# taz.de -- Proteste gegen die Regierung Duque: Kolumbien kommt nicht zur Ruhe | |
> Die Proteste gegen die Regierung von Präsident Iván Duque setzen sich | |
> fort. Dem nationalen Streikkomitee gelingt es kaum, die Blockaden | |
> aufzulösen. | |
Bild: Einsatz eines Wasserwerfers gegen Demonstranten am Samstag in Bogotá | |
LA PAZ taz | Algevis Gregorio Bello Pérez (19) hatte in Cali gegen die | |
Regierung demonstriert. Er half vor allem in der Gemeinschaftsküche, die | |
Protestierende mit Essen versorgte. Mit seinem Freund Carlos Sierra fuhr er | |
auf einem Motorrad Richtung Tuluá. An einer Blockade stiegen sie ab und | |
wollten die Blockierenden unterstützen, weil sich die Polizei näherte. | |
So erzählt es ihr Freund Andrés. Am nächsten Tag lagen ihre Leichen im | |
Straßengraben. „Im Polizeireport stand als Todesursache ein Verkehrsunfall. | |
Carlos’ Vater sagte mir aber, dass Einschusslöcher im Tank waren“, sagt | |
Andrés der taz. Im Dokument der Staatsanwaltschaft über Gregorio steht als | |
Todesursache: Mord. | |
Erst nach 18 Tagen rückte die Rechtsmedizin Gregorios Leiche heraus, | |
Freunde hatten sich dafür Unterstützung von Menschenrechtsverteidigern und | |
einem Padre geholt. Gregorio stammt aus Venezuela, wo seine Familie lebt. | |
Kein Angehöriger hat Geld, um zur Beerdigung anzureisen. | |
Per Videobotschaft erlaubte die Mutter den Behörden, ihren toten Sohn den | |
Freunden in Kolumbien auszuhändigen. Der Leichenzug fuhr sämtliche | |
Blockaden im Viertel ab, wo alle Gregorio kannten, erzählt Andrés. | |
## Bisher mindestens 61 Tote | |
Er selbst will trotz der Risiken weiter protestieren. Seit die Proteste | |
gegen die Regierung am 28. April begannen, sind nach Angaben der | |
[1][Ombudsstelle des Volkes] 61 Menschen gestorben. Die meisten davon in | |
Cali. | |
Auslöser der Proteste war eine [2][geplante Steuerreform]. Diese ist wie | |
auch eine geplante Gesundheitsreform längst gekippt. Die Proteste sind | |
abgeflaut, gehen aber weiter. Denn ihre Ursachen sind so vielfältig wie die | |
Ziele. | |
Ein Grund ist der brüchige Friedensprozess und die große Ungleichheit im | |
Land, die von der Pandemie noch verstärkt wurde. 42 Prozent der | |
Kolumbianer:innen gelten als arm. Die Proteste werden vor allem von | |
Jungen getragen, die eine bessere Zukunft wollen – Der [3][Finanzminister | |
und die Außenministerin] sind zurückgetreten. Doch Präsident Iván Duque | |
setzt weiter auf Militarisierung. | |
„Die von der Polizei begangenen Menschenrechtsverletzungen sind keine | |
Einzelfälle undisziplinierter Polizisten, sondern Ergebnis tiefgreifender | |
struktureller Fehler“, sagt José Miguel Vivanco von Human Rights Watch | |
(HRW). | |
## Auch bewaffnete Zivilisten töten Protestierende | |
Von den 68 Toten, die der Organisation gemeldet wurden, konnte sie bisher | |
bestätigen, dass 34 bei den Protesten starben inklusive zweier Polizisten. | |
Die Mehrheit der Opfer sind Demonstrierende oder Passant:innen. Polizisten | |
sollen mindestens 20 getötet haben. Bewaffnete Zivilisten haben mindestens | |
5 Menschen getötet. | |
In den sozialen Medien kursierende [4][Videos] zeigen Zivilisten, die in | |
wohlhabenderen Vierteln von der Polizei ungehindert auf Demonstrierende | |
schießen. Dies legt nahe, dass sich paramilitärische Strukturen bilden. | |
HRW kritisiert auch, dass mehrfach Polizisten scharf auf eindeutig | |
unbewaffnete Demonstrierende geschossen hätten. Außerdem setzte die Polizei | |
sogenannte nicht letale Waffen so ein, dass sie töten können. HRW nennt | |
auch Augenverletzungen, sexuelle Gewalt und massenhafte illegale Festnahmen | |
durch die Polizei. | |
Präsident Duque hat nach langem Widerstand eine Polizeireform und eine | |
Modernisierung des Verteidigungsministeriums angekündigt, dem Polizei und | |
Armee unterstehen. | |
Oppositionspolitiker:innen und HRW fordern hingegen, dass die | |
Polizei künftig dem Innenministerium unterstellt und die berüchtigte | |
Anti-Aufstands-Einheit (Esmad) aufgelöst wird. Für Justizminister | |
[5][Wilson Ruiz] sind die Toten hingegen nur „Einzelfälle bei | |
Straßenraufereien“ und die Drahtzieher der Proteste organisierte kriminelle | |
Gruppen. Das klingt nach weiterer Kriminalisierung. | |
## Streikkomitee hat nur eine begrenzte Macht | |
Das nationale Streikkomitee hat vor einer Woche die Verhandlungen mit der | |
Regierung abgebrochen, weil diese eine getroffene Vorvereinbarung immer | |
noch nicht unterschrieben habe. Laut Regierung ist das Papier hingegen nur | |
ein Entwurf gewesen. | |
Tatsächlich hatte das [6][Komitee] eine schwierige Aufgabe. Es ist zwar | |
divers besetzt, vertritt aber längst nicht alle gesellschaftlichen | |
Strömungen. Die Hauptforderung der Regierung ist eine Beendigung der | |
Blockaden. Das kann das Komitee nur teilweise erreichen. Denn in Cali etwa | |
werden sie in den Vierteln selbst organisiert. Auch Blockaden indigener | |
Gemeinschaften lassen sich nicht von Bogotá aus abblasen. | |
Die Proteste haben Kolumbien laut Finanzministerium bislang [7][umgerechnet | |
2,6 Milliarden Euro] gekostet. Davon sind knapp die Hälfte | |
Vandalismusschäden an öffentlicher Infrastruktur. Die Blockaden hemmen den | |
Transport von Erdöl, Kohle, Kaffee und ließen Lebensmittelpreise ansteigen. | |
Trotz humanitärer Korridore sehen sie teils auch Befürworter:innen der | |
Proteste kritisch. | |
In Cali spricht die „Union der Widerstände“ der Jugend direkt mit | |
Vertretern des Rathauses und der Regionalregierung. Einige Barrikaden | |
wurden aufgehoben. Doch geht das Sterben weiter. Für Andrés sind diese | |
direkten Gespräche der richtige Weg. | |
14 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.rfi.fr/es/latinoam%C3%A9rica/20210611-colombia-se-compromete-co… | |
[2] /Protestwelle-in-Kolumbien/!5769364 | |
[3] /Aussenministerin-in-Kolumbien-tritt-ab/!5772299 | |
[4] https://www.bbc.com/mundo/noticias-america-latina-57311752.amp | |
[5] https://www.bbc.com/mundo/noticias-america-latina-57376689 | |
[6] /Proteste-gegen-Kolumbiens-Regierung/!5770706 | |
[7] https://www.larepublica.co/economia/las-perdidas-por-bloqueos-en-las-vias-n… | |
## AUTOREN | |
Katharina Wojczenko | |
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