# taz.de -- Pressefreiheit in Hongkong: Dystopische Vergeltung | |
> Jimmy Lai ging für Demokratie auf die Straße und nannte Chinas | |
> Präsidenten Xi einen Diktator. Nun wurde der Hongkonger Medienmogul | |
> verhaftet. | |
Bild: Jimmy Lai während eines Interviews am 1. Juli | |
Die meisten Geschäfts-Tycoons der Finanzmetropole blieben stumm gegenüber | |
der zunehmenden Machtübernahme von Chinas autoritärem Regime. Zu groß war | |
die Angst vor wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen. Jimmy Lai hingegen | |
sprach stets die Dinge aus, wie sie sind: Xi Jinping nannte er einen | |
Diktator, Hongkongs Protestbewegung unterstützte er mit voller | |
Leidenschaft. Mehr noch, er zog regelmäßig in erster Reihe mit den schwarz | |
gekleideten Aktivisten, die vom Alter her seine Enkelkinder sein könnten, | |
auf die Straße. | |
Nun wurde der Medienmogul [1][verhaftet], genau wie zwei seiner Söhne und | |
mehrere Mitarbeiter seiner Zeitung Apple Daily. Vorgeworfen wird ihm eine | |
mutmaßliche Verschwörung mit ausländischen Mächten – ein Strafbestand auf | |
Grundlage des umstrittenen Sicherheitsgesetzes, das Peking im Juli der | |
Bevölkerung Hongkongs [2][aufgezwungen hat]. Auf Twitter sind dystopische | |
Fotos der Razzia in Lais Büro zu sehen: Eine Hundertschaft uniformierter | |
Polizisten stürmt die Räumlichkeiten. | |
Amnesty International wertet Lais Festnahme als Angriff auf die | |
Pressefreiheit: „Die Anklage der Behörden – bislang ohne Erklärung – | |
verdeutlicht, wie das vage nationale Sicherheitsgesetz dazu verwendet | |
werden kann, um Personen mit unterschiedlichen politischen Ansichten zu | |
verfolgen“, sagt Asien-Pazifik-Direktor Nicholas Bequelin. | |
Von Chinas Staatsmedien wurde Jimmy Lai seit Jahren bereits durch den Kakao | |
gezogen – etwa als angeblicher Agent der CIA. Rund um die Uhr haben sie | |
einen Fotografen vor seiner Hongkonger Villa postiert, um mögliche Kontakte | |
aufzudecken. Dass Pekings Propagandaorgane dem 71-Jährigen derart viel | |
Aufmerksamkeit widmen, spricht für seine Bedeutung als führender Kopf des | |
prodemokratischen Lagers. | |
Geboren wurde er im südchinesischen Guangdong, als Zwölfjähriger floh Lai | |
auf einem Boot vor den Kommunisten nach Hongkong. Dort arbeitete er sich | |
als Arbeiter einer Textilfabrik nach oben, gründete schließlich das | |
erfolgreiche Modeunternehmen Giordano. Doch schon damals standen seine | |
politischen Ambitionen dem Geschäft im Weg: Nach dem Tiananmen-Massaker | |
1989, als Pekings Armee die Studentenbewegung blutig niederschlug, schrieb | |
Jimmy Lai immer wieder kritische Essays. Die Kommunistische Partei begann, | |
Giordano-Zentralen auf dem Festland zu schließen. | |
Lai verkaufte das Unternehmen und investierte ins Mediengeschäft. Seine | |
Tageszeitung Apple Daily führte er vom Schmuddelblatt mit | |
Prositutierteninseraten zum politischen Kampfblatt mit Boulevardanleihen. | |
Er wirbt dort offen für die Protestbewegung – sehr zum Ärger der | |
Kommunistischen Partei Pekings. Die hat längst mit ihrem Druck dafür | |
gesorgt, dass kein Hongkonger Unternehmen mehr bei ihm Werbungen schaltet, | |
was jährlich Einbußen von über 40 Millionen Dollar kostet. Dennoch ist | |
Apple Daily das Blatt mit der zweitgrößten Auflage. | |
## Das Gegenteil eines Intellektuellen | |
Jimmy Lai ist das Gegenteil eines Intellektuellen, er ist eher ein | |
pragmatischer Machertyp, der wohl auch in der Schweinefleischindustrie oder | |
als Immobilienspekulant Erfolg hätte. Doch trotz seines Unternehmertums | |
hält er nie mit seiner Meinung hinterm Berg: Das nationale | |
[3][Sicherheitsgesetz] von Peking bezeichnete er als „Todesstoß für | |
Hongkong“. Im Juni sagte er der Nachrichtenagentur AFP, dass er „auf das | |
Gefängnis vorbereitet“ sei. Schon zuvor war er mehrfach kurzzeitig | |
festgenommen worden. | |
Im Zuge von Lais Verhaftung wurden auch die Redaktionsräume seines | |
Verlagshauses Next Media durchsucht. Im stark zensierten chinesischen Netz | |
ging die Meldung über Jimmy Lais Verhaftung fast unter. Auf Weibo, einer | |
chinesischen Version von Facebook, wurde vor allem ein Kommentar des | |
Hongkonger Filmregisseurs Wong Jing euphorisch geteilt: „Endlich können wir | |
das neue Sicherheitsgesetz nutzen, um solche Verräter wie Jimmy Lai | |
abzustrafen.“ | |
Fast alle Kommentare sind negativer Natur: Als „Arschloch“ wird er von | |
chinesischen Nutzern bezeichnet oder als „Separatist“. Dabei sieht sich | |
Jimmy Lai selbst durch und durch als Chinese. Im Gegensatz zu der jungen | |
Generation an Demonstranten verspürt er nach wie vor ein starkes Interesse | |
an der Kultur seines Heimatlandes. Nun droht ihm „lebenslänglich“. | |
10 Aug 2020 | |
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[1] /Pressefreiheit-in-Hongkong/!5706068&s=hongkong/ | |
[2] /Proteste-gegen-Chinas-Sicherheitsgesetz/!5700680&s=hongkong/ | |
[3] /Abkommen-mit-Hongkong-gekuendigt/!5699902&s=sicherheitsgesetz/ | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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