| # taz.de -- Protest im russischen Staatsfernsehen: Fünf Sekunden Wahrheit | |
| > Die Journalistin Marina Owsjannikowa hat live im russischen | |
| > Staatsfernsehen protestiert. „Glaubt der Propaganda nicht“, stand auf | |
| > ihrem Schild. | |
| Bild: Marina Owsjannikowa (hinten): Kurzer Protest in den russischen Hauptnachr… | |
| Moskau taz | Es ist abends kurz nach neun Uhr Moskauer Zeit. Die | |
| Moderatorin von Russlands staatsnahem „Ersten Kanal“ sitzt am Pult und | |
| liest Meldungen in der Hauptnachrichtensendung „Wremja“ („Zeit“) ab. Sie | |
| berichtet von Trümmern einer ukrainischen Rakete auf Donezk, die die | |
| Führung in Kiew später dementiert. Sie fasst den Tag von [1][Russlands | |
| „Spezialoperation“ aus russischer Sicht] zusammen. Sie will gerade [2][auf | |
| westliche Sanktionen eingehen], als eine blonde Frau ins Studio stürmt. | |
| Marina Owsjannikowa, Redakteurin im Sender. Sie hüpft ein wenig nach links | |
| und rechts, rückt ihr Plakat zurecht. „No war“ steht darauf („Kein Krieg… | |
| und „Stoppt diesen Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Ihr werdet hier | |
| belogen.“ In den Ecken finden sich die ukrainische und russische Fahne. Sie | |
| ruft mehrmals „Nein zum Krieg“, im Russland dieser Tage ein Tabu, die | |
| Moderatorin spricht unverdrossen weiter. Owsjannikowa will im Bild bleiben | |
| – und tut es weltweit noch Stunden später, als von ihr selbst jede Spur | |
| fehlt. | |
| Fünf Sekunden dauert der Liveauftritt der 44-Jährigen zur Primetime. Ihr | |
| Schrei nach Wahrheit wird sogleich mit Bildern aus einem Krankenhaus | |
| unterbrochen. Owsjannikowa ist zunächst nicht aufzufinden und taucht erst | |
| am Abend des darauffolgenden Tages in einem Moskauer Bezirksgericht auf. | |
| Sie soll sich wegen der „Organisation einer nicht genehmigten öffentlichen | |
| Veranstaltung“ verantworten. Das ist eine Ordnungswidrigkeit. | |
| Wie das Bürgerrechtsportal OWD-Info am Dienstag berichtete, sei | |
| Owsjannikowa zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubel (226 Euro) verurteilt | |
| worden. Der prominente russische Journalist Alexej Wenediktow hatte zuvor | |
| ein Foto der Redakteurin mit ihrem Anwalt Anton Gaschinski in einem | |
| Gerichtsgebäude veröffentlicht. | |
| Nach der [3][Einführung des sogenannten Fake-News-Gesetzes] hatten | |
| Owsjannikowa bis zu 15 Jahren Haft gedroht. In den sozialen Netzwerken wird | |
| die Redakteurin gefeiert: „Was für eine Tat! Dinge einfach beim Namen zu | |
| nennen“, schreibt jemand. Eine andere meint: „Die Performance dieser Heldin | |
| gewährte uns einen Einblick, wie es ist, wenn die eigene Meinung im | |
| wichtigsten Sender des Landes zu hören ist.“ | |
| ## „Sie waren niemals Feinde“ | |
| Owsjannikowa hat nach ihrem Studium in Krasnodar im Süden Russlands unweit | |
| der Ukraine jahrelang propagandistische Nachrichten für den „Ersten Kanal“ | |
| produziert. „Ich schäme mich dafür, dass ich es zuließ, Lügen über die | |
| Fernsehbildschirme zu verbreiten“, sagte sie in einer Videobotschaft, die | |
| sie offenbar vor ihrem Protest aufgenommen hatte. Mit einem Halsband in | |
| russischen und ukrainischen Farben erklärte sie, sie sei ein Kind dieser | |
| Nationen. Vater Ukrainer, Mutter Russin, „Sie waren niemals Feinde.“ Sie | |
| wolle nicht mehr stumm sein. | |
| „Wir haben 2014 nichts gesagt, als der Konflikt im Donbass anfing, wir | |
| haben nicht demonstriert, als der Kreml Nawalny vergiftete, wir haben dem | |
| antimenschlichen Regime wortlos zugeschaut“, sagt sie und ruft zum Protest | |
| auf. Der Kreml tut die Tat als „Hooliganismus“ ab und sieht die | |
| Verantwortung beim Sender. | |
| 15 Mar 2022 | |
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| Inna Hartwich | |
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