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# taz.de -- Ausstellungen zur Ringstraßenzeit Wiens: Prachtboulevard und Elend
> Vor 150 Jahren wurde in Wien die Ringstraße eingeweiht. Damit zeigte das
> österreichische Bürgertum auch seine neue Macht.
Bild: Wien modernisiert: So sah der Opernring mit der Hofoper um1890 aus.
„Ringstraßenzeit“, das klingt nach Aufbruch, kühnen architektonischen
Leistungen und dem Wachsen Wiens zu einer der bedeutendsten Städte der
Zeit. In keiner anderen Großstadt ist eine Ära nach einer Straße benannt.
Unter der „Ringstraßenzeit“ kann sich, ebenso wie unter dem eklektischen
„Ringstraßenstil“, jeder etwas vorstellen. Der Prachtboulevard, der sich
halbkreisförmig um die historische Innenstadt schließt oder eigentlich mit
dem Donaukanal ein unregelmäßiges Hexagon bildet, wird dieses Jahr 150
Jahre alt.
Erst 1857 hatte Kaiser Franz Joseph den Abriss der Stadtmauern verfügt.
„Später als die anderen westeuropäischen Großstädte sprengte Wien die
beengenden Fesseln der Stadtmauern, wodurch aufgestaute Energien
durchbrachen“, schreibt Wolfgang Kos, Direktor des Wien Museums, in seinem
Vorwort zum Katalog der Ausstellung „Der Ring. Pionierjahre einer
Prachtstraße“.
Mit einem Schlag wurde das die Mauer umgebende Glacis, eine Grünfläche von
500 Metern Breite, zur Bebauung frei. Die damaligen Vorstellungen einer
modernen Stadt und bahnbrechender Architektur konnten so umgesetzt werden.
Und der sonst als besonders konservativ bekannte Monarch, damals zarte 27
Jahre alt, zeigte sich als weltoffener Pionier, der internationale
Wettbewerbe ausschreiben ließ und keine Kosten scheute, die besten
Architekten der Zeit nach Wien zu holen.
Trotz der kurzen Ausschreibungsfrist von nur sechs Monaten wurden 85
Entwürfe eingereicht, öffentlich ausgestellt und von einer 19-köpfigen Jury
bewertet. „In städtebaulicher und architektonischer Hinsicht herrschte das
Experimentelle vor dem Abgesicherten, und von der ästhetischen
Saturiertheit der späten Gründerzeit war noch nichts zu bemerken“, schreibt
der Ausstellungskurator Andreas Niehaus.
Modern war auch die Finanzierung des Vorhabens durch eine Art frühe
Private-Public-Partnership. Denn private Bauherren – alte Adelshäuser
ebenso wie neureiche Bürgerliche – wurden eingeladen, ihre Palais in diesem
Stadterweiterungsareal zu errichten. Aus dem Erlös der Bauparzellen, die in
einen Stadterneuerungsfonds flossen, finanzierte man dann die öffentlichen
Bauten wie die Oper, das Burgtheater oder die Museen.
Die Pläne für ein monumentales Kaiserforum wurden dennoch aus Kostengründen
aufgegeben. Das großzügige Aussparen von Freiflächen wäre „unter der häu…
von Investoreninteressen diktierten heutigen Stadtplanung“ in dieser
Qualität wohl kaum mehr möglich, meint Niehaus in einem Seitenhieb auf die
profitorientierte Stadtplanung der Stadt Wien.
## Verfall der bürgerlichen Gesellschaft
Dass neben herrschaftlichen Palais und stattlichen Villen auch Zinshäuser
entstehen sollten, fanden manche skandalös. Zwei renommierte Architekten
sahen in einer Streitschrift einen „sittlichen und moralischen Verfall“ der
bürgerlichen Gesellschaft heraufdämmern und erinnerten an die
mehrgeschossigen „insulae“ im antiken Rom, in denen „die verschiedenen
Familien der Freigelassenen, der Fremden, der herabgekommenen Bürger, der
Geschäftsleute und Speculanten, der Grisetten und Comödianten“ gehaust
hätten.
Diese reaktionäre Position, wonach nur Besitz „Triebfeder zur Arbeit und
zur bürgerlichen Tugend“ sein könne, blieb nicht unwidersprochen und es
entstanden Mietshäuser, wie der Heinrichhof – für den Architekten Wilhelm
Doderer „der großartigste Privatbau von Neu-Wien“.
Dass die Ringstraße schon 1865 eröffnet wurde, zeugt von der Schnelligkeit,
mit der damals gebaut wurde. Fertig war zwar nur der Bereich vom Burgtor
bis zum ehemaligen Stubentor, die heute bekannten Prachtbauten wie
Parlament, Burgtheater, Rathaus und Universität folgten erst später und die
Ringstraße blieb noch 50 Jahre lang eine Großbaustelle, doch die Weichen
waren gestellt.
## Nabel der Welt
Das folgende Jahr brachte die militärische Niederlage gegen Preußen bei
Königgrätz und damit den Abstieg Österreichs als Großmacht. Für Kultur und
Wissenschaft begann sich aber Wien mit der Ringstraßenzeit zum Nabel der
Welt zu entwickeln. Die Ausstellung im Wien Museum versteht sich als
zweiteilig. Neben den historischen Schriftstücken, Modellen,
Planungsentwürfen und Fotografien gilt die nur wenige Gehminuten entfernte
Ringstraße selbst als lebendiger zweiter Teil.
Dort findet man zum Beispiel das mächtige Palais der Bankiersfamilie
Ephrussi, bekannt durch Edmund de Waals Roman „Der Hase mit den
Bernsteinaugen“. Es stammt ebenso vom dänischen Stararchitekten Theophil
Hansen wie das antikisierende Parlament. Neben Ephrussi hatten sich auch
andere jüdische Unternehmer und Bankiers als Bauherren betätigt. Das Palais
Epstein beherbergt heute einen Teil der Parlamentsbüros, das Palais
Springer überlebte den Krieg nicht.
Das Jüdische Museum widmet sich den prominenten Männern, die zum
wirtschaftlichen Aufschwung der Gründerjahre beitrugen und als Kunstsammler
und Mäzene in Erscheinung traten. Die Porträts der Patriarchen –
standesgemäß im dunklen Anzug und mit ernstem Blick – befinden sich
mehrheitlich im Eigentum der israelitischen Kultusgemeinde.
## Schicksal einzelner Familien
Ein Saal gibt Einblicke in das Schicksal einzelner Familien. Da gibt es
Gästebücher der Familien Lieben und Gutmann, ein Porträt der Helene
Auspitz, die in schwere Depression verfiel und mehr als 20 Jahre in der
Psychiatrie ihrem Tod entgegendämmerte. Dass sich ihr Ehemann Rudolf
scheiden ließ und die Gouvernante der Kinder ehelichte, war damals Futter
für die Klatschpresse.
Es wird aber auch daran erinnert, dass viele Juden damals keineswegs zum
„Geldadel“ gehörten. Unter den 18.000 Zuwanderern, die die Großstadt
alljährlich wachsen ließen, fanden sich Tausende Ostjuden, die von akuter
Wohnungsnot betroffen waren. Und es waren oft wohlhabende Juden, die mit
karitativen Werken zu helfen versuchten.
Darunter der Arzt und Journalist Ludwig August Frankl, der das
Blindeninstitut ins Leben rief. Dieses fiel ein halbes Jahrhundert später
als „jüdische Institution“ dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer. Die Palais
wurden arisiert, ihre Bewohner, so sie nicht fliehen konnten, in KZ
deportiert. Restitution fand zum Teil erst in diesem Jahrhundert statt.
## Schwülstige Deckengemälde
Das Belvedere wirbt mit einem farbenprächtigen Klimt-Entwurf für seine
Ausstellung „Klimt und die Ringstraße“ und setzt damit auf einen
Etikettenschwindel. Denn Gustav und sein Bruder Ernst Klimt waren zwar als
junge Künstler eingeladen, an der Innendekoration einiger der
Repräsentationsbauten mitzuwirken, federführend war aber damals noch Hans
Makart mit seinen eher schwülstigen Deckengemälden und Wandverkleidungen,
die auch die Ausstellung dominieren.
Die Gebrüder Klimt hatten 1883 noch vor Abschluss ihres
Kunstgewerbestudiums mit ihrem Kollegen Franz Matsch die Künstler-Compagnie
gegründet, um sich für große Ausstattungsaufträge an der Ringstraße
bewerben zu können. Den Durchbruch brachte ihnen die Ausstattung der beiden
Prunktreppen im Burgtheater. Vom ästhetischen Rebellen, der später die
Secession gründete, ist das noch weit entfernt.
Während im Wien Museum das große Ganze im Zentrum steht, geht es im
Belvedere um die Innenausstattung, um Entwürfe für den Vorhang der Oper,
Entwürfe für Wanddekorationen in den adeligen und bürgerlichen
Wohnpalästen, Sammlungen von Porzellan und Frauenporträts. Was die Schau im
Unteren Belvedere aber besonders sehenswert macht, sind die vielen
Originalzeichnungen der Architekten, die die Kuratoren auf den Dachböden
und Depots von Oper, Parlament, Universität und Burgtheater aufgestöbert
haben.
2 Aug 2015
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
Wien
Bürgertum
Kunsthalle Hamburg
Ausstellung
Glück
katholisch
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"Is nix los, feun olle. Is wos los, feun a olle." Soll heißen: Etwas zu
jammern gibt es immer. Die EM etwa hat den Wienern viele Besucher beschert,
aber nicht das erhoffte Geschäft.
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