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# taz.de -- Podcast über Anschlag in München: Allein mit der Trauer
> Die „Süddeutsche Zeitung“ hat in Kooperation mit Spotify die sechsteilige
> Podcast-Reihe „Terror am OEZ“ produziert. Das Format bietet viel Raum für
> Gedanken.
Bild: Der 14-jährige Can Leyla wurde beim Anschlag im Münchner Olympia-Einkau…
Sibel Leyla klingt schonungslos, wenn sie über den Jahrestag des Attentats
spricht. Am 22. Juli wird sich der [1][rechtsextreme Anschlag am Münchner
Olympia-Einkaufszentrum (OEZ)] zum fünften Mal jähren. Ihr Sohn Can Leyla
wird dann seit fünf Jahren tot sein. Viel Aufmerksamkeit, so fürchtet sie,
wird es an dem Tag aber nicht geben. Schon in den letzten Jahren habe sich
schließlich kaum jemand für die Gedenkveranstaltungen interessiert.
„Ich frage mich: Wo sind die ganzen Vereine der Zivilgesellschaft, die
Sozialdemokraten, die antifaschistische Bewegung, an so einem Tag? Der
Platz müsste voll sein, denn sie sollten wissen: Was heute uns passiert
ist, wird morgen ihnen passieren“, sagt Leyla in der ersten Folge des neuen
Spotify-Podcasts über den Anschlag. Als Hinterbliebene, das wird schnell
klar, fühlt sie sich alleingelassen – schon seit dem Tatabend im Juli 2016.
„Terror am OEZ“ heißt die sechsteilige Podcast-Reihe, die die Süddeutsche
Zeitung in Kooperation mit Spotify produziert hat. Die ersten beiden Folgen
stehen seit Donnerstag online. Der Podcast schaut zurück auf die Tat des
18-jährigen David S., der vor fünf Jahren aus rassistischen Motiven neun
Münchner*innen erschoss. Viel Raum bekommen dabei die Perspektiven der
Angehörigen und anderer Betroffener der Tat. Vor allem wird nachgezeichnet,
wie viel Mühe und Zeit es kostete, bis die Morde endlich als rechtsextreme
Tat anerkannt wurden.
Zuvor galt das Attentat lange als Amoklauf ohne politisches Motiv,
ausgelöst durch die schwere psychische Erkrankung und persönliche
Kränkungen des Täters. Polizei und Landesregierung hielten drei Jahre lang
an dieser Deutung fest, obwohl ihnen erste Anhaltspunkt für das
rechtsextreme Motiv schon unmittelbar nach der Tat vorlagen.
## Platz für sperrige Elemente
Der Podcast macht klar, welche [2][Verletzungen diese Ignoranz bei den
Hinterbliebenen verursacht hat.] Er dokumentiert, wie ihre Beharrlichkeit –
durchaus auch mit Unterstützung aus der Münchner Zivilgesellschaft – doch
für ein spätes Umdenken gesorgt hat. Und nicht zuletzt fädelt er dabei
unaufgeregt die mehrschichtigen Ursachen der Tat auseinander. Dadurch
gewinnt er an Aktualität: Die Diskussion über moderne Tätertypen – zwischen
Ideologie, psychischer Störung und Verliererbiografie – wird [3][nach
Hanau,] [4][Halle,] zuletzt aber [5][auch Würzburg] schließlich bis heute
geführt.
Der inhaltliche Tiefgang des Podcasts ist die große positive Überraschung.
Es hätte nicht verwundert, wenn sich die Macher*innen der
Spotify-Funktionslogik unterwerfen: Die Spannung für keine Sekunde abfallen
lassen, dem Publikum nicht den kleinsten Anlass zum Ausschalten liefern. Es
ist dieser Logik geschuldet, dass sich etliche erfolgreiche
True-Crime-Podcasts am Leid und Schrecken realer Mordfälle geradezu
ergötzen. Hier ist das nicht der Fall.
Natürlich: Auch „Terror am OEZ“ arbeitet mit Spannungselementen. Ist ja
nicht verwerflich. Da ist der Obsthändler, der als Augenzeuge des Anschlags
packende O-Töne liefert. Da ist die minutiöse Nacherzählung der Panik, die
sich am Tatabend in der Stadt ausbreitete. Und da ist auch die persönliche
Betroffenheit, die die Journalistin Nabila Abdel Aziz, selbst Münchnerin
mit Migrationshintergrund, als Host in den Podcast einbringt.
Daneben bleibt trotzdem Platz für sperrige Elemente, die eben auf mehr
abzielen als auf eine möglichst hohe Durchhörer-Quote. Da darf auch mal der
O-Ton einer Angehörigen ungeschnitten auf Türkisch stehen, bevor die
Übersetzung folgt. Es ist Raum für einen längeren Einschub über die
Geschichte des Antiziganismus in Deutschland. Durchgehend gegendert wird
sowieso.
Manchmal wird es dabei aber vielleicht sogar zu sperrig. Sinti und Roma
bezeichnet der Podcast korrekt gegendert als „Sinti*zze und Rom*nja“,
Menschen mit Migrationshintergrund als „migrantisch gelesene“ Personen. Das
ist sprachsensibel und entspricht den aktuellen Konventionen progressivster
Kreise. Die Zielgruppe des Podcasts schränkt es aber ein: Ein paar
Vorkenntnisse muss man schon mitbringen, um mühelos durchzukommen. Für
maximale Aufmerksamkeit bei der Masse der Spotify-User reicht es damit wohl
nicht ganz.
8 Jul 2021
## LINKS
[1] /OEZ-Anschlag-in-Muenchen/!5636150
[2] /Attentat-in-Muenchen-2016/!5698832
[3] /Schwerpunkt-Rechter-Anschlag-in-Hanau/!t5563930
[4] /Juedische-Community-in-Sachsen-Anhalt/!5775232
[5] /Nach-Morden-von-Wuerzburg/!5779308
## AUTOREN
Tobias Schulze
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
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Lesestück Interview
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