# taz.de -- Parteitag der Berliner Grünen: SPD? Welche SPD?! | |
> Die Grünen wählen Bettina Jarasch souverän an die Spitze ihrer | |
> Kandidatenliste und verschärfen den Ton gegen ihren | |
> Noch-Koalitionspartner. | |
Bild: Fast schon sozialistische Zustimmung erhält Bettina Jarasch. Da gehört … | |
BERLIN taz | Käme man an diesem Samstag vom Mars, wüsste nichts von Berlin | |
und guckte sich den Grünen-Landesparteitag an, so würde man kaum glauben, | |
dass diese Grünen [1][derzeit mit der SPD koalieren]. Die fast einstimmige | |
Wahl von Bettina Jarasch an die Spitze ihrer Kandidatenliste für die | |
Abgeordnetenhauswahl geht nämlich einher mit viel Kritik am zeitgleich | |
digital tagenden Regierungspartner. | |
Im Tagungssaal in einem Weddinger Hotel, wo die rund 135 Grünen-Delegierten | |
getestet und mit Mundschutz zusammen sitzen, stärkt eine am Vortag | |
veröffentlichte Umfrage das ohnehin nicht geringe Selbstbewusstsein: Laut | |
Insa-Befragung liegt die Partei bei 25 Prozent und damit höher denn je bei | |
diesem Forschungsinstitut, weit vor SPD und CDU mit 19 beziehungsweise 16 | |
Prozent. Parteichefin Nina Stahr spricht gar vom „weltbesten grünen | |
Landesverband“. Der habe mit 11.000 nicht nur „so viele Mitglieder wie noch | |
nie und die besten Konzepte – wir haben auch die besten Leute.“ | |
De facto war [2][Jarasch] schon seit Dezember Spitzenkandidatin. 96,6 | |
Prozent der Delegierten stimmten damals dafür, dass die 52-Jährige sie in | |
die Abgeordnetenhauswahl und anschließend ins Rote Rathaus führt. Nun | |
sorgen sie mit noch besserem Ergebnis – exakt 97,9 Prozent – dafür, dass | |
sie auch auf Platz 1 der landesweiten Grünen-Kandidatenliste und damit am | |
26. September in der ganzen Stadt auf dem Wahlzettel steht (siehe Kasten). | |
Die Kritik am (noch) großen Koalitionspartner SPD fällt breit aus. | |
Fraktionschefin Antje Kapek, die hinter Jarasch auf Listenplatz zwei | |
gewählt wird, kritisiert Pläne für die Teilbebauung des Tempelhofer Felds, | |
Bildungsexpertin Stefanie Remlinger wirft der SPD-Schulsenatorin fehlende | |
Zusammenarbeit vor, und Stefan Ziller spricht von „Führungsversagen der | |
roten Senatskanzlei“: Berlin habe „mehr verdient als den destruktiven | |
Regierungsstil der SPD“. | |
Jarasch, ohnehin im Auftreten eher ausgleichend, attackiert nicht direkt | |
die Sozialdemokraten, mit denen sie ja nach der Wahl im September als erste | |
grüne Regierende Bürgermeisterin weiter machen will. Aber sie geht die | |
Autopolitik der SPD an. „Lasst uns [3][die A100 abspecken]“, sagt Jarasch. | |
„Die Mittel aus dem Bundesverkehrswegeplan können genauso gut für einen | |
Rückbau eingesetzt werden.“ | |
Die grüne Spitzenkandidatin hatte das schon beim jüngsten Parteitag vor | |
fünf Wochen gefordert – die SPD hingegen macht bei ihrem parallel laufenden | |
Treffen klar, dass sie das anders sieht. | |
Jarasch wendet sich allerdings nicht grundsätzlich gegen den Bau neuer | |
Straßen: Die sogenannte TVO zur Entlastung des Berliner Ostens und | |
Südostens soll auch mit ihr als Regierungschefin kommen, ergänzt durch eine | |
parallele Schienentrasse. | |
Die künftige Abgeordnetenhausfraktion, die das alles beschließen müsste, | |
nimmt an diesem Samstag Gestalt an. 27 Sitze hat die Partei derzeit im | |
Parlament, Folge von 15,2 Prozent bei der letzten Berlin-Wahl 2016. Die 25 | |
Prozent in der aktuellen Umfrage aber könnten mehr als 40 Grüne ins | |
Parlament bringen. In jedem Fall dabei sein wird die bisherige Führung um | |
die Fraktionschefinnen Kapek und Silke Gebel sowie den parlamentarischen | |
Geschäftsführer Daniel Wesener: Sie stehen auf den Listenplätzen 2, 3 und | |
5. | |
Stark vertreten sind – anders als bei der deshalb harsch kritisierten | |
Berliner Kandidatenliste der Grünen für die Bundestagswahl – Männer und | |
Frauen mit Migrationshintergrund. Außerdem werden absehbar anders als | |
aktuell Mitglieder aus allen zwölf Stadtbezirken im Parlament sitzen. Dazu | |
gehört auch die jüngste Kandidatin, die im Jahr 2000 und damit erst in | |
diesem Jahrhundert geborene Reinickendorfer Kreisvorsitzende Klara | |
Schedlich auf Platz 7. | |
Aber auch Politik-Routiniers werden sehr sicher neu in die künftige | |
Fraktion kommen, allen voran die Noch-Bürgermeisterin von | |
Friedrichshain-Kreuzberg Monika Herrmann, die auf Platz 19 steht und zudem | |
in ihrem Bezirk direkt antritt. | |
Die Namen der gegenwärtigen Senatsmitglieder Ramona Pop, Regine Günther und | |
Dirk Behrendt stehen nicht auf der Liste. Pop deutete aber bei einer | |
Pressekonferenz am Freitag an, dass sie weiter dem Senat angehören könnte: | |
Sie beschrieb die jetzige rot-rot-grüne Landesregierung als WG und | |
bedauerte, dass der auf die Bundesebene wechselnde Regierungschef Michael | |
Müller (SPD) da ausziehen wolle – was nahe legt, dass sie weiter Teil | |
dieser Senats-WG sein möchte. Das könnte auch ein Element jener Einigung | |
gewesen sein, die zur überraschenden Nominierung von Bettina Jarasch als | |
Spitzenkandidatin im Oktober 2020 führte: Zuvor galten allein Pop und | |
Fraktionschefin Kapek als mögliche Spitzenkandidatinnen. | |
Viel ist beim Parteitag an diesem Samstag von Gleichberechtigung die Rede, | |
aber wie wiederholt bei Grünen-Treffen gilt das nicht für Männer. Als | |
zwischenzeitlich vor einem Wahldurchgang nur ein Mann, nicht aber eine Frau | |
die Chance nutzen will, eine Frage zur Kandidatur zu stellen, geht das | |
nicht: Eine Quotierung auch bei Fragen heißt bei den Grünen, dass kein Mann | |
ans Mikro darf, wenn nicht vorher eine Frau gefragt hat. Eine Ausnahme wäre | |
mit Zustimmung einer Mehrheit der weiblichen Delegierten möglich. Doch die | |
lehnen das ab, die Frage bleibt ungehört. | |
## Auch die Parteichefs zieht es in die Parlamente | |
Erstmals dem Abgeordnetenhaus wird der bisherige Landesvorsitzende Werner | |
Graf angehören, den die Delegierten auf Listenplatz 6 wählen. Weil die | |
Grünen beim Parteitag im März schon Grafs Co-Vorsitzende Stahr auf einen | |
aussichtsreichen Listenplatz für die Bundestagswahl setzten, braucht der | |
Landesverband ab Herbst eine neue Doppelspitze: Die Vorschriften der Partei | |
schreiben eine Trennung von Amt und Abgeordnetenmandat vor. Und das heißt: | |
Nach der Wahl ist bei den Grünen vor der Wahl. | |
25 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-um-Wohnen-und-Verkehrswende/!5768457 | |
[2] /Gruene-Spitzenkandidatin-zu-Mietendeckel/!5760589 | |
[3] /Geforderter-Rueckbau-der-A100/!5761862 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
## TAGS | |
Grüne Berlin | |
Abgeordnetenhauswahl 2021 | |
Landesparteitag | |
Bettina Jarasch | |
Abgeordnetenhaus | |
Werner Graf | |
Abgeordnetenhauswahl 2021 | |
Katina Schubert | |
Bundesverfassungsgericht | |
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
Grüne Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neuer Fraktionschef der Berliner Grünen: Graf kommt doch noch zum Zug | |
Die Fraktion wählt Werner Graf zu ihrem Co-Vorsitzenden. Er folgt auf Antje | |
Kapek, die überraschend zurück getreten war. Silke Gebel bleibt im Amt. | |
Kampf ums Rote Rathaus: Die Würfel sind gefallen | |
Parteitage von SPD, Linkspartei und Grünen legen sich auf die | |
Spitzenkandidaten fest. Franziska Giffey, Klaus Lederer und Bettina Jarasch | |
im Rennen. | |
Debatte um Wohnen und Verkehrswende: Rot-rot-grüne Sollbruchstellen | |
Eine Debatte zwischen Jarasch, Schubert und Giffey läutet in Berlin läutet | |
den Wahlkampf ein: Bei Wohnen und Mobilität treten Brüche zutage. | |
Parlament debattiert zu Gerichtsurteil: Ohne Deckel immer feste druff | |
Rot-Rot-Grün und die Opposition teilen im Abgeordnetenhaus bei | |
Mietendeckel-Debatte verbal kräftig gegeneinander aus. | |
Grüne Spitzenkandidatin zu Mietendeckel: „Kein Grund für Häme“ | |
Bettina Jarasch fordert nach der Mietendeckel-Entscheidung ein Signal der | |
Vermieter. Diese müssten ihrer sozialen Verantwortung nachkommen. | |
Geforderter Rückbau der A100: Berlin kann keinen Abriss | |
Am 16. Bauabschnitt der A100 kann das Land juristisch nicht mehr rütteln, | |
sagt ein Planungsrechtler. |