# taz.de -- Versammlungsfreiheit in der Corona-Krise: Polizei schützt Infektion | |
> In Niedersachsen geht die Polizei hart gegen Demonstrant*innen vor, | |
> obwohl sie auf den Infektionsschutz achten – die Polizei hingegen nicht. | |
Bild: Wenig Abstand auf einer Demo in Hannover am Ostersamstag | |
HAMBURG taz | „Superspreader“ sind infizierte Personen, die | |
überdurchschnittlich viele andere Personen anstecken, zum Beispiel | |
Ärzt*innen mit engem Patientenkontakt, die nichts von ihrer Infektion | |
wissen, oder Kinder, denen es schwerfällt, den Sicherheitsabstand | |
einzuhalten. Oder eben Polizist*innen, wenn sie ohne Schutzausrüstung, den | |
Sicherheitsabstand missachtend, in großen Gruppen unterwegs sind und | |
Demonstrant*innen nahe kommen. | |
Der Ermittlungsausschuss Hannover hat sich mit einem solchen Vorwurf an die | |
Öffentlichkeit gewandt. Ermittlungsausschüsse sind linke | |
Rechtshilfegruppen, die unter anderem bei Demos ansprechbar sind und | |
Betroffenen von Repressionen helfen. | |
Am Ostersamstag hatten in Hannovers Innenstadt rund 50 Menschen gegen | |
Rassismus und die Flüchtlingspolitik der EU demonstriert. Gegen 14 Uhr | |
hatten die Demonstrant*innen infektionsschutzkonform in Zweiergruppen, mit | |
Abstand zur jeweils nächsten Zweiergruppe, Transparente entrollt und die | |
Aufnahme Geflüchteter aus den griechischen Lagern gefordert. Die | |
Hannoversche Allgemeine Zeitung hatte zuerst darüber berichtet. Viele | |
Demonstrant*innen trugen Atemschutzmasken. | |
„Erst durch das Einschreiten der Polizei wurde die Situation für alle | |
Beteiligten gefährlich und ein unnötiges Risiko für die Ansteckung mit | |
Coronaviren produziert“, schreibt der Ermittlungsausschuss in einer | |
Mitteilung. Auf einem [1][Video der HAZ] sieht man, dass die Beamt*innen im | |
Gegensatz zu vielen Demonstrant*innen keinen Mundschutz und zum Teil auch | |
keine Handschuhe tragen. Mehrere Polizist*innen kesselten 13 Personen ein, | |
darunter laut dem Ermittlungsausschuss auch Passant*innen – woraufhin diese | |
sehr eng zusammenstehen mussten. | |
## Eingekesselt gegen den Infektionsschutz verstoßen | |
Die Polizei leitete 15 Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Verstößen gegen | |
den Infektionsschutz ein. „Uns vorzuwerfen, wir wären unvorsichtig mit dem | |
Infektionsschutz umgegangen, ist absurd“, sagt dazu eine Sprecherin des | |
Ermittlungsausschusses. „Die Verstöße gegen die Schutzmaßnahmen wurden von | |
der Polizei begangen.“ | |
Polizeisprecher Philipp Hasse erklärt auf Nachfrage, die Beamt*innen hätten | |
lediglich das Versammlungsverbot durchgesetzt. Der Kessel sei nötig | |
gewesen, um die Identität der Personen festzustellen. Die niedersächsische | |
Allgemeinverfügung verbiete Ansammlungen im öffentlichen Raum mit mehr als | |
zwei Personen. „Die künstliche Aufsplittung einer Versammlung in | |
Zweiergruppen ist nicht zulässig“, sagt er. | |
Die Rechtshilfegruppe kritisiert diesen Umgang der Polizei mit der | |
Versammlungsfreiheit. Aktivist*innen hätten in den vergangenen Wochen | |
mehrfach gezeigt, dass die [2][freie Meinungsäußerung auf der Straße auch | |
unter Beachtung des Infektionsschutzes möglich sei]. Dass die Polizei dies | |
zu verhindern versuche, sei gefährlich: „Da wird ein zentrales | |
demokratisches Grundrecht außer Kraft gesetzt“, sagt die Sprecherin des | |
Ausschusses. | |
Auch in Lüchow sehen sich Bürger*innen ihrer Grundrechte beraubt. Dort | |
hatten bereits am Samstag vor Ostern mehrere Menschen für die Aufnahme | |
Geflüchteter aus den südeuropäischen Lagern protestiert. Der Landkreis | |
Lüchow-Dannenberg hatte die Demo verboten, die Polizei ging rigoros gegen | |
die Protestierenden vor, wie [3][Bilder der Elbe-Jeetzel-Zeitung] zeigen. | |
Man sieht zum Beispiel, wie zwei Polizist*innen eine ältere Frau zu Boden | |
drücken. | |
## Problematische T-Shirts | |
Anlass dafür seien auch T-Shirts mit politischen Parolen gewesen, berichtet | |
die Anti-Atom-Aktivistin Katja Tempel. Die Polizei habe die | |
Demonstrant*innen nötigen wollen, die T-Shirts auszuziehen, weil sie | |
Passant*innen zum Stehenbleiben animieren könnten, die vielleicht lesen | |
wollten, was auf den T-Shirts steht. Die ältere Frau habe sich geweigert, | |
ihr T-Shirt auszuziehen. | |
In der Woche danach rief Tempel eine „Speakers Corner“ ins Leben. Die Idee: | |
Täglich stehen zwei Personen am Lüchower Rathaus, um gegen die | |
Einschränkung der Meinungsfreiheit zu protestieren. „Es sollen sich gar | |
nicht viele Menschen gleichzeitig dem Protest anschließen“, sagt Tempel. | |
„Aber die Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die die | |
niedersächsischen Behörden gerade durchsetzen, können wir nicht hinnehmen.“ | |
Viermal fand die Zwei-Personen-Demonstration statt, bis die Polizei sie am | |
Gründonnerstag verbot. Das Verbot halten Tempel und ihre Mitstreiter*innen | |
für unrechtmäßig und klagen dagegen jetzt beim Verwaltungsgericht. „Es gibt | |
dafür keine Rechtsgrundlage, es steht auch nicht in der | |
Allgemeinverfügung“, sagt Tempel. Am Dienstag nahmen die Aktivist*innen die | |
Speakers Corner wieder auf – dieses Mal als Ein-Personen-Demo und eine | |
Stunde nach der angemeldeten und verbotenen Uhrzeit. Die Person trug ein | |
T-Shirt mit der Aufschrift „Menschenrechte sind unteilbar“ und blieb | |
ungestört. | |
15 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Spontan-Demo-auf-der-Limmerstrass… | |
[2] /Demos-wegen-Corona-Pandemie-verboten/!5673402/ | |
[3] https://www.ejz.de/bilder/fotogalerien/fotogalerie---wegen-corona-polizei-l… | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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