# taz.de -- Pro und Contra Ausgangsbeschränkungen: Übertrieben oder solidaris… | |
> Sind die Ausgangsbeschränkungen zu hart? Darüber wird auch innerhalb der | |
> taz viel gestritten. Ein Pro und Contra. | |
Bild: Bei Corona schwer zu verbinden: individuelle Freiheit und Solidarität | |
Das Wetter ist wunderbar und Ostern steht vor der Tür. Alle wollen raus, | |
klar. Aber wo endet das Mindestmaß an Solidarität mit Älteren oder | |
Vorerkrankten? Kurz: Sind die Ausgangsbeschränkungen übertrieben? | |
Ja, sagt Simone Schmollack | |
Die Ostseeinseln sind abgeriegelt, der brandenburgische Landkreis | |
Ostprignitz-Ruppin hatte ursprünglich ein Einreiseverbot ausgerufen, es | |
gilt [1][ein Betretungsverbot für Berge in Bayern]. Ausflüge ins Hamburger | |
Umland sind ebenso verboten wie Parken an Ausflugsorten in Rheinland-Pfalz. | |
Die Liste der Bewegungseinschränkungen und Verbote lässt sich fortsetzen, | |
jedes Bundesland hat seine eigenen Grenzen gesetzt, die mal mehr, [2][mal | |
weniger eng] sind. Dennoch gelten im ganzen Land mittlerweile äußerst | |
strenge Regelungen. | |
Doch sind sie in dieser Krassheit gerechtfertigt? Helfen sie tatsächlich, | |
[3][die Zahl der Infektionen rasch einzudämmen]? Vor allem: Sind sie | |
politisch klug? | |
Derzeit sind 72 Prozent der Bevölkerung laut dem ARD-Deutschlandtrend mit | |
dem Corona-Krisenmanagement der Bundesregierung zufrieden. Das ist ein | |
sensationeller Zuspruch für Merkel und Co., den es so sonst nicht gibt. Das | |
heißt also, die Menschen halten die Ausgangsbeschränkungen und | |
Kontaktverbote für legitim und richtig. Ebenso halten sich die allermeisten | |
Menschen auch daran. In den Supermärkten und auf den Straßen sind die | |
Menschen auf Abstand. | |
Aber das könnte sich ändern: Wenn die Verbote allzu heftig werden und die | |
Maßnahmen den Alltag stark einschränken, vor allem während der | |
Osterfeiertage, wenn die Familien, die Homeoffice-Überdrüssigen, die | |
Singles endlich mal wieder die Sonne spüren wollen. Einige Menschen | |
entwickeln bereits Abwehrreaktionen gegen die restriktiven Maßnahmen, sie | |
erkennen schlicht den Nutzen dahinter nicht mehr. | |
Warum darf die allein lebende, von Kurzarbeit betroffene Frau, die in | |
Berlin seit einem Monat brav zu Hause hockt, jetzt nicht – weiterhin allein | |
– vor ihrem Campingwagen in Brandenburg in der Sonne sitzen? Warum ist es | |
dem älteren Ehepaar in Sachsen verboten, in den Wald zu gehen, weil der | |
sich außerhalb des „Umfelds seines Wohnbereichs“ befindet? Wieso kann der | |
hart arbeitende Krankenhausmanager aus Niedersachsen an seinem ersten | |
freien Wochenende keinen Tagesausflug an den Strand machen? | |
Schon klar, es sollen keine Viren von A nach B getragen werden. Aber | |
nirgendwo sind Menschen geschützter und schützender als allein auf einem | |
Zeltplatz, am weiten Strand, im Wald. Anderen Spaziergänger*innen kann dort | |
weiträumig aus dem Weg gegangen werden. Einen gefürchteten Massentourismus | |
gibt es schon allein wegen der geschlossenen Hotels, Restaurants und Cafés | |
ohnehin nicht. Stattdessen werden sich in den Städten die Parks füllen. | |
Dort dürfte das Ansteckungsrisiko um ein Vielfaches höher sein. Oder werden | |
die Parks dann auch geschlossen, weil sich zu viele Jogger*innen, Familien | |
und Spaziergänger*innen zu nahe kommen könnten? Kommt es so wie in Paris, | |
wo Sporttreiben tagsüber draußen bereits verboten ist? | |
Das ist absurd und kontraproduktiv. Man kann's auch übertreiben. | |
Nein, sagt Nina Apin | |
Die Sonne scheint, die Temperaturen steigen und [4][bald ist Ostern]. | |
Leider fällt die geplante Fahrt zu den Großeltern aus – Reisebeschränkung. | |
Mit den Kindern oder Freunden zusammen in den Biergarten oder zum Eisessen? | |
Geht auch nicht. Da hat man schon ein paar Tage frei – und dann soll man | |
noch nicht mal mit dem eigenen Auto raus aufs Land dürfen, an den See oder | |
ins Sommerhäuschen? Ist das nicht alles völlig überzogen? Befolgen wir | |
nicht alle seit Wochen so brav die Corona-Regeln, dass sich die berühmte | |
Verdopplungszeit bereits auf stattliche 16 Tage gesteigert hat? Da wird so | |
eine kleine österliche Landpartie doch auch mal drin sein – unter | |
Einhaltung der Hygieneregeln selbstverständlich. | |
Ja, die Kontaktbeschränkungen [5][zur Eindämmung des Coronavirus] sind eine | |
Zumutung. Immerhin sind Versammlungs-, Bewegungs- und Reisefreiheit | |
Grundrechte, und es fühlt sich sehr, sehr falsch an, dass Polizisten in | |
Uniform einem neuerdings vorschreiben dürfen, wohin man gehen darf und | |
wohin nicht. Und ja, es ist absurd, dass jemand mit einer Datsche in | |
Brandenburg nicht daran gehindert wird, diese anzusteuern – während | |
Menschen mit einem Bungalow an der Mecklenburgischen Seenplatte oder mit | |
Verwandtschaft am Chiemsee zum Umkehren gezwungen werden, weil die | |
betreffenden Regionen sich abgeschottet haben. | |
Aber jetzt, in Woche vier des gesamtgesellschaftlichen Stillstands, da | |
müsste auch klar sein: Die Solidarität der Jungen und Gesunden mit den | |
Älteren und Vorerkrankten darf sich nicht auf Homeoffice-Arbeit | |
beschränken. Solidarität heißt eben auch, freiwillig den Bewegungsradius | |
klein zu halten, auf die kleinen Extras zu verzichten, im Sinne der | |
Allgemeinheit. | |
Nur wenn sich möglichst viele möglichst wenig bewegen, kann die Ausbreitung | |
des Virus verlangsamt werden. Deshalb sind Landtrips jetzt keine gute Idee: | |
denn wenn man Wasser vergessen hat oder die Milch alle ist, geht man eben | |
doch in den Laden, Kontakt und Ansteckungsmöglichkeit inklusive. Und es | |
kann selbst bei kurzen Aufenthalten passieren, dass man sich den Fuß | |
bricht. Und dann? Verstopft man eben doch das örtliche Krankenhaus. | |
Es fühlt sich an wie eine Bestrafung, sicher. Aber je mehr Menschen sich | |
eine Ausnahme von den Corona-Verboten genehmigen in diesen schönen Tagen, | |
desto größer wird die Ansteckungsgefahr für alle. Das Virus ist noch da und | |
noch immer gibt es [6][weder ein Medikament noch einen Impfstoff] dagegen. | |
Deshalb ist es jetzt ein dringend nötiges Zeichen der Solidarität, wenn | |
Menschen, die über ein Privileg wie ein Wochenendhaus verfügen, auf dieses | |
Privileg noch ein paar Wochen verzichten. Damit für diejenigen, die null | |
privilegiert sind, die ohne Arbeit, ohne Garten, vielleicht auch ohne | |
Internetzugang zum Recherchieren der Hausaufgaben oder ohne einen Partner | |
zu Hause festsitzen und eine richtig miese Zeit haben, diese unerträgliche | |
Situation möglichst bald aufhört. | |
Wenn jetzt Leute ernsthaft damit argumentieren, dass sie sich eine | |
Extraportion Lockerung und Erholung verdient hätten, weil sie ja immerhin | |
arbeiteten, dann sollten sie darüber nachdenken, wie das bei denen ankommt, | |
die laut der jetzt geltenden Krisenlogik nicht „systemrelevant“ sind. Aber | |
sich trotzdem an die Regeln halten. | |
9 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Bayern-und-das-Coronavirus/!5676406 | |
[2] /Bussgeldkatalog-des-Berliner-Senats/!5675681 | |
[3] /Coronakrise-in-Deutschland/!5676034 | |
[4] /Oesterreich-kuendigt-Lockerung-an/!5677294 | |
[5] /Die-neuen-Corona-Zahlen-des-RKI/!5674722 | |
[6] /Forschungsfoerderung-gegen-Corona-Virus/!5677496 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
Simone Schmollack | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Ausgangsbeschränkungen | |
Ostern | |
Solidarität | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Opposition in Coronazeiten: Sauerstoff für die Demokratie | |
Gerade im Ausnahmezustand braucht es eine handlungsfähige parlamentarische | |
Opposition. Die muss ihre neue Rolle erst noch finden. | |
Berlin am Corona-Osterwochende: Ein bisschen aneinanderrücken | |
Am Ostersonntag war mehr los in Berlin als an den Wochenenden zuvor. Bei | |
vielen Verstößen drückte die Polizei ein Auge zu. | |
Verordnungen gegen Pandemie: Corona-Verstoß? Ab in Haft! | |
In Bayern wandern Menschen, die sich nicht an Corona-Auflagen halten, auch | |
in Haft. Juristen kritisieren die strengen Verordnungen scharf. | |
Estland startet globale Lösungssuche: Hacks gegen Corona | |
Die Coronakrise verlagert vieles ins Netz – auch die Suche nach Lösungen | |
für Probleme, die durch die Pandemie entstanden sind. | |
Entscheidung des Verfassungsgerichts: Karlsruhe stützt Corona-Politik | |
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Eilentscheidung gegen die | |
Freiheitsbeschränkungen in Bayern abgelehnt. Das betrifft ganz Deutschland. | |
Österreich kündigt Lockerung an: Wiederauferstehung nach Ostern | |
Österreich will seine strikten Corona-Maßnahmen nach Ostern schrittweise | |
lockern – und Tracking per App nicht zur Pflicht machen. | |
Bayern und das Coronavirus: Hoffen auf die Forschung | |
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder freut sich über eine abflachende | |
Corona-Kurve und kündigt neue Studien an. Die strengen Auflagen bleiben. | |
Bußgeldkatalog des Berliner Senats: Streit um Lockerungsübungen | |
Bußgeldkatalog für Coronasünder ist beschlossen, Beschränkungen wie die | |
Ausweispflicht wurden aufgehoben. Kritik daran kommt von der Polizei. |