# taz.de -- Hanau-Mahnwache in Berlin: Erst Stille, dann Wut | |
> Bei einer Kundgebung in Berlin-Neukölln sind türkische, kurdische und | |
> englische Sprachfetzen zu hören. Alle gegen den Faschismus, ist der | |
> Slogan. | |
Bild: „Zeichen unserer Wut“: Demonstrant*innen am Donnerstagabend auf dem H… | |
BERLIN taz | Es ist eigenartig still am Hermannplatz – trotz Hunderten von | |
Menschen, die an diesem Donnerstagabend gekommen sind, um der Opfer [1][des | |
rechten Terroranschlags in Hanau] am Tag zuvor zu gedenken. Vielen Menschen | |
ist die Erschütterung anzusehen. Sie umarmen einander, fragen, wie es geht. | |
Es steckt viel Wärme und Sorge in diesen Umarmungen. Manche tragen Fahnen | |
in der kurdischen Tricolore oder Schilder mit der Aufschrift „Stoppt die | |
Brandstifter“. | |
Langsam füllt sich der Platz an der Grenze der beiden migrantisch geprägten | |
Berliner Stadtteile Neukölln und Kreuzberg. Es sind türkische, kurdische | |
und englische Sprachfetzen zu hören. Zu der Demo am Hermannplatz, zu der | |
die Neuköllner Initiative „Kein Generalverdacht“ aufgerufen hat, sind viele | |
Menschen gekommen, die nicht so aussehen, wie sich Rechte Deutsche | |
vorstellen. Und viele, die sich solidarisch zeigen wollen und ein Zeichen | |
setzen gegen rechte Gewalt. | |
Eine staatstragende Mahnwache findet derweil am Brandenburger Tor statt. | |
[2][Der Bundespräsident spricht in Hanau]. Bundesweit kommen insgesamt | |
mehrere zehntausend Menschen zu den zahlreichen Mahnwachen. | |
Nach einer Schweigeminute ist auf dem Herrmanplatz Raum für die Wut. Aus | |
den Redebeiträgen verschiedener antirassistischer Initiativen und Bündnisse | |
spricht Empörung über eine Regierung, die von Einzeltätern spricht, Wut | |
über die Kontinuität rechter Gewalt in diesem Land, und Wut darüber, dass | |
die Regierung den Schmerz und die Forderungen der Betroffenen seit | |
Jahrzehnten nicht ernst nimmt. | |
„Ich finde keine Worte für meine Trauer, meine Angst und meine Wut“, | |
beginnt der Linke-Politiker Ferat Koçak, [3][der selbst Opfer eines rechten | |
Anschlags geworden ist], seine Rede. „Deutschland, du hast ein | |
Rassismus-Problem.“ Die Menschenmenge, inzwischen sind es Tausende, | |
skandiert laut „Alle zusammen gegen den Faschismus“, ein Slogan, der den | |
ganzen Abend immer wieder zu hören sein wird. | |
## Eine zärtliche Geste | |
In der ersten Reihe am Lautsprecherwagen stehen ältere Männer mit ernsten | |
Gesichtern und Schnauzbärten. Als ein Paar mit einem Kleinkind dazukommt, | |
erhellt sich die Miene einer der Männer kurz. Er streicht dem Kind mit der | |
Hand übers Gesicht, es ist eine zärtliche Geste. | |
Dann zieht die Demo Richtung Sonnenallee los, eine Straße, in der sich | |
arabische, kurdische und Hipsterläden mischen. „Im Moment sind zehntausende | |
Menschen auf den Straßen. Dieser Zusammenhalt ist sehr wichtig“, sagt eine | |
kurdischstämmige Demonstrantin. | |
Ein anderer wollte am Abend eigentlich arbeiten, aber dann entschloss er | |
sich stattdessen, zum Hermannplatz zu kommen. „Ich brauche in diesem Moment | |
die Unterstützung und wollte sie auch selbst anbieten“, sagt er. Er habe | |
keine Hoffnung, dass der Staat den Anschlag in Hanau mit rechtsextremen | |
Gruppierungen in Verbindung bringt. „Ich mache mir Gedanken, wie wir uns | |
als migrantische und demokratische Kräfte wehren können, das wird nicht | |
weniger werden, sondern mehr“, sagt er stattdessen. | |
## Zusammenstehen gegen die Faschisten | |
Wie wichtig Zusammenhalt und Solidarität an diesem Tag sind, sagen an | |
diesem Abend viele. „Wenn die Menschen nicht mehr zusammenstehen, fangen | |
sie an Angst zu haben und dann haben die Faschisten gewonnen“, sagt ein | |
weiterer Demonstrant auf türkisch. | |
Als der Demospitze fast einen Kilometer weiter an der Ecke Weichselstraße | |
angekommen ist, stehen immer noch Demonstrant*innen auf dem Hermannplatz. | |
Auf der Sonnenallee sind die Menschen aus den Cafés und Supermärkten auf | |
die Straße gekommen, sie stehen gemeinsam draußen, rauchen und filmen. In | |
den Fenstern der Häuser stehen Anwohner*innen und hören den Redebeiträgen | |
zu. | |
„Ich bin traurig und wütend“, sagt eine junge Demonstrantin, die vor fünf | |
Jahren aus der Türkei nach Berlin gezogen ist. Sie erzählt, dass sie nicht | |
überrascht gewesen sei, als sie die Nachricht über den rechtsextremen | |
Anschlag in Hanau am Morgen gelesen habe. „Gleich danach war mir meine | |
Reaktion zuwider. Mir wurde klar, wie sehr wir uns hier an das Trauma und | |
den Schmerz gewöhnt haben“, sagt sie. | |
Am meisten ekele sie sich vor der Berichterstattung, vor den Medien, die | |
bei einem Täter ohne Migrationsgeschichte sofort von einer Einzeltat | |
sprechen. „Gleichzeitig geben mir all diese Menschen, die heute hier sind, | |
Mut. Ich habe Kinder gesehen, die Plakate gegen Rechts tragen, das ist die | |
größte Hoffnung. Die Hoffnung zu verlieren, ist keine Option.“ | |
21 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Rechter-Anschlag-in-Hanau/!5663003 | |
[2] /Mahnwache-in-Hanau/!5665402 | |
[3] /Linke-Politiker-ueber-Anschlagsserie/!5640812 | |
## AUTOREN | |
Elisabeth Kimmerle | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau | |
Mahnwache | |
Berlin-Neukölln | |
Ferat Kocak | |
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Mahnwache in Hanau: „Wir stehen zusammen“ | |
Tausende gedenken der Opfer des rechtsextremen Anschlags. Der | |
Bundespräsident appelliert dagegenzuhalten, wenn Einzelnen die Würde | |
genommen wird. | |
Forensische Psychiaterin zum Anschlag: „Terroristen sind meist nicht krank“ | |
Der Attentäter von Hanau war psychisch krank, sagt die Psychiaterin Nahlah | |
Saimeh. Dennoch habe seine Tat ein klar rechtsextremes Narrativ. | |
Rechtsextremistischer Terror in Hanau: Riss im Selbstbild | |
Deutschland war nie so freundlich und liberal, wie es gerne glaubt. Im | |
Angesicht des Rechts-Terrors aber wird klar: Alle Bekundungen sind zu | |
wenig. | |
Rechter Anschlag in Hanau: „Wir haben Angst gehabt“ | |
Die Stadt Hanau ist im Schockzustand: Viele BewohnerInnen haben die Opfer | |
des Terroranschlags gekannt. Eindrücke am Tag eins nach der Tat. |