| # taz.de -- Neues Album von Moodymann: Zwischen Hölle und Halleluja | |
| > Der Detroiter Produzent Moodymann überzeugt mit seinem neuen Album „Taken | |
| > Away“. Er bringt afroamerikanisches Musikerbe in eine | |
| > Dancefloor-Gegenwart. | |
| Bild: Meister der Moderne:Ausschnitt des Moodymann-Covergemäldes von Richard W… | |
| Es liegt immer etwas im Argen in der Musik von Moodymann. Aber deshalb | |
| allein ist sie nicht cool. Sie ist cool, weil sie dem Coolen das | |
| Schmerzende und diesem Schmerz den Soul gegenüberstellt. Und weil Moodymann | |
| diese Gegensätze nicht einfach in Wohlgefallen auflöst, sondern vorantreibt | |
| und in jeder Sekunde dabei glänzt. Vor Kurzem hat [1][Moodymann], | |
| bürgerlich Kenny Dixon Jr., ein neues Album veröffentlicht: Es heißt „Taken | |
| Away“ und zählt genauso viele Tracks, wie Moodymanns Heimatstadt Detroit | |
| von Stadtautobahnen durchschnitten wird: zehn. | |
| Da ist der bluesig-konzise Auftakt „Do Wrong“, bei dem der Vortragende mit | |
| schläfriger Stimme einer Verflossenen noch ein paar Takte sagt: Sie sei | |
| immer willkommen gewesen, bis sie anfing, nach jemand anderem zu riechen. | |
| Da reicht es ihm: „I even wrote you this song / You still wanna do wrong“. | |
| Der Protagonist leidet, aber er akzeptiert sein Schicksal und reagiert eben | |
| nicht wie ein verwundetes Männchen mit häuslicher Gewalt: „I guess the | |
| devil’s at work / You got me back to church“. | |
| Die kreative Ader von Moodymann leidet nämlich keineswegs: Er setzt sich | |
| munter in den Zwiespalt von Hölle und Halleluja, umtänzelt das entspannte | |
| Lamentieren mit subtilen Drohungen und bettet die kurz aufwiehernde | |
| [2][Gospel-Orgel] von „Do Wrong“ auf ein Southernsoul-Seidenlaken. Wie er | |
| vom klassischen Break-up-Song aus der Großstadt im Norden hin zur | |
| göttlichen Erleuchtung in der Kirche auf dem Land switcht, wo die Orgel | |
| herkommt, das macht ihm keiner nach. | |
| ## Stoff für eine abendfüllende Story | |
| Wir sind erst zwei Minuten in einem Drama und es hat schon Stoff für eine | |
| abendfüllende Story, die Moodymann mit Bedacht anreichert. So wie nur er | |
| den zeitgenössischen elektronischen Dancefloorsound von House und Techno | |
| mit älteren musikalischen Traditionen verschaltet, dass die Vergangenheit | |
| gegenwärtig ist und die Gegenwart vibriert. Plötzlich kommt der Blues doch | |
| wieder zurück in die Stadt. | |
| Für „Taken Away“ hat Moodymann weitgehend auf Samples verzichtet, es ist | |
| in seinem Œuvre das bis jetzt am süffigsten arrangierte Album, in dem | |
| jedes Gefühl an seinem Platz sitzt, jede Eingebung genau kalibriert wird, | |
| von eleganten Beats und exakter Instrumentierung. Und wo illustre Gäste wie | |
| [3][Chicago-House-Pionier Jamie Principle] exakt für ihren jeweiligen | |
| Beitrag gecastet sind. Principle singt „I need another _“, einen | |
| britzeligen Track, der die Eurodisco-Geister von Detroit beschwört. Und so | |
| spinnt Moodymann den Referenzrahmen von Song zu Song weiter, es bleibt | |
| immer spannend, weil man nie genau weiß, wohin ihn die Reise verschlägt. | |
| In dem unheimlichen, leicht technoiden fast neunminütigen Titeltrack „Taken | |
| Away“, von der Sängerin Diviniti gesungen, fehlt der Protagonist. | |
| Vielleicht wurde er von der Polizei geholt, man hört nur eine Sirene in der | |
| Ferne aufheulen. Oder ist es eine Anspielung auf die haarige Situation, in | |
| die Kenny Dixon Jr. im Januar 2019 geriet, als er auf seinem eigenen | |
| Grundstück in Detroit von der Polizei kontrolliert wurde, weil sie ihn für | |
| einen Einbrecher hielt. Er weigerte sich, aus seinem Auto zu steigen. | |
| Die Sache zog Kreise, weil in den Sozialen Medien ein Film der Situation | |
| hochgeladen wurde, in dem Kenny Dixon Jr und ein Polizist zu sehen sind. „I | |
| don’t wanna be sad“ singt Diviniti in „Taken Away“. Der Frieden in dies… | |
| makellosen R&B-Song mit tödlichem Dancefloor-Punch wird also empfindlich | |
| gestört. Fast erleichternd führt dann „Let me in“ weg von dem Drama. Nun | |
| singt wieder Moodyman, diesmal im Duett mit Sky Covington. Öfter gibt es | |
| auf dem Album Momente der Erleichterung, um die Seelen der HörerInnen zum | |
| Baumeln zu bringen. | |
| Über sich und seine Musik spricht Moodymann nicht, jedenfalls nicht mit der | |
| Presse. Sein Studio befindet sich in einem großen Haus am Grand Boulevard | |
| mitten in Detroit, dessen Fenster teils mit lila Vorhängen, teils mit | |
| Bildern von großen afroamerikanischen Künstlerinnen verhängt sind: Nina | |
| Simone, George Clinton … Auskunftsfreudig wird er hingegen, wenn es um | |
| Rollerblades und die von ihm veranstaltete Rollerdisco „Soul Skates“ geht. | |
| Er sagt sogar, die Musik mache er nur aus Liebe zum Skaten. | |
| „I’m already Hi“ auf dem neuen Album ist seine Ode an den Abend, den er im | |
| [4][„Northland Roller Rink“] in Detroit veranstaltet. Dort frönen die | |
| tanzenden SkaterInnen dem Halfstep, einem der fünf wichtigen Tanzfiguren, | |
| bei dem sich die Beine vertikal kreuzen und durch die Vorwärtsbewegung der | |
| Skates ein fantastischer Flow entsteht. Selbst „Do Wrong“ wird zum Finale | |
| noch mal in einem Skate-Edit aufgebohrt, bei dem klar wird, dass bei | |
| Moodymann die Liebe zum Detail aus vielen unterschiedlichen Quellen | |
| gespeist wird. „Taken Away“ ist ein Meisterwerk, nicht mehr und nicht | |
| weniger. | |
| 11 Jun 2020 | |
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| [4] https://www.youtube.com/watch?v=TQ-B3FdB4Zw | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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