# taz.de -- Proteste in Aschaffenburg: Rentner, Neonazis, Trommelgruppen | |
> Im bayerischen Aschaffenburg gehen monatlich 2.000 Menschen auf die | |
> Straße. Aus Corona-Protesten sind Proteste gegen die Grünen geworden. | |
Bild: Teilnehmer der monatlichen Demo in Aschaffenburg | |
ASCHAFFENBURG taz | Die Nachricht wirkt aus der Zeit gefallen wie eine | |
FFP2-Maske, die man in der Tasche eines lange nicht getragenen | |
Kleidungsstücks findet. In Aschaffenburg, einer Stadt mit 70.000 | |
Einwohner:innen, bringt die [1][Querdenken-Bewegung] einmal im Monat rund | |
2.000 Menschen auf die Straße. | |
[2][Um Corona] geht es dabei nur noch am Rande, stattdessen findet die | |
Bewegung für ihren Protest immer neue Anlässe und legt dabei eine | |
beachtliche inhaltliche Wandelbarkeit an den Tag. Doch die Umstände bleiben | |
dieselben: Die Demonstrant:innen legen die Innenstadt lahm, verbreiten | |
krude Botschaften und haben keine Berührungsängste mit Rechtsextremen. Wie | |
rechte Raumergreifung funktioniert, lässt sich in Aschaffenburg | |
beispielhaft beobachten. | |
Was ist da also los? An diesem heißen Sonntagnachmittag Ende August vor | |
allem eins: ohrenbetäubender Lärm. Trommeln, Hupen, Motorengeräusche, | |
scheppernde Megafone, Schlagermusik aus Lautsprechern. Es ist | |
Demonstrationstag in Aschaffenburg, über Stunden zieht der Zug in einem | |
Kreis durch die Innenstadt. | |
Die meisten Teilnehmer:innen sind [3][ausgesprochen durchschnittlich | |
aussehende Menschen], sehr viele von ihnen Rentner und Rentnerinnen. Manche | |
aus Aschaffenburg, viele aus der Region und einige auch von weiter weg | |
angereist. Manche durchaus freundlich. Alle offenbar völlig ohne Bedenken, | |
mit Neonazis gemeinsam zu demonstrieren. Vorneweg und zwischendurch die | |
Trommelgruppen, ganz hinten ein Korso aus unablässig hupenden Traktoren. | |
Am Anfang gibt es eine Durchsage, „Extremisten und Radikale“ seien nicht | |
willkommen, was keinerlei praktische Konsequenzen hat. Einige | |
Demonstrant:innen treten offen als Neonazis auf: Eine Gruppe trägt das | |
Banner der NPD-Nachfolgepartei Die Heimat, es gibt Tätowierungen mit dem | |
[4][Symbol der Schwarzen Sonne], das bei Rechtsextremen beliebt ist. Und | |
wer sich auskennt, so wie zwei Mitglieder des Aschaffenburger Bündnis gegen | |
Rechts, die die Demonstration vom Rand aus beobachten, erkennt die | |
Gesichter altgedienter NPD-Kader aus der Region. | |
## Verbale Abgrenzung ohne Konsequenzen | |
Die Gruppen hinter dieser Veranstaltung sind dieselben, die hier Proteste | |
gegen die Corona-Maßnahmen organisiert hatten, Spaziergänge, Autokorsos und | |
Fackelmärsche, die sie „Flashmobs“ nannten. In Aschaffenburg, das zu Bayern | |
gehört, aber im wohlhabenden Speckgürtel von Frankfurt am Main liegt, | |
konnten Rechte bislang weniger Fuß fassen als in anderen Orten der Region. | |
Seit Corona ist das anders. Während die Proteste gegen die Maßnahmen | |
andernorts mit deren Ende einfach wieder verschwanden, zeigte die Szene in | |
Aschaffenburg Hartnäckigkeit – und suchte den Schulterschluss mit | |
Rechtsextremen. | |
Der Hauptfeind sind jetzt die Grünen. „Wir packen das Übel an der Wurzel“, | |
steht auf Bannern, auf denen die Köpfe führender | |
Grünenpolitiker:innen auf Bilder ausgerissener Sonnenblumen gesetzt | |
sind. Auf der Demonstration im August hat ein Teilnehmer auf einem | |
besonders großen Schild Worte gefunden, denen man Ehrlichkeit attestieren | |
muss: „Der ‚Klimaschutz‘ geht uns am Arsch vorbei – wir wollen Wohlstan… | |
Der Gründer von „Aschaffenburg steht auf“, der Gruppe, die hier bereits die | |
Corona-Proteste organisiert hat, heißt Bruno Stenger. Stenger ist 70, | |
Rentner, ein kleiner Mann mit Schnauzbart. Mit der taz will er sich | |
zunächst nicht treffen, zu schlecht seien die Erfahrungen, die seine | |
Bewegung bisher mit der Presse gemacht habe, überhaupt werde man von allen | |
Seiten diffamiert. Für das Treffen schlägt er schließlich einen Biergarten | |
außerhalb der Innenstadt vor; das Gespräch findet dann kaum ein Ende, so | |
viele Missstände, die angeprangert werden müssen. | |
## Der Klimawandel wird auch geleugnet | |
„Letztes Jahr hatten unsere Demonstrationen noch einen Volksfestcharakter, | |
aber das hat dazu geführt, dass man sich über uns lustig gemacht hat“, sagt | |
Stenger. Deswegen habe man die Ausrichtung verändert. „Wir haben deswegen | |
beschlossen, Nein statt Ja zu sagen“, beschreibt er diesen Wechsel. Aus | |
Corona-Protesten wurden im vergangenen Jahr vorübergehend Demonstrationen | |
gegen Krieg und Inflation, bis die Bewegung im Frühling ihre neue | |
Ausrichtung fand. | |
Begonnen habe er in Aschaffenburg während der Corona-Zeit als | |
Einzelaktivist, erzählt Stenger: Schulkinder „über die Maske aufklären“, | |
Impfmobile stören. „Ich bin eben ein Mensch mit einem übersteigerten | |
Gerechtigkeitsgefühl.“ Noch immer scheint ihn das Thema Corona besonders | |
stark zu bewegen. Wenn es dabei um Kinder geht, versagt ihm vor Rührung die | |
Stimme. Über Robert Habeck regt er sich auf, von Alice Weidel schwärmt er, | |
auch mit Sahra Wagenknecht könne er etwas anfangen, sagt er, überhaupt sei | |
seine Bewegung „weder rechts noch links“. | |
Neonazis auf seiner Demonstration? „Wir haben keine Rechtsgrundlage dafür, | |
irgendjemanden auszuschließen.“ Das größte Problem für seine Bewegung? | |
„Ganz klar die Antifa, die mit dem Stadtrat zusammenarbeitet.“ | |
Klimawandel? Er sei kein Fachmann, aber: „Das Klima hat sich schon immer | |
verändert.“ Heute regten sich die Menschen über Temperaturen von 33 Grad | |
auf, in seiner Kindheit habe es diese „von Mai bis Oktober“ gegeben. Zwei | |
Sätze später erzählt Stenger, man habe hier in der Region früher Ski fahren | |
können – das sei nun nicht mehr möglich, komme aber sicher wieder. | |
Das mit dem Klima, das sich schon immer verändert habe, erzählen auch viele | |
Teilnehmer:innen der Demonstration. „Grüner Wahnsinn ohne mich“ lautet | |
das Motto, das Bild, das man erzeugen will: Landwirtschaft, Handwerk und | |
Mittelstand gehen gemeinsam gegen die grüne Regierungspolitik auf die | |
Straße. | |
## Es gibt ein Gegenbündnis: „Aschaffenburg ist bunt“ | |
So ganz gelingt das nicht. Organisationen wie die Handwerkskammer | |
Unterfranken oder der Bayerische Bauernverband gingen bereits auf Distanz | |
zu den Veranstaltungen. Die Teilnehmerzahlen der Demonstrationen sind für | |
eine Stadt der Größe Aschaffenburgs beachtlich, aber zuletzt nicht mehr | |
gewachsen. Und unter dem Namen „Aschaffenburg ist bunt“ hat sich inzwischen | |
ein breites Gegenbündnis gebildet, das offiziell von der Stadt unterstützt | |
wird und im Juli 3.500 Menschen für ein „Fest der Demokratie“ versammelte. | |
Trotzdem: Was sich in Aschaffenburg gerade beobachten lässt, ist die | |
Formierung einer rechten Sammelbewegung, die einen Bogen von | |
Regierungskritik über diffuse Ängste vor Wohlstandsverlust bis hin zu | |
gefestigtem Rechtsextremismus spannt. Diese Sammelbewegung versucht, ganz | |
im Sinne rechter Raumergreifungsstrategien, die Stadt zu vereinnahmen, mit | |
dem Lärm der Demonstrationen, mit Infoständen in der Innenstadt, mit Druck | |
auf die Zivilgesellschaft und mit Einschüchterungen politischer | |
Gegner:innen. | |
Wie Letzteres funktioniert, kann Clara Lingen erzählen, denn sie erlebt es | |
selbst. Die Grundschullehrerin möchte in diesem Artikel nur unter Pseudonym | |
auftauchen, ihr richtiger Name ist der taz bekannt. | |
Angefangen hat es mit einem der „Flashmob“ genannten Fackelzüge der | |
Querdenken-Bewegung im April 2021. Lingen wendet sich damals mit einer | |
E-Mail ans Aschaffenburger Ordnungsamt, sie schreibt, dass sie sich als | |
Anwohnerin von diesem Aufzug bedroht gefühlt habe, und nennt auch den Namen | |
einer Querdenken-Aktivistin, die in den sozialen Netzwerken besonders aktiv | |
ist. Deren richtiger Name ist der taz bekannt, in diesem Artikel soll sie | |
Birgit Schmidt heißen. | |
Ein Foto dieser Mail mit Clara Lingens vollem Namen wird kurze Zeit später | |
von dieser Aktivistin in sozialen Netzwerken und Telegram-Gruppen der | |
Querdenken-Bewegung verbreitet. Schmidt nennt persönliche Details zu | |
Lingens Arbeit und Familie. | |
## Die Zivilgesellschaft wird eingeschüchtert | |
Im Juni 2022 veröffentlicht Birgit Schmidt auf Facebook ein Video, in dem | |
sie Lingen eine „paranoide Psychose“ unterstellt, und ihre Follower fragt, | |
was man mit so einer machen solle. Lingen entscheidet sich nun doch, | |
Strafanzeige zu erstatten. In der Folge bekommt auch die Kanzlei ihres | |
Bruders Mails von Schmidt, in denen diese unter anderem droht, dass Lingen | |
„in den Fokus der maßnahmenkritischen Szene rückt und sich eine Stimmung | |
mit eigener Dynamik, auf die ich keinen Einfluss habe, entwickelt“. | |
Lingen ist eine wortgewandte, selbstbewusste Frau, aber man merkt, dass die | |
Situation nicht spurlos an ihr vorübergeht. „Natürlich macht das etwas mit | |
einem“, sagt sie. Einerseits, das wird im Gespräch deutlich, ist es ihr | |
dadurch noch wichtiger geworden, sich gegen die rechte Szene in der Stadt | |
zu positionieren. Andererseits gebe es jetzt Restaurants in Aschaffenburg, | |
die sie meide, weil sie weiß, dass sich dort Querdenker:innen treffen. | |
Im letzten Sommer verzichtete sie zum ersten Mal in vielen Jahren auf den | |
Besuch des Stadtfests. | |
Lingen kommt aus der Region, sie habe sich bewusst entschieden, in | |
Aschaffenburg zu wohnen, statt in die Großstadt zu ziehen, sagt sie. „Ich | |
habe an Aschaffenburg immer geschätzt, dass es hier viele engagierte | |
Menschen gibt, die tolle Sachen machen.“ So wie die Inhaber:innen des | |
kleinen Cafés, das sie für das Treffen mit der taz vorgeschlagen hat. | |
Jetzt habe sie das Gefühl, das, was sie an Aschaffenburg schätzt, aktiv | |
verteidigen zu müssen, weil es von Rechten bedroht wird, sagt Lingen. Sie | |
erzählt von dem alternativen Musikfestival, das hier jedes Jahr | |
stattfindet, und dass sie nicht möchte, dass das in ein paar Jahren für | |
ihre Tochter nur noch eine ferne Erinnerung ist. | |
Im September sollen in Aschaffenburg gleich zwei rechte Demonstrationen | |
stattfinden, einmal erneut zum „Grünen Wahnsinn“, einmal zum Thema Familie. | |
Eine Zwischenbilanz der rechten Raumergreifung wird sich im Oktober ziehen | |
lassen. Dann wird in Bayern und Hessen gewählt, und das AfD-Ergebnis im | |
Raum Aschaffenburg könnte einen Hinweis darauf geben, ob die rechte | |
Stimmungsmache hier Früchte trägt. | |
Anm. der Redaktion: Der Artikel wurde nachträglich gekürzt. | |
10 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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