zu haben und dann haben die Faschisten gewonnen“, sagt ein | |
| weiterer Demonstrant auf türkisch. | |
| Als die Demospitze fast einen Kilometer weiter an der Ecke Weichselstraße | |
| angekommen ist, stehen immer noch Demonstrant*innen auf dem Hermannplatz. | |
| Auf der Sonnenallee sind die Menschen aus den Cafés und Supermärkten auf | |
| die Straße gekommen, sie stehen gemeinsam draußen, rauchen und filmen. In | |
| den Fenstern der Häuser stehen Anwohner*innen und hören den Redebeiträgen | |
| zu. | |
| „Ich bin traurig und wütend“, sagt eine junge Demonstrantin, die vor fünf | |
| Jahren aus der Türkei nach Berlin gezogen ist. Sie erzählt, dass sie nicht | |
| überrascht gewesen sei, als sie die Nachricht über den rechtsextremen | |
| Anschlag in Hanau am Morgen gelesen habe. „Gleich danach war mir meine | |
| Reaktion zuwider. Mir wurde klar, wie sehr wir uns hier an das Trauma und | |
| den Schmerz gewöhnt haben“, sagt sie. | |
| Am meisten ekele sie sich vor der Berichterstattung, vor den Medien, die | |
| bei einem Täter ohne Migrationsgeschichte sofort von einer Einzeltat | |
| sprechen. „Gleichzeitig geben mir all diese Menschen, die heute hier sind, | |
| Mut. Ich habe Kinder gesehen, die Plakate gegen Rechts tragen, das ist die | |
| größte Hoffnung. Die Hoffnung zu verlieren, ist keine Option.“ | |
| 21 Feb 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Elisabeth Kimmerle | |
| ## TAGS | |
| taz.gazete | |
| Politik | |
| Ferat Koçak | |
| Kolumne Der rote Faden | |
| Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau | |
| Schwerpunkt AfD in Berlin | |
| taz.gazete | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wochenvorschau für Berlin: Im Zeichen des Frauentages | |
| Die Berlinale ist rum; Corona noch nicht in Berlin ausgebrochen: Was bringt | |
| die neue Woche? Den Frauentag am 8. März – wie wär's mal mit Solidarität? | |
| Nach dem Terroranschlag in Hanau: Mörder, die sich nur wehren | |
| Einer wie Höcke drückt nicht selbst ab. Aber er schafft das Klima für die, | |
| die sich ängstigen lassen, und die ihre Angst zur Aggression wandeln. | |
| Nach dem rassistischen Attentat in Hanau: Vergebliches Erinnern | |
| Deutschland braucht eine Debatte über Rechtsterrorismus. Stattdessen reden | |
| Konservative seit Wochen darüber, wie linksextrem Bodo Ramelow sei. | |
| Ermittlungen zu Hanau-Terror: Seehofer will Schutz von Moscheen | |
| Für den Bundesinnenminister ist Rechtsextremismus die höchste | |
| Sicherheitsbedrohung in Deutschland. Die Polizeipräsenz soll bundesweit | |
| erhöht werden. |