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# taz.de -- Protestaktion russischer TV-Journalistin: Wie man einen Fake-Accoun…
> Die russische Redakteurin Marina Owsjannikowa protestierte im TV gegen
> Putins Krieg. Dann meldet sie sich bei Twitter zu Wort – glaubten viele.
Bild: Das angebliche Twitter-Profil der Journalistin Marina Owsjannikowa, das e…
International wird Marina Owsjannikowa nun von vielen als Heldin
gefeiert, für die russische Regierung ist sie womöglich das genaue
Gegenteil. „Ich bin jetzt der Feind Nummer eins hier“, [1][sagte sie dem
Spiegel]. Und auch: „Der Protest war allein meine Idee.“
Die TV-Redakteurin ist [2][schlagartig bekannt geworden], weil sie am
Montag in den Abendnachrichten im staatlichen Fernsehen ein Protestschild
gegen den Krieg in der Ukraine hochhielt. Viele verfolgten online, was
danach mit ihr geschah. Am Dienstag meldete sie sich offenbar wieder selbst
zu Wort, als @MarinaOvsy bei Twitter, sie schreibt auf Englisch plakative
Sätze wie: „Ich bereue nicht, was ich getan habe.“
Ihr Profilbild ist aus einem Video, das sie bereits zuvor aufgenommen hatte
und in dem sie ihre Beweggründe erklärt. Das Video ist echt, daran gibt es
keinen Zweifel. Aber wie sieht es mit dem Twitter-Account aus? Das ist
zunächst ein kleiner Nebenschauplatz, auf dem man aber eine Menge lernen
kann über den [3][Umgang mit Internetquellen und simplen Fakes].
Viele Nutzer:innen erwähnen den Twitter-Account und interagieren mit
ihm. Ein Journalist eines deutschen Mediums fragt: „Hi Marina, (…) Would
you be available for an interview?“. Er wird darauf aufmerksam gemacht,
dass es sich offenkundig um einen Fake-Account handelt. Seine Antwort: Man
werde das schon verifizieren vor Veröffentlichung. Es ist aber vielleicht
sinnvoller, das gleich zu tun. Denn dass der Account Fake sein muss, kann
man schnell selbst herausfinden.
## Es braucht keine Hacker-Skills
Der Twitter-Account ist neu, angelegt diesen Monat, der erste sichtbare
Tweet ist vom 9. März. Eigentlich reicht es schon, eine Grundregel zu
beherzigen: Ein neuer Account mit großem öffentlichem Interesse ist so gut
wie immer Fake. Die eigentlichen Personen haben meist besseres zu tun, und
es gibt immer irgendjemand, der einen Fake-Account einrichtet – was auch
immer die Motivation dahinter ist.
Im konkreten Fall kommt ein anderer Zweifel hinzu. Owsjannikowa wurde nach
der Protestaktion von der Polizei festgenommen. Es ist sehr unplausibel,
dass sie munter aus dem Polizeigewahrsam twittert. Zumal Russland den
Zugang zu Twitter blockiert hat, was die Nutzung zumindest erschwert. Aber
nehmen wir trotzdem einfach mal an, sie habe anlässlich ihrer Protestaktion
einen neuen Twitter-Account angelegt, mit dem sie nun kommuniziert. Kann
das sein?
Die Antwort gibt der Account selbst, und es braucht keine Hacker-Skills, um
sie zu finden. Wenn man nach Tweets mit ihrem Nutzernamen sucht (das
funktioniert in Twitter mit (from:MarinaOvsy)), tauchen gar nicht alle
Tweets des Accounts auf. Das spricht dafür, dass der Nutzername geändert
wurde. Und siehe da: Es reicht, ein bisschen in den alten Tweets
rumzuklicken, und plötzlich steht da nicht mehr der Name der Frau, sondern
@AnonUkrainell. Unter diesem Namen wurden demnach die ersten Tweets
abgesetzt, es geht um Hackingaktionen in Russland.
Mit Hilfe der [4][Seite Archive.org kann man nachschauen], wie der
Twitter-Account ursprünglich aussah. Name: „Anonymous Ukraine“, das
Benutzerbild ist die ikonische Guy Fawkes-Maske. „Wir sind zurück, nachdem
unser Haupt-Account gesperrt wurde“, steht in der Bio.
## Fake-Accounts hoffen auf Reaktion
Bevor der Account sich als Marina Owsjannikowa ausgab, hieß er kurz auch
wie ein US-Fotograf, der in der Ukraine unterwegs war. Es wurden auch viele
Tweets gelöscht, auch das sieht man bei einer simplen Suche nach dem
Nutzernamen innerhalb von Twitter. Denn Antworten auf die ursprünglichen
Tweets sind noch zu finden.
All das zeigt: Es ist sehr sicher nicht Marina Owsjannikowa, die hier
twittert, sondern jemand, der dem Hackerkollektiv Anonymous angehört oder
sich ihm zugehörig fühlt.
Nachdem es erste Zweifel an der Authentizität des Accounts gab, wurde er in
kurzer Zeit mehrfach umbenannt, ein Buchstabe oder Sonderzeichen mehr oder
weniger. Offenbar eine Strategie, Fake-Markierungen aus dem Weg zu gehen.
Inzwischen ist der Account gesperrt. Auch taucht plötzlich ein anderer,
fast gleichlautender Account auf, der nun behauptet, Marina Owsjannikowa zu
sein. Er ist schon Jahre alt, hieß bis vor Kurzem aber auch anders.
Es ist oft zu beobachten, dass sich ein Fake-Account erst einmal normal
verhält, erwartbare Dinge twittert, auf Reaktionen hofft. Wenn er dann
erst mal durch viele Interaktionen als vermeintlich echt legitimiert ist,
kann er leicht andere Saiten aufziehen. Problematische Äußerungen
raushauen, Desinformation verbreiten – und das wird dann eher auch als echt
wahrgenommen.
## Soli-Accounts sollten sich kenntlich machen
Wie kompliziert der Umgang mit Online-Fakes ist, zeigen manche Reaktionen
von Nutzer:innen. Als ich bei Twitter [5][auf den Fake-Account hinwies],
führten das manche ausgerechnet als vermeintlichen Beleg dafür an, dass
alles Fake sei, die ganze Protestaktion oder zumindest Owsjannikowas Video.
Andere sahen den Fake als nicht so schlimm an, denn es gehe ja um eine
prinzipiell unterstützenswerte Sache.
Aber das greift zu kurz. Es spricht ja gar nichts dagegen, einen Account zu
eröffnen, um sich mit Marina Owsjannikowa zu solidarisieren und zu ihrem
Anliegen zu twittern. Aber er oder sie sollte dann einfach kenntlich
machen, dass es sich um einen Soli-Account handelt. Alles andere ist
schädlich und gefährlich. Gerade in einer Zeit, in der Fakes Teil der
Kriegsführung sind.
18 Mar 2022
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/ausland/russland-interview-mit-tv-journalistin-marin…
[2] /Protest-im-russischen-Staatsfernsehen/!5841999
[3] /Der-Fake-Test/!5685711
[4] https://web.archive.org/web/20220309152524/twitter.com/AnonUkraineII
[5] https://twitter.com/seberb/status/1503683547323936770
## AUTOREN
Sebastian Erb
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Fake News
Internet
Soziale Medien
Desinformation
Ukraine
GNS
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Lesestück Recherche und Reportage
Fake News
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Kolumne Grauzone
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