| # taz.de -- Pressefreiheit in Kolumbien: Bedroht und angegriffen | |
| > In Kolumbien nehmen Attacken auf Journalist*innen zu. Neu ist, dass | |
| > immer häufiger Polizeikräfte für Gewaltdelikte verantwortlich gemacht | |
| > werden. | |
| Bild: Die kolumbianische Polizei nimmt bei einem Protest am 10. Mai in Cali ein… | |
| Hollman Morris ist entsetzt vom Ausmaß der Gewalt zu der die Ordnungskräfte | |
| bei der Unterdrückung der sozialen Proteste in Cali greifen, die seit Ende | |
| April gegen die Regierung stattfinden. „Ich kann den vorsätzlichen Mord an | |
| fünf Jugendlichen in Cali dokumentieren. Am 4. Juni wurden sie in den | |
| frühen Morgenstunden erschossen. Das belegen Filmsequenzen und | |
| Zeugenaussagen“, erklärt der 52-jährige Reporter vom Fernsehkanal Tercer | |
| Canal. | |
| Morris zählt zu Kolumbiens auch international bekannten | |
| Investigativjournalisten. Er wurde 2011 mit dem Nürnberger | |
| Menschenrechtspreis ausgezeichnet, musste Kolumbien aufgrund von | |
| Morddrohungen mehrfach verlassen und berichtet derzeit aus [1][dem | |
| Epizentrum der sozialen Proteste] – aus Cali, Kolumbiens drittgrößter | |
| Stadt. | |
| Doch selbst in den Hochzeiten des Bürgerkriegs, als kritische Journalisten | |
| wie Morris vom Geheimdienst bespitzelt wurden, seien die Ordnungskräfte | |
| nicht so brutal gegen Demonstranten vorgegangen wie derzeit in Cali, so | |
| Morris. „Hier werden Verfassungsrechte außer Kraft gesetzt, Cali ist zur | |
| Stadt der Massaker an Jugendlichen geworden. Jugendlichen ohne Perspektive, | |
| Jugendlichen, die protestieren, ihre Stimme erheben“, kritisiert Morris. | |
| Der Befehl des kolumbianischen Präsidenten Iván Duque, [2][die Blockaden zu | |
| durchbrechen], habe ein Blutbad nach sich gezogen. „Hier wird gezielt auf | |
| Demonstranten geschossen und Übergriffe gegen die Medien gehören auch zum | |
| Repertoire der Sicherheitskräfte“, meint Morris. | |
| ## Und die Regierung schweigt | |
| Das bestätigen auch Berichte der vergangenen Woche von Reporter ohne | |
| Grenzen und der kolumbianischen Stiftung für die Pressefreiheit (FLIP). Die | |
| hat seit dem Beginn der Proteste Ende April [3][87 gewalttätige Übergriffe | |
| gegen], 42 direkte Bedrohungen von Journalist*innen und 13 Fälle von | |
| Raub von Recherchematerial dokumentiert. „Eine vergleichbare Situation hat | |
| es noch nicht gegeben. | |
| Die Zahl der direkten Angriffe, oft mit Gewaltanwendung, ist alarmierend. | |
| Wir bekommen unzählige Videos zugespielt, wo versucht wird, Reporter | |
| gezielt einzuschüchtern und an der Berichterstattung zu hindern“, erklärt | |
| Jonathan Bock, Direktor der Stiftung. Videos, in denen | |
| Berichterstatter*innen gezielt mit Gasgranaten und Gummigeschossen | |
| beschossen werden, obwohl sie klar als Presse erkennbar sind, gehören auch | |
| dazu. Überaus gravierend ist für Bock jedoch die Tatsache, dass die | |
| Regierung und ihre Institutionen auf dieses Material und auf Berichte noch | |
| nicht einmal reagieren. | |
| „Es gibt keine Entschuldigung, kein Bekenntnis zur Pressefreiheit, sondern | |
| verbale Angriffe auf die Berichterstattung in den sozialen Medien“, | |
| kritisiert Bock. Der Begriff des „Cyber-Terrorismus“ wird vonseiten der | |
| Regierung immer wieder benutzt, um kritische Berichte in sozialen Netzen zu | |
| entwerten. Als Image- statt als strukturelles Problem werde die Kritik am | |
| brutalen Vorgehen der Ordnungskräfte wahrgenommen, meint Bock. Über Wochen | |
| sei es mehr darum gegangen, Kritik zu unterdrücken als Ermittlungen | |
| aufzunehmen. | |
| Das hat sich erst Anfang des Monats mit dem Besuch der | |
| Menschenrechtskommission der Organisation amerikanischer Staaten geändert. | |
| Der kolumbianische Ombudsmann für Menschenrechte berichtet nunmehr von 58 | |
| Toten während der seit dem 28. April anhaltenden sozialen Proteste und von | |
| mehr als 400 Menschenrechtsverletzungen. Zahlen, die knapp unter jenen der | |
| Menschenrechtsorganisation Temblores liegen, die Fälle von Polizeigewalt | |
| dokumentiert und recherchiert. | |
| ## Kein Vertrauen in große Medien | |
| Fakten, die in den etablierten kolumbianischen Medien jedoch keine große | |
| Rolle spielen. „Das hat zur Glaubwürdigkeitskrise der großen Sender und | |
| Medien beigetragen. Die Jugend hat sich längst ihre eigenen | |
| Informationskanäle gesucht“, meint Hollman Morris. Seine Redaktion vom | |
| Tercer Canal, investigative Onlineportale wie Cuestion Pública oder | |
| LaSillaVacia oder kommunale Radios gehören dazu. Längst sei bekannt, dass | |
| hinter den großen Medienhäusern wie El Tiempo, die führende Tageszeitung | |
| des Landes, oder dem Fernsehkanal Caracol die reichsten Familien des Landes | |
| stehen. | |
| Das belegen mittlerweile auch Studien, so Morris, der seit Jahren für | |
| Reformen im Mediensektor des Landes wirbt. Nicht nur als kritischer | |
| Journalist, sondern auch als Medienberater des linken | |
| Präsidentschaftskandidaten Gustavo Petro. Der führt die Umfragen ein Jahr | |
| vor den nächsten Präsidentschaftswahlen an. Doch das war auch 2018 der | |
| Fall, bevor der amtierende Präsident Iván Duque ihn noch ausstach. | |
| Unter Duques Regie hat sich die Mediensituation in Kolumbien erneut | |
| verschärft, kritisiert die FLIP in dem Text „Die Presse ist nicht der | |
| Feind“. Der richtet sich direkt an den Präsidenten und führt die sieben | |
| Journalisten an, die seit seiner Vereidigung im August 2018 ermordet | |
| wurden. Nach Mexiko ist Kolumbien das gefährlichste Land Lateinamerikas für | |
| Journalist*innen, kritisiert Jonathan Bock. Immer wieder werden sie vom | |
| Staat im Stich gelassen. Kaum ein Mord werde aufgeklärt und die Zahl der | |
| Morddrohungen sei 2020 noch einmal um 10 Prozent gestiegen. „Trotz der | |
| Pandemie“, so Bock. | |
| Die hat sich in Kolumbien nicht nur für Journalist*innen, sondern auch für | |
| soziale und politische Aktivist*innen negativ ausgewirkt. Das belegen | |
| nicht nur die dokumentierten Fälle der FLIP, sondern auch diejenigen von | |
| Menschenrechtsorganisationen wie Temblores oder Indepaz. Neu ist | |
| allerdings, dass die Sondereinsatzkräfte der Polizei für immer mehr | |
| Gewaltdelikte verantwortlich gemacht werden. | |
| Aufgrund der internationalen Kritik hat Präsident Iván Duque nun eine | |
| Reform der Polizeistrukturen angekündigt. Ob die mehr Sicherheit für | |
| Berichterstatter*innen und Demonstranten bringen wird, bleibt | |
| abzuwarten. | |
| 14 Jun 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Proteste-gegen-die-Regierung-Duque/!5774858 | |
| [2] /Bremer-Aktivistin-ueber-Kolumbien/!5767529 | |
| [3] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/kolumbien/alle-meldungen/meldung/beisp… | |
| ## AUTOREN | |
| Knut Henkel | |
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