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# taz.de -- Erstes Soloalbum von Charles Stepney: Große Arrangements aus dem K…
> Der Soul- und Jazz-Arrangeur Charles Stepney produzierte zeitlebens für
> andere. Auf „Step on Step“ wird nun seine künstlerische Begabung
> manifest.
Bild: Charles Stepney bei einem Besuch in Los Angeles, um 1970
Charles Stepney ist einer der großen Vergessenen in der Geschichte der
afroamerikanischen Musik. In den Sechziger- und Siebzigerjahren produzierte
der Chicagoer einige enorm populäre Alben, darunter zentrale Teile [1][der
Diskographie von Earth, Wind & Fire.]
Aber der Produzent, Ausnahmen wie George Martin und Quincy Jones bestätigen
die Regel, galt damals wenig. Auch heute weitgehend aus dem kollektiven
Gedächtnis verschwundene Seltsamkeiten wie die Versuche, Schwarze Musik –
Blues und Soul – mit Psychedelic-Music in Verbindung zu bringen, gehen
maßgeblich auf Stepneys Arbeit als Arrangeur, Komponist und Produzent
zurück.
Charles Stepney ist früh verstorben, 1976, im Alter von 45 Jahren. Das
Chicagoer Label International Anthem hat jetzt posthum sein Debütalbum
veröffentlicht. „Step on Step“ versammelt Home Recordings, die um 1970
herum entstanden sind. Um ihre Schönheit würdigen zu können, muss man sich
vor Augen führen, was Stepney als Produzent mit der Musik veranstaltet hat,
die er jenseits seines eigenen Kellers arrangiert hat.
Zum Beispiel „Rotary Connection“, das 1967 erschienene Debüt der
gleichnamigen Soul-Band um Sängerin Minnie Riperton. In der Musik lässt
sich hören, was Stepneys Arrangements ausmacht: die präzise Schichtung von
exorbitant dimensionierten Streichern, Bläsern und Chören, was dann im
Zusammenspiel einen veritablen Trip ergibt, der aber ohne
Psychedelic-Klischees auskommt.
Das Album wurde in den Neunzigerjahren von der HipHop-Szene als
Sample-Fundgrube entdeckt: [2][A Tribe Called Quest,] Jay-Z und Common
wilderten.
## Traumhaft und monumental
Anschauungsmaterial, besonders, was die Finnesse von Stepney als
arrangierenden Komponisten ausmacht, liefern auch die von ihm produzierten,
immens populären Alben von The Dells („There Is“) und von Ramsey Lewis
(„Maiden Voyage“), beide Ende der 1960er veröffentlicht. Da vor allem die
beiden von Stepney komponierten Songs „Ode“ und „Les Fleurs“: zweimal
jubilierende Chöre über Lounge-Soul, im letzteren Fall mit einem
ekstatischen Streicherensemble, das das Ganze sanft Richtung Geniestreich
schiebt. Traumhafte Musik.
Am populärsten aber wurde die Musik, die Stepney im Verbund mit Earth, Wind
& Fire fabrizierte. Hier war einer hörbar in seinem Element: monumentaler,
groovender, maximal eingängiger Soulpop. Zum Beispiel auf „That’s the Way
of The World“ (1975). Es sind auch hier die millimetergenau abgestimmten
Bläser- und Orchesterarrangements, die die Musik zu dem machen, was sie so
wohl nur in den Händen Stepneys werden konnte:
Perfektionistischer, butterweicher Pop mit aufdringlich schönen Melodien.
Charles Stepney flog zu Lebzeiten weitgehend unter dem Radar. Kein
charismatischer Frontmann, sondern ein Tüftler, der von Labelchefs und
vielleicht auch von den Kolleg:innen, mit denen er zusammengearbeitet hat,
als Dienstleister wahrgenommen wurde. Und nicht als der Künstler, der er,
in jeder seiner Funktionen, war.
International Anthem forciert zurzeit die Würdigung dieses Lebenswerks und
hat dafür den [3][„Summer of Stepney“] ausgerufen. In Chicago wird eigens
ein Tribute-Konzert veranstaltet. Und das kalifornische Magazin Wax Poetics
streamt eine vom Label präsentierte sechsteilige Doku, [4][„Out of the
Shadows“].
## Ein überzeugter Produzent
Von seiner maßgeblichen Rolle als Produzent war Stepney selbst jedenfalls
überzeugt – absolut zu Recht. „Ich glaube, es ist kein Geheimnis, wer das
wirkliche Talent hinter einer Band wie den Beatles war“, hat er 1970 im
Downbeat-Magazine erklärt. Beatles-Produzent George Martin nämlich. Songs
wie „A Day in the Life“, „Eleanor Rigby“ und „I am The Walrus“ hät…
vier Musiker nicht eigenhändig schreiben können.
Ob das stimmt, sei mal dahingestellt, aber es zeigt, wie Charles Stepney
seine Arbeit verstanden hat, nämlich als mindestens ebenso prägend für die
Musik wie die Arbeit der Musiker:innen.
Der Titelsong des Earth-Wind-and-Fire-Albums ist auch auf „Step on Step“ zu
hören, als instrumentales LoFi-Recording, aufgenommen im Keller des Hauses,
in dem Stepney mit seiner Frau und seinen drei Töchtern gelebt hat. Es
bleibt das Skelett, die Melodie über Muzak-Beats aus der Drum-Machine. Man
kann auf diesem Album hören, wie die gleichen Ideen mit fetter
Orchestrierung und als spartanische Kelleraufnahmen eine jeweils eigene
Schönheit entfalten.
Damit ist „Step on Step“ mehr als nur eine Dokumentation oder eine
Compilation. Man kann die 21 Stücke an einem Stück durchhören und sich
daran freuen, wie hier ein Mastermind mit Klavier, Vibraphon, Keyboards,
Gitarre und weiteren Geräten buchstäblich am laufenden Band glitzernde
kleine Diamanten fabriziert.
## Hommage an denn Vater
Eine Hommage aber ist es auch. Kompiliert haben es Stepneys Töchter, Eibur,
Charlene und Chanté Stepney, die seit Jahren dran arbeiten, dass das
Lebenswerk ihres Vater endlich Anerkennung findet. Auf dem Album sind sie
ebenfalls zu hören, mit Erinnerungen aus dem Familienleben, was dann das
Einzige ist, das an „Step on Step“ etwas stört. Ganz einfach, weil man eine
Anekdote nicht unbedingt achtmal erzählt bekommen will.
Alles in allem verbreitet Stepneys Musik Ideenreichtum und Lebensfreude.
Auf „Step on Step“ ist ein Perfektionist zu hören, der seine Berufung
gefunden hat und mit dem Material, das er unüberhörbar perfekt beherrscht,
einen Riesenspaß hat. Und der überträgt sich unmittelbar auf Hörerin und
Hörer.
16 Aug 2022
## LINKS
[1] /Nachruf-auf-Maurice-White/!5274960
[2] /Neues-von-A-Tribe-Called-Quest/!5359239
[3] https://www.intlanthem.com/summer-of-stepney
[4] https://www.waxpoetics.com/article/charles-stepney-out-of-the-shadows/
## AUTOREN
Benjamin Moldenhauer
## TAGS
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Schwerpunkt Rassismus
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