# taz.de -- Ausstellung von Michael E. Smith in Wien: Abgesang der Zivilisation | |
> Das Horrorkabinett von Michael E. Smith ist in einer Ausstellung der | |
> Wiener Secession zu sehen. Seine Objekte entwickeln große Symbolkraft. | |
Bild: Unheimliche Dingwelt: Installationsansicht von Michael E. Smith in der Wi… | |
Vor knapp 120 Jahren entstand die [1][Wiener Secession] als | |
Ausstellungsgebäude für zeitgenössische Kunst. Damals malte Gustav Klimt | |
seinen Beethovenfries an die Wand im Kellergeschoss des Jugendstilgebäudes. | |
[2][Heute hat dort der US-Künstler Michael E. Smith seine installativen | |
Objekte] als eine Art episches Theater in den verschiedenen Räumen der | |
Secession inszeniert, um den Gefühlszustand der Welt zu vermessen. Der | |
Absolvent der Bildhauer-Klasse von Jessica Stockholder an der Yale | |
University arbeitet seit 2008 daran, den Skulpturenbegriff neu zu | |
definieren. | |
Steigt man im Zentralbau der Secession die Treppen hinunter zu Klimts | |
Beethovenfries, kommt man auf halbem Wege ins Stocken. Eine | |
Nappaleder-Jacke im Stil der 1990er Jahre – über Eck an die Wand fixiert – | |
wirkt wie ein Störfaktor im White Cube des Zwischengeschosses. Was soll | |
das? Das Leder sichtbar. Glatt, speckig, grau meliert, ihr Futter ist halb | |
herausgetrennt. Ein Symbol jener Generation, der US-Künstler Michael E. | |
Smith (geboren 1977) angehört. Der Lärm großer Gebläse macht neugierig und | |
so geht man auf dem nicht ausgeschilderten Pfad seiner Inszenierung weiter. | |
Wie bereits zuvor in seinen großen Ausstellungen im [3][Kunstverein | |
Hannover], in der Kunsthalle Basel und im Ludwig Forum in Aachen eröffnen | |
seine Installationen einen Erfahrungsraum, der weit mehr als nur unseren | |
Sehsinn anspricht. Geräusche und Licht gehören für ihn ebenso dazu. Jetzt, | |
dem Lärm entgegen, gelangt man in einen dunklen Raum. Mittig platziert ein | |
von innen ausgeleuchteter Basketball, dessen zwei Augenaussparungen mit | |
rotem Kunststoffglas hinterlegt sind. | |
## Monster und Zombies | |
Seine schwarze Rillen beherrschen die Oberflächenstruktur. Das Objekt wirkt | |
wie ein Gesicht mit Augen und Mund – Halloween lässt grüßen. Smith holt ein | |
klassisches Sujet traditioneller Comics zu Monster und Zombies in die | |
Ausstellung. Dadurch wirkt das am Anfang über Eck fixierte Nappaleder nun | |
wie ein zur Schau gestellter Skalp. | |
Im nächsten Raum finden sich im Tageslicht endlich drei große Windgebläse | |
mit meterlangen im Raum verteilten Kabeln. Der Lärm der Generatoren ist | |
ohrenbetäubend und wirkt wie ein Beben, dass in die benachbarten Räume | |
ungut ausstrahlt. Man möchte fliehen, wird jedoch abgelenkt. Denn die | |
Brandschutztüren zu diesem Raum bewegen sich einen Spaltbreit und lassen | |
die Metalldeckel von an den Türen angebrachten Brotkästen klappern. | |
Versucht man das Geschehen zu deuten, liegt der Gedanke an eine Geisterbahn | |
liegt nicht fern. Auf dem weiteren Parcours gelangt man dann in einen | |
schlauchförmigen Raum. Er ist wieder abgedunkelt, nur über die Länge eines | |
schmalen Fensterbands an der Außenwand fällt ein Lichtkegel auf den Boden. | |
Erhellt wird hier das von Bob Kane im Jahr 1939 kreierte Batman-Symbol. Der | |
Künstler hat es halbiert und es ist aus Stängeln von Kürbissen gelegt. Also | |
ein Symbol für einen halben Comic-Helden? | |
Während in der Batman-Geschichte der Scheinwerfer mit dem Logo gen Himmel | |
gerichtet ist, um die Hilfe des Helden zu bemühen, dreht der Künstler dies | |
um. Der Lichtkegel beleuchtet die Stängel und diese werden zum Symbol der | |
Abwesenheit des eigentlichen Objekts. Überhaupt spiegelt dieser | |
Secessions-Raum Smith’ politisch, seine sozialen Erfahrungen. Mit der | |
Metapher einer gesetzlosen Stadt wie Gotham bringt Smith seine Herkunft aus | |
Detroit ein. | |
## Urban Farming in einer Industriestadt | |
In seiner Heimatstadt hat der Künstler prototypisch den Niedergang der | |
US-amerikanischen Industrie und Arbeiterschicht miterlebt. Zugleich wurde | |
er in diesem Umfeld aber auch Bestandteil einer vielfältigen Musik- und | |
Alternativkulturszene. Auch Urban Farming mit Kürbissen findet heute auf | |
den Brachflächen entwohnter Stadtviertel im historische Zentrum Detroits | |
statt. Und so erzählen – jenseits von Hero-Turtles – auch die Olympischen | |
Ringe aus dem Panzer von Schildkröten mit einem weiteren Raumobjekt vom | |
Abgesang der Zivilisation. | |
Der heute in Rhode Island nahe New York lebende Künstler bemächtigt sich | |
also in seiner Inszenierung starker Symbole, wie Halloween, Batman und | |
Olympia. Sinnvoll auch für die Kunst in einer Welt, in der wir durch | |
Piktogramme und Logos geleitet werden. Seine mit großer Symbolkraft | |
ausgestatteten Objekte reagieren dabei auf ökologische Krisen wie die in | |
den Meeren und kapitalistisches Konsumverhalten wie im Fall der Kürbisse, | |
die nicht mehr Grundnahrungsmittel, sondern Accessoire sind und bei denen | |
die Brotkästen leer bleiben. | |
## Dialog mit Alltagsgegenständen | |
Schreitet man weiter, überstrahlt der von Neonröhren grell erleuchtete | |
nächste Raum den Gesamteindruck. Schmucklos wirkt er wie ein Flur, der | |
nichts für die Betrachter bereitzuhalten scheint. Es fällt kaum auf, dass | |
hier ein auf beiden Seiten hängender Vorhang entfernt wurde. Nur die | |
Hängevorrichtung deutet darauf hin. Zwei Besprechungstische stehen wie | |
beiläufig eingerichtet mit einem Stapel Stühle fein säuberlich auf einer | |
fahrbaren Holzplatte in der Ecke. Über den einsam im Raum stehenden Stuhl, | |
über dem das Licht ausgeschaltet ist, kommt man nun doch in den Dialog mit | |
der Installation der beiläufig im Raum positionierten Alltagsgegenstände, | |
bevor man den Raum hinter sich lässt und ins Grafik-Kabinett der Secession | |
hinaufsteigt. | |
Die Tür ist geöffnet und noch auf der Treppe fühlt man sich schon von einem | |
auf dem Boden liegenden menschlichen Schädel beobachtet, der Richtung der | |
Tür blickt. In seinen Augenhöhlen hat der Künstler zwei Flaschenkürbisse | |
gelegt. Mit dem Schädel als Memento Mori betreten Gewalt, Tod und soziale | |
Ungerechtigkeit die Bühne des Kabinetts. Um die Bildsprache des Comics zu | |
bemühen, assoziiert der Besucher hier die Action-Figur des | |
Ghostbuster-Skeletts aus den Achtzigern. | |
Gegenüber den aus den Augenhöhlen quellenden Augäpfeln wird sie den | |
Betrachtern zum Objekt des Entsetzens. Und ist dem Schädel das Entsetzen | |
quasi ins Gesicht geschrieben, stehen dann dem zweiten Objekt, einer aus | |
Rosshaar gefertigten Wandskulptur, sprichwörtlich die Haare zu Berge. | |
Mit der Inszenierung einer wesenhaften und unheimlichen Dingwelt erzeugt | |
der Künstler eine Heiterkeit, bei der einem freilich das Lachen im Halse | |
stecken bleibt. Gleichzeitig arrangiert er ein atmosphärisch dichtes Feld | |
des epischen Theaters. Katharsis durch Kunst tritt hinter eine Aufführung | |
zurück, die die Betrachter aktivieren will. Sie sollen erkennen, dass ihre | |
politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Situation veränderbar | |
ist. | |
Dabei wird die Ausstellung „Michael E. Smith“ in Gänze nicht nur von den | |
dominanten Medien der US-Gesellschaft umgesetzt, sondern liefert im Sinne | |
der politischen Aufklärung auch den Spiegel für ein | |
gesamtgesellschaftliches Phänomen gleich mit. | |
17 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.secession.at/ | |
[2] https://www.secession.at/exhibition/michael-e-smith/ | |
[3] https://www.kunstverein-hannover.de/ | |
## AUTOREN | |
Sebastian Strenger | |
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