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# taz.de -- Keine Ermittlungen zu Notruf in Hanau: „Mein Sohn könnte noch le…
> Beim Hanau-Anschlag war der Polizeinotruf kaum erreichbar.
> Ermittlungen dazu wird es aber nicht geben. Angehörige üben daran
> Kritik.
Bild: Fahrradfahrer:innen erinnern Mitte Juni an den rassistischen Anschlag von…
HANAU/BERLIN taz | Am Mittwoch will der hessische Landtag einen
Untersuchungsausschuss zum rassistischen Anschlag von Hanau am [1][19.
Februar 2020] einsetzen, initiiert von SPD, FDP und Linken. Die
Staatsanwaltschaft Hanau schlägt zu einer der offenen Fragen aber bereits
jetzt einen Pflock ein: Zu dem in der Tatnacht [2][kaum erreichbaren
Polizeinotruf] wird es keine Ermittlungen geben.
„Ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten von Angehörigen der
Polizeistation Hanau I wurde nicht festgestellt“, heißt es in einer
aktuellen Mitteilung. Die damals eingesetzten Beamten „handelten alle im
Rahmen ihrer dienstlichen Vorgaben“. Auch gebe es keine zwingende
Kausalität, dass früher angenommene Notrufe einen der neun Morde hätten
verhindern können.
Niculescu Păun, der Vater des damals erschossenen Vili Viorel Păun, hatte
Anzeige gegen die Polizei wegen fahrlässiger Tötung gestellt. Vili Viorel
Păun war in der Tatnacht am Hanauer Heumarkt, als der 43-jährige Tobias R.
dort [3][die ersten drei Menschen erschoss]. Der 22-Jährige versuchte, den
flüchtenden Attentäter mit seinem Auto zu blockieren, dann verfolgte er
ihn. Auf der Fahrt versuchte Păun fünfmal, die Polizei zu erreichen –
erfolglos.
Als Tobias R. schließlich am zweiten Tatort in Hanau-Kesselstadt anhielt,
erschoss er Păun in dessen Auto. Dann tötete er fünf weitere Menschen.
Niculescu Păun geht davon aus, dass sein Sohn [4][noch leben könnte], wenn
dieser die Polizei erreicht hätte – und die Beamten ihn angewiesen hätten,
die Verfolgung aufzugeben.
## Eine Notrufweiterleitung gab es nicht
Die Staatsanwaltschaft hatte nach der Anzeige Vorermittlungen eingeleitet,
die nun abgeschlossen sind. Dabei räumt die Behörde ein, dass das
Polizeipräsidium Südosthessen – anders als andere Präsidien – damals kei…
sogenannten „Notrufüberlauf“ besaß – parallel eingehende Anrufe also ni…
in andere Dienststellen umgeleitet wurden. Dies existiert erst seit Ende
Februar diesen Jahres.
In der Hanauer Wache blieben damit nur zwei Notrufplätze. Nach den Schüssen
am Heumarkt um 21.55 Uhr sei dort bereits eine Minute später ein Notruf
angenommen worden, wenige Sekunden später ein zweiter. Beide Leitungen
seien damit zunächst besetzt gewesen. Weitere Anrufe konnten vorerst nicht
angenommen werden, auch weil der erste Anruf über mehrere Minuten gehalten
wurde.
Vili Viorel Păun wiederum habe das erste Mal um 21.57 Uhr erfolglos
versucht, die Polizei zu erreichen. Auch zwei weitere Versuche kurz darauf
scheiterten, zweimal verwählte er sich. Laut Staatsanwaltschaft konnte
nicht geklärt werden, ob Păuns Anrufe technisch überhaupt bei der Polizei
ankamen – bei einer Funkzellenauswertung wurden sie nicht festgestellt. Bei
der Polizei angenommen wurden sie auch nicht.
## Staatsanwaltschaft macht Polizei keine Vorwürfe
Die Ermittler machen der Polizei hier aber keine Vorwürfe. Mit der
bestehenden Telefonanlage sei nichts anderes möglich gewesen, es hätten
sich auch ausreichend Beamte auf der Wache befunden. Und selbst wenn Vili
Viorel Păun diese erreicht hätte, sei es „nicht zwingend“, dass er sich v…
seiner Verfolgung hätte abbringen lassen. Denn der 22-Jährige sei ja schon
am Heumarkt beschossen worden – und dennoch dem Attentäter gefolgt. Er sei
sich also „der Gefährlichkeit seines Tuns bewusst gewesen“.
Auch die anderen Todesfälle am zweiten Tatort in Kesselstadt hätten nicht
verhindert werden können, wenn Păuns Anrufe die Polizei erreicht hätten,
glaubt die Staatsanwaltschaft. Denn dort sei Păun bereits um genau 22 Uhr
erschossen worden, also drei Minuten nach seinem ersten Anrufversuch. Die
anderen fünf Opfer folgten kurz danach. Innerhalb von drei Minuten wäre ein
Anrücken der Polizei aber „nicht zu bewerkstelligen gewesen“, so die
Staatsanwaltschaft. Dennoch seien die ersten Beamten nach wenigen Minuten
an den jeweiligen Tatorten gewesen, „durchaus zügig“.
## „Keiner will die Verantwortung übernehmen“
In einer Stellungnahme kritisierte Niculescu Păun die abgelehnten
Ermittlungen: “Wenn mein Sohn den Notruf hätte erreichen können, dann wäre
er noch am Leben. Daran ändert sich auch nichts mit dem langen Papier von
der Staatsanwaltschaft. Das sagt nur, dass hier wieder mal keiner die
Verantwortung übernehmen will.“
Die Hanauer [5][Initiative 19. Februar], mit der Angehörige und Bekannte an
den Anschlag erinnern, nennt es zudem „beschämend“, dass die
Staatsanwaltschaft „durchklingen“ lasse, dass Păun selbst Schuld daran war,
Opfer geworden zu sein. Dieser habe vielmehr durch sein „mutiges Verhalten“
wohl weitere Opfer verhindert.
## Posthum mit Medaille für Zivilcourage geehrt
Tatsächlich wurde Vili Viorel Păun vor gut zwei Wochen vom hessischen
Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) posthum die Medaille für
Zivilcourage verliehen – überreicht an seinen Vater Niculescu Păun. Der
22-Jährige habe sich „vollkommen selbstlos dafür eingesetzt, den Attentäter
von Hanau zu stoppen, um seine Mitmenschen zu schützen“, erklärte Bouffier
dabei. „Seinen entschlossenen Einsatz musste er mit seinem Leben bezahlen.“
Der Untersuchungsausschuss zum Hanau-Anschlag will trotz der abgelehnten
Ermittlungen auch nochmal der Frage des unterbesetzten Notrufs nachgehen.
Man wolle „das Handeln und mögliche Unterlassen der Hessischen
Landesregierung und ihrer nachgeordneten Behörden aufklären“, heißt es im
Einsetzungsantrag von SPD, FDP und Linken. Dazu gehörten neben dem Notruf
auch die Fragen, warum Tobias R. trotz psychischer Auffälligkeiten Waffen
besitzen durfte oder warum es Stunden dauerte, bis das umstellte Täterhaus
gestürmt wurde.
6 Jul 2021
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## AUTOREN
Konrad Litschko
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