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# taz.de -- Protestieren in Coronazeiten: Karlsruhe lehnt Demoverbot ab
> Erstmalig in Coronazeiten hat das Bundesverfassungsgericht ein
> Versammlungsverbot beanstandet. Die Richter fordern die Prüfung von
> Einzelfällen.
Bild: Als hier noch niemand von Abständen sprach: Übungsanlage für Verkehrse…
Freiburg taz | Das Bundesverfassungsgericht hat erstmals in Coronazeiten
[1][ein Versammlungsverbot beanstandet]. Künftig gilt: Generelle
Demonstrationsverbote ohne Prüfung des Einzelfalls sind unzulässig. Die
Stadt Gießen hat die fragliche Demo inzwischen erlaubt.
Konkret ging es um mehrere Kundgebungen in Gießen, zu denen die
Projektwerkstatt Saasen aufgerufen hatte. Unter dem Motto „Gesundheit
stärken statt Grundrechte schwächen – Schutz vor Viren, nicht vor Menschen�…
forderte die Projektwerkstatt zum Beispiel die Sperrung der Straßen vom
Autoverkehr, damit Radfahrer und Fußgänger genug Abstand einhalten können.
Auch die Teilnehmer der Demo sollten jeweils 10 Meter Abstand nach vorn und
hinten beachten sowie 6 Meter zur Seite.
Die Stadt Gießen verbot die Demonstrationen dennoch unter Verweis auf die
hessische Coronaverordnung. Öffentliche Verhaltensweisen, die geeignet
seien, das Abstandsgebot von 1,5 Metern zu gefährden, seien generell
untersagt. Erfahrungsgemäß würden bei Versammlungen Mindestabstände nicht
eingehalten. Eilanträge gegen das Verbot hatten bei den hessischen
Verwaltungsgerichten keinen Erfolg.
Dann hatte jedoch das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung
zugunsten der Projektwerkstatt erlassen. Die Verfassungsrichter monierten,
dass die Stadt von einem generellen Versammlungsverbot ausging, obwohl in
der hessischen Coronaverordnung gar keine derartige Klausel enthalten war.
Aber auch unabhängig vom Inhalt der jeweiligen Landesverordnung müsse über
Versammlungsverbote immer „unter hinreichender Berücksichtigung der
konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden“ werden (Az.: 1 BvR 828/20).
## Demonstranten sollen Mundschutz tragen
Die Stadt Gießen, die über das Verbot erneut entscheiden musste, hat die
Kundgebung inzwischen gestattet. Die Versammlung sei jetzt unter Auflagen
zugelassen, sagte Bürgermeister Peter Neidel (CDU). Demnach hat die Stadt
die Kundgebung auf eine Stunde und die Teilnehmerzahl auf maximal 15
begrenzt. Alle müssten Mundschutz tragen und mindestens 1,5 Meter Abstand
zueinander halten.
Mit der aktuellen Entscheidung setzte nicht nur das Verfassungsgericht,
sondern auch Richter Stephan Harbarth ein Zeichen. Der jetzige
Vizepräsident und designierte Präsident des Bundesverfassungsgerichts ist
erst seit einigen Wochen federführend für die Versammlungsfreiheit
zuständig. Er hatte die Aufgabe vom chronisch überlasteten Richter Johannes
Masing übernommen.
[2][Schon vor der Karlsruher Intervention hatten zuletzt auch andere
Gerichte Demonstrationen zugelassen], die eigentlich wegen der
Corona-Infektionsgefahr verboten waren. So hatte der Bayerische
Verwaltungsgerichtshof kurz vor Ostern die von einem Wirtschaftsanwalt
angemeldete kleine Kundgebung gegen Versammlungsverbote zugelassen.
Argument: Gegen coronabedingte Freiheitsbeschränkungen könne nur jetzt
demonstriert werden.
Bei der Bund-Länder-Telefonkonferenz am Mittwochnachmittag war zwar über
Lockerungen aller Art diskutiert worden. Im Dialog mit den Kirchen will man
zum Beispiel einen „möglichst einvernehmlichen Weg“ finden, wie mit den
derzeit verbotenen Gottesdienste weiter umgegangen werden soll. Von der
Versammlungsfreiheit war aber nicht die Rede. Bayerns Ministerspräsident
Markus Söder (CSU) sagte, die Regierungen auf Bundes- und Landesebene
hätten „genau zwei Herausforderungen im Kopf: die Gesundheit und die
Wirtschaft“. An die Grundrechte der Bürger dachte er offensichtlich nicht.
16 Apr 2020
## LINKS
[1] /Politische-Bewegungen-in-Corona-Zeiten/!5674569&s=Demonstrationsverbot/
[2] /Versammlungsfreiheit-in-Hamburg/!5674816&s=Demonstrationsverbot/
## AUTOREN
Christian Rath
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