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# taz.de -- Verordnungen gegen Pandemie: Corona-Verstoß? Ab in Haft!
> In Bayern wandern Menschen, die sich nicht an Corona-Auflagen halten,
> auch in Haft. Juristen kritisieren die strengen Verordnungen scharf.
Bild: Genügend Abstand auf dieser Bank? Eher nicht. In Bayern könnte das Ärg…
München/Berlin taz | Thomas Prudlo ist immer noch sauer. „Es gibt kein Maß
mehr“, schimpft der Münchner. „Das nimmt aberwitzige Züge an.“ Dabei ist
Prudlo jetzt immerhin wieder in Freiheit. Am Montag dagegen noch hockte der
53-Jährige für mehrere Stunden in Haft. Weil er in München auf einer
Parkbank und später auf einer Wiese saß.
Er habe seine Mittagspause mit einer Freundin auf einer Bank am Königsplatz
verbracht, als Polizisten gekommen seien und ihm erklärt hätten, dass dies
gegen die Corona-Ausgangsbeschränkungen verstoße, erzählt Prudlo, der auch
Vorsitzender der ÖDP in München ist. „Wir saßen aber meterweit von anderen
entfernt. Also habe ich das nicht akzeptiert.“
Ein darauf erteiltes Bußgeld sei für ihn noch okay gewesen, der folgende
Platzverweis aber nicht, sagt Prudlo. „Es gab ja keinerlei Gefährdung von
anderen.“ Daraufhin habe ihn die Polizei für zwei Stunden in Gewahrsam
genommen.
Die Münchner Polizei bestätigt diese Schilderung. Prudlo sei im Rahmen von
Kontrollen der Corona-Verordnungen angetroffen worden und „auf
Konfrontationskurs“ gegangen, heißt es in einer Mitteilung. Nachdem er
einem Platzverweis nicht Folge leistete, sei er in Gewahrsam genommen und
nach einer „Betroffenenanhörung“ wieder entlassen worden.
## Mehrere Stunden Haft
Für Prudlo war die Geschichte damit aber noch nicht beendet. Denn nun
wollte der Münchner sehen, „wie weit der Rechtsstaat in diesen Zeiten
geht“, wie er einräumt. Also setzte sich Prudlo mit einem Buch ganz in der
Nähe erneut in die Sonne – wo ihn erneut die Polizisten antrafen.
Wieder verweigerte Prudlo einen Aufbruch. Und landete erneut im Gewahrsam,
diesmal mit richterlichem Beschluss und für mehr als vier Stunden. Erst um
22 Uhr am Abend wurde Prudlo wieder entlassen – nun mit zwei Anzeigen wegen
Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz im Gepäck.
„Worum geht es bei diesen Maßnahmen eigentlich?“, schimpft Prudlo. Er stehe
ja hinter der Notwendigkeit eines Infektionsschutzes gegen das Corona-Virus
und halte die nötigen 1,5 Meter Abstand zu anderen Menschen ein. „Aber die
Maßnahmen sind inkonsequent und werden teils völlig unverhältnismäßig
ausgelegt“, sagt Prudlo. „Geht es hier wirklich noch um den Schutz? Oder
darum, den starken Mann zu markieren?“
Prudlo ist mit seinem Ärger nicht mehr allein. Denn bundesweit sind wegen
der Corona-Pandemie [1][derzeit Einschränkungen im öffentlichen Leben
verhängt, die weit in die Grundrechte eingreifen] – Bund und Länder
begründen dies mit dem Schutz von Menschenleben. Wie die Verordnungen indes
umgesetzt und kontrolliert werden, variiert von Bundesland zu Bundesland –
und Bayern geht hier mit besonderer Strenge voran.
Inzwischen befinden sich in Bayern drei Männer gar in mehrtägiger Haft
wegen wiederholter Verstöße gegen die Corona-Beschränkungen – ein
22-Jähriger und 27-Jähriger aus Landshut sowie ein 34-Jähriger aus Bamberg.
Der 27-jährige Landshuter landete schon vor anderthalb Wochen das erste Mal
für fünf Tage in Gewahrsam, weil er sich laut Polizei wiederholt und
„unbelehrbar“ mit einem Freund „zum Alkoholtrinken und Rauchen“ auf der
städtischen Mühleninsel traf – und mit weiteren Verstöße „zu rechnen wa…
Am Sonntag, zwei Tage nach seiner Freilassung, sei der Mann erneut bei
einem „Saufgelage“ im Freien angetroffen worden, so die Polizei. Er landete
darauf wieder in der JVA, diesmal über Ostern bis zum 13. April.
Am gleichen Tag wurde auch der 22-jährige Landshuter inhaftiert: Er soll
vier Mal gegen das Infektionsschutzgesetz verstoßen haben und befand sich
beim letzten Mal „ohne triftigen Grund mit mehreren Personen aus
verschiedenen Haushalten vor einem Anwesen“. Der junge Mann sitzt nun
ebenfalls bis zum 13. April in Gewahrsam.
Der Bamberger wiederum wurde am 2. April festgenommen und muss ganze
zweieinhalb Wochen in der JVA bleiben, bis zum 19. April – dem derzeitigen
Ende der bayrischen Ausgangsbeschränkungen. Laut Polizei soll er fünf Mal
bei „Corona-Partys“ in seiner Wohnung angetroffen worden sein: Er habe
„immer wieder mehrere Bekannte zu sich nach Hause eingeladen, um dort
Alkohol zu konsumieren“. Der 34-Jährige könne nun in Haft „über sein
Verhalten nachdenken“, heißt es in der Polizeimeldung. Polizeipräsident
Alfons Schieder verteidigte das Vorgehen: Bei „hartnäckiger
Uneinsichtigkeit“ von Betroffenen brauche es die „notwendige Konsequenz“.
Alle drei Haftbefehle wurden von Gerichten bestätigt. Sie gelten als
Unterbindungsgewahrsam – als Präventivmaßnahme, um weitere Verstöße zu
verhindern. Und sie gründen laut bayrischem Innenministerium auf dem 2017
und 2018 verschärften Polizeiaufgabengesetz des Landes. Grüne, Linke und
FDP halten das Gesetz für unverhältnismäßig und klagen derzeit dagegen.
## Parlamentarische Aufklärung
Die Grünen wollen nun auch den aktuellen Corona-Verhaftungen
parlamentarisch nachgehen. Die Fälle müssten detailliert aufgeklärt werden,
sagte die bayrische Fraktionschef Katharina Schulze der taz. „Grundrechte
gelten auch in Zeiten der Pandemie.“ Das Polizeiaufgabengesetz, das ein
„Dauerärgernis“ bleibe, und der polizeiliche Präventivgewahrsam dürften
nicht missbräuchlich verwendet werden.
Auch der Fall von Thomas Prudlo zeige, dass die Polizei von Bayerns
Innenminister Joachim Hermann (CSU) „zu scharf losgeschickt worden ist“, so
Schulze. „Das erhöht nicht die Akzeptanz der Bevölkerung für wichtige
Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und erschwert auch die Arbeit der
Polizei.“ Schulze fordert deshalb bundesweit einheitliche Regelungen gegen
die Corona-Pandemie.
Aber es ist nicht nur Bayern. Auch in Weinheim (Baden-Württemberg) wurde
Ende März ein Mann vorübergehend festgenommen, der zunächst anonym im
Internet zu einer Demonstration gegen die Corona-Ausgangsbeschränkungen
aufgerufen hatte. Ermittler konnten den 32-Jährigen schließlich
identifizieren und nahmen ihn vorläufig fest. Gleichzeitig durchsuchten sie
seine Wohnung und beschlagnahmten drei Laptops, vier Festplatten, ein
Tablet und ein Smartphone.
Juristen äußern sich inzwischen kritisch zu solch strikten Verfolgungen der
Infektionsschutz-Verordnungen. „Wir erleben gerade Zustände, die wir uns
vor einem Monat nie hätten vorstellen können“, sagt der Berliner
Juraprofessor Niko Härting. „Da finden Exzesse statt, die nicht mehr mit
unseren Verfassungsgrundsätzen in Einklang stehen.“
## „Tiefe Grundrechtseingriffe“
Härting kritisiert, dass die Corona-Verordnungen in den Ländern
unterschiedlich verfasst und in ihren Punkten „sehr unbestimmt“ seien. Dass
nun sogar Menschen wegen Verstößen über Tage inhaftiert würden, seien
„tiefe Grundrechtseingriffe, die hoffentlich bald von Gerichten kassiert
werden“. Die Verordnungen müssten wieder auf solche Maßnahmen beschränkt
werden, die klar begründbar seien, so Härting.
Scharfe Kritik übt auch der Republikanische Anwälteverein. Auch deren
Vorsitzender Peer Stolle hält die Corona-Verordnungen für sehr weitreichend
und zu unbestimmt. „Das führt nicht nur zu so absurden Maßnahmen wie das
Sitzen auf einer Parkbank zu sanktionieren. Sondern eröffnet auch Raum für
Willkür.“ Der Zweck des Infektionsschutzes gerate da in den Hintergrund.
Stolle spricht vielmehr von einem „teilweise autoritativen Ausnutzen der
weitreichenden Verordnungen“. [2][Auch eine Aushebelung der
Versammlungsfreiheit sei nicht hinzunehmen]. „Da muss dringend
nachgebessert werden.“
Tatsächlich legte das Bundesinnenministerium [3][am Donnerstag eine
Musterverordnung zu Quarantänemaßnahmen] für alle Bundesländer vor – diese
indes nur bezogen auf Einreisen von Personen aus dem Ausland. Die weiteren
Regelungen variieren teils weiter zwischen den Ländern. Die
Freiheitsbeschränkungen an sich hatte das Bundesverfassungsgericht am
Beispiel Bayerns indes am Mittwoch vorerst gebilligt. „[4][Gegenüber den
Gefahren für Leib und Leben wiegen die Einschränkungen der persönlichen
Freiheit weniger schwer]“, befanden die Richter in einer Eilentscheidung.
Geklagt hatte ein Mann aus Bayern.
Auch der Münchner Thomas Prudlo will sich wehren. Seinen mehrstündiger
Gewahrsam hält er bis heute für reichlich überzogen. Er werde dagegen nun
nachträglich juristisch vorgehen, kündigt Prudlo an. „Solchen Auslegungen
der Verordnungen muss ein Riegel vorgeschoben werden.“
9 Apr 2020
## LINKS
[1] /Pro-und-Contra-Ausgangsbeschraenkungen/!5677780
[2] /Politische-Bewegungen-in-Corona-Zeiten/!5674569
[3] /-Corona-News-vom-9-April-/!5677747
[4] /Entscheidung-des-Verfassungsgerichts/!5677732
## AUTOREN
Konrad Litschko
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