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# taz.de -- Verhaftungen in Hongkong: 500 Polizisten gegen Pressefreiheit
> In Hongkong werden fünf leitende Angestellte der oppositionellen Zeitung
> Apple Daily verhaftet. Kritischer Journalismus wird immer schwieriger.
Bild: Polizisten im Redaktionsgebäude der oppositionellen Zeitung Apple Daily
Peking taz | Zuerst sperrten die über 500 Polizisten die öffentliche Straße
in Hongkong ab, dann stürmten sie das Redaktionsgebäude. Bei der
beispiellosen Razzia gegen die oppositionelle Tageszeitung Apple Daily
verhafteten Sicherheitskräfte insgesamt fünf führende Angestellte, darunter
auch Chefredakteur Ryan Law und Verlagschef Cheung Kim-hung. Zudem froren
sie Vermögen im Wert von umgerechnet knapp zwei Millionen Euro ein.
All das, so argumentieren die Autoritäten, im Namen des nationalen
Sicherheitsgesetzes – ein Gesetz wohlgemerkt, das die chinesische
Staatsführung im Sommer letzten Jahres der auf dem Papier autonomen
Sonderverwaltungszone aufgezwungen hatte.
Doch mit Hongkongs Freiheitsrechten ist es seither längst vorbei. Für das
politische Revolverblatt Apple Daily, dessen Gründer [1][Jimmy Lai] bereits
seit April eine 20-monatige Haftstrafe absitzt, ist es bereits die zweite
Razzia in diesem Jahr. Doch während der letzte Übergriff noch dystopische
Videoaufnahmen von einmarschierenden, schwer uniformierten
Sicherheitskräften produzierte, spielte sich diesmal der behördliche
Übergriff im Stillen ab: Den Journalisten wurde es verboten, die
Verhaftungswelle zu filmen.
John Lee, Staatssekretär für Sicherheit, gab am Vormittag Ortszeit während
einer Pressekonferenz die Hintergründe für die Verhaftungen bekannt.
Demnach sollen einige, bereits 2019 publizierte Artikel gegen das nationale
[2][Sicherheitsgesetz] verstoßen haben. Diese haben „ausländische Staaten
und Organisationen Munition gegeben, Sanktionen zu implementieren“, sagte
Lee. Er warnte zudem einerseits Journalisten, sich nicht erneut strafbar zu
machen, und andererseits die Bevölkerung, solche Inhalte nicht auf sozialen
Medien zu posten, „um sich nicht verdächtig zu machen“.
## Vage formulierte Regeln als taktisches Kalkül
In der neuen Rechtsordnung Hongkongs erfüllt kritische Berichterstattung
mittlerweile den Tatbestand der „Verschwörung mit ausländischen Kräften“.
Doch Staatssekretär Lee gab weder Auskünfte über die genauen Inhalte der
inkriminierten Artikel, noch löste er den offensichtlichen Widerspruch auf,
wie ein „nicht retroaktives“ Sicherheitsgesetz nun auch rückwirkend für d…
Jahr 2019 greifen kann.
Jene vage formulierten roten Linien sind natürlich taktisches Kalkül:
Hongkongs Medien sollen sich nie sicher fühlen, wo die Grenzen der
Meinungsfreiheit genau verlaufen. Dass Steve Lee während seiner
Pressekonferenz die abgeführten Apple Daily-Journalisten als „Kriminelle“
anstatt „Tatverdächtige“ bezeichnete, ließ zudem tiefe Einblicke in das
Rechtsverständnis des Regierungsbeamten zu.
„Diese Argumentation macht es schwer vorstellbar, wie irgendein
Medienunternehmen in Hongkong künftig frei agieren kann“, schreibt die
ehemalige Peking-Korrespondentin und Buchautorin Louisa Lim auf ihrem
Twitter-Account. Nicht wenige kritische Journalistinnen und Journalisten
haben in der Zwischenzeit die Sonderverwaltungszone verlassen oder die
Profession gewechselt.
In einer Stellungnahme zeigt sich auch die Gewerkschaft von „Next Media“,
Mutterkonzern von Apple Daily, „erzürnt“: „Journalismus ist kein
Verbrechen“. Die Verhaftungen hätten gezeigt, wie sehr sich die
Machtbefugnisse der Polizei im Zuge des nationalen Sicherheitsgesetzes
verschoben hätten. „Nur die Vermutung, dass einige Artikel aus der
Vergangenheit gegen das Sicherheitsgesetz verstoßen haben könnten, genügt,
um redaktionelle Mitarbeiter wie Kriminelle zu behandeln“. Dennoch hoffe
man, trotz der Umstände die morgige Printausgabe drucken zu lassen und am
Freitag wieder eine normale Redaktionsarbeit aufzunehmen.
## Vom Revolverblatt zur letzten kritischen Oppositionszeitung
Die 1995 gegründete Apple Daily war jahrelang vor allem für ihre
boulevardesken Sensationsnachrichten und halbnackten Frauen-Cover
berüchtigt, doch mit der Zeit hat sich das Blatt zur vielleicht letzten
kritischen Oppositionszeitung mit Rückgrat gemausert. Am 4. Juni, dem 32.
Jahrestag der blutigen Niederschlagung der Pekinger Studentenbewegung,
publizierte Apple Daily eine ganz Doppelseite über das Gedenken, welches
von den Behörden aus dem öffentlichen Raum längst verbannt wurde.
Jene journalistische Courage ist unweigerlich mit der Lebensgeschichte
Jimmy Lais verknüpft, dem Medienmogul, der in seiner Jugend als bitterarmer
Fabrikarbeiter aus Festlandchina nach Hongkong emigrierte, dort zunächst
Reichtum in der Kleiderbranche erwirtschaftete und später ins
Zeitungsgeschäft einstieg. Mittlerweile gilt Lai als schärfster
Peking-Kritiker, der bereits seit längerem bewusst in Kauf genommen hat,
was im Frühjahr letztlich eingetreten ist: der Gang ins Gefängnis.
Ein gängiger Ausspruch des 73-Jährigen lautete: „Wenn die Zeiten
auseinanderbrechen, ist es Zeit für uns, aufrecht zu stehen“. Jenes Zitat
schickte auch der nun verhaftete Chefredakteur Ryan Law am Mittwochabend in
einer Sammel-Mail an seiner Leser – als Antwort auf die Frage: „Ist das
nationale Sicherheitsgesetz die größte Krise für Apple Daily?“.
17 Jun 2021
## LINKS
[1] /Pressefreiheit-in-Hongkong/!5702048
[2] /China-neues-Sicherheitsgesetz/!5697794
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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