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# taz.de -- Programm gegen Linksextremismus: Eine alarmierende Bilanz
> Gutachter und beteiligte Initiativen sind sich einig: Das
> Millionenprojekt der Bundesregierung ist gescheitert. Wird es Manuela
> Schwesig kippen?
Bild: Schneebälle und Pflastersteine von links nach links in Leipzig. Handlung…
BERLIN taz | Das Projekt war ein Herzensanliegen der ehemaligen
Familienministerin. Leidenschaftlich verteidigte Kristina Schröder (CDU)
das von ihr gestartete Bundesprogramm gegen Linksextremismus – auch noch,
als Fachleute längst auf Abstand gingen zu diesem Millionenprojekt mit dem
Titel „Initiative Demokratie Stärken“.
Seit dem Regierungswechsel ist eine Sozialdemokratin Herrin über das
umstrittene Programm: die neue Familienministerin Manuela Schwesig. Ihr
Haus hat inzwischen einen neuen Zwischenbericht des renommierten Deutschen
Jugendinstituts (DJI) bekommen, das die Projekte begutachtet. Deren Analyse
zeichnet eine alarmierende Bilanz.
In der gut 100-seitigen Evaluation für das Jahr 2013 schreiben die
Wissenschaftler: Zurzeit lasse sich „kein Bedarf für einen das gesamte
Bundesgebiet abdeckenden Programmbereich zum Thema pädagogische Prävention
von ,Linksextremismus' im Jugendalter“ feststellen. Frei übersetzt: ein
bundesweites Anti-links-Programm in seiner jetzigen Form ist überflüssig.
Seit 2010 fördert der Bund die Initiativen gegen Linksextremismus und
Islamismus mit jährlich 4,7 Millionen Euro. In diesem Jahr laufen die
Projekte aus.
## Wenig Anlass zur Fortführung
Manuela Schwesig hat – wie viele andere Sozialdemokraten – aus ihrer
Abneigung gegen Schröders Extremismuskurs in den letzten Jahren kein
Geheimnis gemacht. Andererseits kochte die Debatte über linke Gewalt jüngst
nach den Krawallen in Hamburg so hoch wie lange nicht. Für die
SPD-Politikerin stellt sich die Frage: Wie weiter mit der verkorksten
Initiative?
Der neue Zwischenbericht gibt wenig Anlass, das Programm in seiner jetzigen
Form fortzuführen. Die Analyse liest sich streckenweise geradezu paradox.
Vergleichsweise gut kommen darin nämlich gerade jene Projekte weg, die sich
kurzerhand von Schröders Linksextremismuskonzept lossagen.
Andere, näher am Ursprungsauftrag orientierte Initiativen schneiden
hingegen schlecht ab. Zum Beispiel die „Präventionsworkshops gegen
(Links-)Extremismus“, die der Berliner Verein Deutsche Gesellschaft
bundesweit an Schulen ausrichtet. Seit 2011 hat der Anbieter dafür 273.000
Euro aus dem Bundesprogramm erhalten.
Den Referenten gehe es „weniger um das kontroverse Ausdifferenzieren des
Phänomens“ als um „eine argumentative Beweisführung der Gefährlichkeit v…
„Linksextremismus“, mahnen die Wissenschaftler. Zudem seien die Workshops
mit ihrem Querbeet-Überblick vom Spartakusaufstand bis zur Autonomenszene
„überfrachtet“ und mit „stark gesteuerten und wenig partizipativen
Bildungsformaten“ methodisch schwach.
## Zweifelhafte Jugendarbeit
Ähnlich schlecht kommen Schülerseminare in der Berliner Stasi-Gedenkstätte
Hohenschönhausen weg. Kostenpunkt: 521.000 Euro. Das DJI konstatiert eine
„weitreichend einseitige Materialauswahl“, bemängelt „wenig Raum für
Kontroversität“ und einen „unausgesprochenen Totalitarismusverdacht“ geg…
linke Strömungen.
Die Broschüre der Gedenkstätte lässt ahnen, was die Wissenschaftler meinen.
Seitenlang wird die Linkspartei abgehandelt, die heute nur ein
„demokratisches Mäntelchen umgehängt“ habe, sonst aber „die Ideen, die …
Katastrophe des Kommunismus führten, erneut propagiert“. Autonome, heißt
es, fungierten als „Rekrutierungsreservoir terroristischer Formationen“.
Ein Bildungsheft wie eine Kampfschrift.
Die umstrittenen Projekte verteidigen ihre Arbeit. „Die Nachfrage an den
Schulen ist groß“, sagt Heike Tuchscheerer vom Verein Deutsche
Gesellschaft. Ihre Schüler-Workshops hätten sich „bewährt“. 70 habe man …
den letzten zwei Jahren veranstaltet. Sie wolle nichts gleichsetzen,
versichert die Politikwissenschaftlerin, aber es gebe „einfach auch
linksextreme Gewalt“. Nur sei darüber wenig bekannt.
Ähnlich äußert man sich in der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Auch dort
spricht Workshop-Referent Gerold Hildebrand von einem „schlüssigen Konzept“
und „positiven Reaktionen“. Die Kritik, seine Seminare setzten Links- und
Rechtsextremismus gleich, nennt er ein „Totschlagargument“. Es gebe einen
„hohen Bedarf“, über die „demokratiefeindliche, immer noch vertretene
Ideologie des Kommunismus“ aufzuklären.
## Staatlich geförderter kalter Krieg
Doch die Zuspitzungen einiger Anbieter befremden selbst andere Teilnehmer
des Bundesprogramms. Hinter vorgehaltener Hand wundert sich mancher
Projektleiter über die staatlich geförderten „kalten Krieger“. Offen reden
wollen nicht alle über das, was seit 2010 unter Federführung des
Familienministeriums stattfindet. Dabei sind die Probleme offenkundig –
einige Teilnehmer stiegen inzwischen sogar aus dem Programm aus.
Die Europäische Jugendbildungsstätte Weimar (EJBW) hatte in den vergangenen
drei Jahren eine „Rahmenkonzeption“ zur Auseinandersetzung mit
gewaltbereiten linksextremistischen Strömungen entwickelt. Kosten: gut
830.000 Euro. Das ambitionierte Projekt lief bis Ende 2013. Die in
Fachkreisen angesehene Institution beantragte keine Anschlussförderung–
obwohl die Gutachter ihr Konzept lobten.
Im Rahmen des Projekts arbeitete die Einrichtung mit etwa 500 Schülern.
„Linksextremismus war in all diesen Workshops keine relevante Kategorie“,
sagt EJBW-Leiter Moritz Kilger. Sie hätten bei den Jugendlichen „keine
geschlossenen linksextremen Weltbilder“ festgestellt. Sein Fazit: „Vom
Linksextremismus geht aus unserer Sicht zurzeit keine Gefahr für die
Demokratie aus.“
Trotzdem sieht er gerade in Thüringen Handlungsbedarf – allerdings nicht
dort, wo ihn Exministerin Schröder wähnte. „Die Demokratie wird hier von
anderer Seite gefährdet, der problematische Mainstream ist klar rechts.“
## Interessanter Kurswechsel
Die EJBW verzichtete deshalb in ihrem Konzept deshalb nicht nur auf den
umstrittenen Linksextremismusbegriff, sondern vollzog eine 180-Grad-Wende:
Sie richtete ihre Angebote nicht „antilinksextrem“, sondern
„prodemokratisch“ aus.
Dieser Kurswechsel könnte für die Neuministerin Schwesig interessant sein.
Ihre Partei hatte bereits die Einführung des Anti-links-Programms scharf
kritisiert. Nach gut einem Monat im Ministerium hält sich Schwesig
allerdings in dieser Frage zurück. „Bei dem Bericht des DJI handelt es sich
lediglich um einen Zwischenbericht“, sagt eine Sprecherin. Die Ministerin
wolle den Schlussbericht abwarten. „Erst dann kann über eine Fortführung
des Bundesprogramms entschieden werden.“
Der Weimarer Institutsleiter Moritz Kilger weiß schon jetzt, was er sich
von der neuen Ministerin wünscht: „Man sollte die
Links-rechts-Gleichsetzerei ad acta legen“, sagt er. Stattdessen müsse der
Bund eine sichere Regelförderung für bewährte Konzepte entwickeln. „Wir
wissen doch inzwischen, was funktioniert und was nicht.“
30 Jan 2014
## AUTOREN
Astrid Geisler
Konrad Litschko
## TAGS
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Kristina Schröder
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Linke Szene
Kristina Schröder
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Demokratie
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Extremismus
Schwerpunkt Überwachung
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